In unserer kleinen Countdown-Serie auf Instagram, in der wir auf den 111.Geburtstag der Stadtbibliothek Bielefeld am 1.12.2016 hinunterzählen (https://www.instagram.com/explore/tags/111stabiel/), haben wir vor kurzem den Tag 106 mit einer Grafik aus Lewis Carrolls Jahrhundertbuch Alices Abenteuer im Wunderland begangen. Die Illustration von John Tenniel findet sich im Kapitel Eine verrückte Teegesellschaft. Wir haben sie dem Bändchen 9746 aus Reclams Universalbibliothek (Danke!) entnommen. Hier sind Alice, der Märzhase, der Siebenschläfer, der auch während der Teetafel seinen Schlaf nicht unterbricht, und der verrückte Hutmacher zu sehen. Und eben jener, der als The Mad Hatter allerorten zitiert wird, wirbt für sich und sein Gewerbe mit einem kleinen Preisschild am eigenen Zylinder: 10/6 – also 10 Shilling und 6 Pence für einen Hut ‚In this Style’. Wir haben daraus die 106 gemacht, das Zwölfersystem von Pence, Shilling und Pound missachtend.
Allerdings sind es weniger Werbung und Hutmode, die die Figur berühmt gemacht haben, als vielmehr seine Rätsel und Sprachspiele. So eröffnet er die nahezu immerwährende Teegesellschaft mit dem berühmt gewordenen Rätsel, was denn ein Rabe mit einem Schreibtisch gemeinsam habe. Eigentlich nichts. Es gibt keine Lösung für dieses Rätsel, geben uns der Hutmacher und der Autor Auskunft. Also ein eher absurdes Rätsel, wie so vieles in dieser Erzählung rätselhaft und verrückt und absurd erscheint. Günther Flemming hat aber im Nachwort im oben zitierten Reclam-Bändchen eine parat: Zeitgenössischen Leserinnen und Lesern war Edgar Allan Poes The Raven bekannt – und so besteht die Gemeinsamkeit darin: Because Poe wrote on both. Moderner und intertextueller kann man kaum schreiben.
Angetan hat es uns The Mad Hatter auch, weil er Alice in eine Debatte über sprachliche Logik und ihren Aussagegehalt verwickelt. Wenn Alice behauptet, „Ich sage, was ich meine“ und „Ich meine, was ich sage“ seien dasselbe, dann hält ihr der Hutmacher entgegen, dass es doch wohl kaum dasselbe sei, wenn man behaupte, „Ich seh’, was ich esse“ und „Ich esse, was ich sehe.“ Usw. usf.
Man kann wie Gero von Wilpert in seinem Standardwerk Lexikon der Weltliteratur. Werke A-K (³1993) Lewis Carrolls Buch unter die Nonsense-Literatur einordnen. Aber das reicht wohl nicht hin. Denn das vermeintliche Kinderbuch ist gleichermaßen träumerisch, phantastisch und vergnüglich wie anspielungsreich und modern. Schauen wir uns nur das oben gewählte Motto aus dem zweiten Kapitel Der Tränenteich an, in der Reclam-Ausgabe auf S.22. Ohne die Frage, wer man denn sei und was die eigene Identität ausmache, wären die moderne Literatur nicht denkbar und die Wissenschaften von der mentalen Gesundheit grund- und brotlos. Vielleicht sogar eine komplette Sparte der Ratgeberliteratur unnötig. Gleichwohl hat Alice in den englischsprachigen Ländern eine ungeahnt breite und anhaltende Rezeption erfahren, die bis in die populäre Kultur, bis in den Film und die Musik, reicht. So haben The Stranglers auf ihrem Album Aural Sculpture aus dem Jahre 1984 dem Mad Hatter ein kleines akustisches Denkmal errichtet und der Jazzer Chick Corea nannte 1978 sein Album The Mad Hatter.
Harald Pilzer
Bielefeld gibt es doch garnicht xD
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Das denken alle, aaaaber… tadaaa. Herkommen und überzeugen, uns gibt’s sogar in Farbe. 🙂
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