Kontinent Doderer. Eine Durchquerung | Sachbuch
Moderation: Harald Pilzer
Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will. Den Beginn des Romans Ein Mord den jeder begeht aus dem Jahre 1938 mögen viele als Bonmot kennen, den Autor Heimito Von Doderer nicht. Vom Spiegel 1957 als Spätzünder deklariert und gleichwohl zum Thronfolger für die verwaisten Thronsessel der deutschen Literatur ernannt, blieb der 1896 geborene Wiener, dem erst in den frühen fünfziger Jahren mit der Strudlhofstiege der literarische Durchbruch gelang, und dessen Roman Die Dämonen 1956 rechtzeitig zum 60. Geburtstag eine geradezu fulminante Aufnahme fand, dennoch eine Art Geheimtipp, nicht gerade massentauglich und dies nach seinem Tod 1966 erst recht. Zu Unrecht, wie der österreichische Literaturkritiker Klaus Nüchtern findet, der zum fünfzigsten Todestag im vergangenen Jahr den Kontinent Doderer neu vermessen hat. Ein Kontinent, der geographisch Wien heißt, und aus sieben, zum Teil dickleibigen Romanen, vielen Erzählungen und Tagebüchern, besteht, die abschrecken mögen, die jedoch raffiniert konstruiert sind, einen spannungsreichen Aufbau zeigen, zeitgeschichtlich aktuell sind und einen zuweilen ins Groteske übersteigerten Humor pflegen. So erfindet Doderer in den Merowingern, einem nicht-historischen Familienroman, die Firma Hulesch & Quenzel. Sie zeichnet verantwortlich für alle die Produkte, die in einer nicht-digitalen Welt zu enervieren vermögen wie Nadeln ohne Öhre oder Badarmaturen, an denen man sich mit Sicherheit stößt.
Bei einem Autor, der von 1896 bis 1966 lebte, bleibt die Zeit des Nationalsozialismus nicht ohne biographische Einwirkung und Doderers zumindest befragenswerte Haltung – auch wenn durch Hilde Spiel rehabilitiert – hat nicht zuletzt die Rezeption des Werks seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts behindert, genauso wie sein Konservatismus und seine Art zu schreiben als nicht mehr zeitgemäß galten. Was treibt also Klaus Nüchtern an oder um? Verpasst man etwas, wenn man Doderer auslässt? Na, keine Frage! Und darauf hinzuweisen ist auch das eigentliche Anliegen dieses Buches. Es will zeigen, wie die Literaturmaschine Doderer funktioniert und wie man sie zum eigenen Pläsier nutzen kann.
Mit musikalischer Begleitung.
Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr
Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.