Übrigens bleibt es nicht bei einer bloß passiven Konkurrenz zwischen Jesuiten-Universität und Stiftsschule. Vielmehr kommt es zu scharfen Polemiken, zu einer wechselseitigen Störung des Unterrichtsbetriebs, ja sogar zu Handgreiflichkeiten, sodass selbst der Landeshauptmann, Freiherr von Herberstein, schlichtend eingreifen muss.
(Johannes Kepler : die Entdeckung der Weltharmonie / von Thomas Posch. – Seite 48)

Johannes Kepler / von Thomas Posch
Wieder mal so ein Sachbuch, das ich mir nur ansehen wollte, um es zu verschenken; doch dann habe ich mich überraschend festgelesen. Und Schuld ist – Shakespeare. Oder Bernard Cornwell. Oder beide. Jedenfalls hat die Romanlektüre „Narren und Sterbliche“ mein Interesse an der Zeit um 1600 geweckt. Doch während ich mir eigentlich ergänzende Lektüre zum elisabethanischen London heraussuchen wollte, stolpere ich in diesem Buch über Johannes Kepler, einen Zeitgenossen Shakespeares. Nun, er ist etwas jünger (geboren 1571), wächst im Schwabenländle auf, will ursprünglich protestantischer Geistlicher werden, wird dann aber mit einem Lehrauftrag für Mathematik an die evangelische Stiftsschule in Graz geschickt.
Graz ist um einiges beschaulicher als die aufstrebende Weltstadt London, doch hier wie dort ist das Zusammenleben geprägt durch den Zwist zwischen den Konfessionen, durch die Gegensätze zwischen humanistischer Bildung und Aberglauben, durch Intrigen zwischen Hof, Klerus, Adel und den bürgerlichen Ständen; das Weltbild wandelt sich grundlegend, neue Technologien faszinieren und verändern den Alltag. Noch gibt es in Graz ein konkurrierendes Nebeneinander der Konfessionen – ein fragiler Frieden, wie man an der oben zitierten Textstelle sieht. Kepler heiratet und arbeitet an seiner kosmologischen Theorie; 1596 veröffentlicht er sein Werk Mysterium Cosmographicum (Weltgeheimnis). Doch 1600 wird auch er im Zuge der Gegenreformation gezwungen, die Region zu verlassen.
Kepler gilt bis heute als einer der bedeutendsten Naturphilosophen und Wissenschaftler. Doch allein sechs Jahre lang musste er sich um die Verteidigung und Freilassung seiner wegen Hexerei angeklagten Mutter bemühen und sie vor dem Scheiterhaufen retten (Katja Doubek hat über die Heilerin Katharina Kepler, den Hexenprozess und die Rolle ihres berühmten Sohnes ein Buch geschrieben).
Die Spätrenaissance erscheint uns heute als eine interessante Epoche voller Wandel, Aufklärung, Entdeckungen und wundervoller Kunst. Doch nicht wenige Menschen fühlten sich durch all die neuen Ideen auch verunsichert und hatten Zukunftsangst, das machte sie anfällig für Demagogen und Fanatiker, für Aberglaube und Ideologie. Am Ende eskalierte alles im furchtbaren Dreißigjährigen Krieg.
Shakespeare und Kepler sind zwei Lichtgestalten dieser stürmischen Zeitenwende. Thomas Posch zeigt in seinem Buch über den Universalgelehrten Kepler das Porträt eines vielseitigen, charakterstarken Mannes, gleichzeitig gewährt er Einblick in das Denken und Leben mitten in Europa zu Beginn der Neuzeit.
Katalogdaten zum Buch hier.
HilDa
Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.