Ein Leser hat uns nicht nur einen Anschaffungsvorschlag eingereicht, sondern auch gleich eine Buchbesprechung dazu geschrieben, die wir, natürlich mit seinem Einverständnis, hier als Gastbeitrag abdrucken möchten:

Die deutsche Übersetzung dieses französischen Fotoromans ist für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen interessant. Ein Stück französische Realität wird anhand aktueller sozialer Entwicklungen – den „Gelbwesten“ – und anhand von Porträts vorgestellt. Inhalt ist somit kein erfundener Roman, sondern die Darstellung des Alltagslebens und der Aussagen von ausgewählten Menschen anhand der Fotos eines preisgekrönten Fotografens.
Ich selber habe als Zivildienstleistender/ Friedensdienstleistender der Aktion Sühnezeichen für „Emmaüs“ in Frankreich gearbeitet, eine nichtstaatliche Organisation, die mehr als 300 Gemeinschaften von Obdachlosen betreibt. Während unseres Dienstes hatten wir mit ähnlichen Menschen zu tun, wie sie in „Wurzeln des Zorns“ zu Worte kommen. Die Darstellung in dem Buch möchte ich als authentisch bewerten.
Das Buch ist gelungen, insbesondere auch durch die Vermittlung der Tatsache, dass es eine große Bandweite unterschiedlicher Schicksale gibt, und sich die vorgestellten Personen nicht alle in eine Schublade stecken lassen. Es gibt sowohl Langzeitarbeitslose als auch schon immer Beschäftigte innerhalb der gleichen Familie, Berufsanfänger, Behinderte.
Wenige Kritikpunkte sind zu nennen: Da sich das Buch an ein deutsches Publikum wendet, wäre die normale Groß- und Kleinschreibung besser gewesen. Das Lesen ausschließlich von Großbuchstaben ermüdet.
Das französische System der Schulabschlüsse ist komplex und verwirrend. Ein Abitur ist nicht gleich einem deutschen Abitur. Es herrscht in Frankreich ein relativ großes Chaos von in der Regel immer nur mit ihrer Abkürzung genannten Qualifikationen. Damit einher geht auch eine soziale Problematik. Manche Abschlüsse sind in der öffentlichen Wahrnehmung ohne großen Wert; welche sozialen Unterschiede dadurch entstehen – das wäre sinnvoll aufzuzeigen.
Meiner Erfahrung nach von vor Ort und der jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema wiegen soziale Problematiken in Frankreich stärker als in Deutschland. Bestimmte Problematiken findet man in Frankreich, wie man sie hier nicht finden würde. Andererseits ist auch der erheblich frühere Renteneintritt der Franzosen erwähnenswert.
Zuletzt: Der Aufsatz der Soziologin Belton-Chevallier am Ende des Buches ist für ein jugendliches Publikum sicherlich etwas zu abgehoben-wissenschaftlich. Er sollte in einer verlängerten Fassung mit mehr Erklärungen erscheinen.
Dennoch bietet sich das Buch insbesondere auch für den Französisch-Unterricht an – ob durch die Bereitstellung der französischen Ausgabe oder als Buch, das nach und nach unter den Schülern getauscht wird; die Lektüre dauert kaum mehr als 2 Stunden. Auch Schulbüchereien würden durch die Anschaffung des Buches gewinnen.
Michael Wiersing
Detmold
Die Wurzeln des Zorns : aus dem Alltag von Menschen, die in unserer Gesellschaft nicht mehr zählen / von Vincent Jarousseau ; aus dem Französischen von Tobias Scheffel ; Zeichnungen: Eddy Vaccaro ; mit einem Vorwort von Katharina Hartmann. – München : Blessing, 2020.
Originaltitel: Les racines de la colère
ausführliche Katalogdaten hier