Literaturtage Bielefeld 2021
„Vom Wunsch anzukommen“
Eine durchaus psychoanalytische Lektüre, geprägt vom unverwechselbar trockenen Humor Hans-Ulrich Treichels. (…) Das alles liest sich herrlich …
(Claudia Ingenhoven, MDR)

Das ambivalenter Verhältnis zweier Männer beschreibt der 1952 in Versmold geborene Schriftsteller, Germanist und ehemalige Direktor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, Hans-Ulrich Treichel, in seinem neuen Roman „Schöner denn je“: Während Erik Filmarchitekt in der glamourösen Welt Hollywoods ist, arbeitet Andreas, der Ich-Erzähler, als Fachdidaktiker für Französisch im ummauerten Westberlin. Immer wenn letzterer in die Lebenswelt Eriks eintaucht, spürt er seine vermeintlichen Defizite. Einmal so wie Erik sein, das hat sich Andreas Reiss sehnsüchtig gewünscht und sich von ihrer gemeinsamen Schulzeit an um eine Freundschaft mit dem zwar stets höflichen und gelassenen, aber letztlich unnahbaren Erik bemüht.
Was letztlich der Grund für Eriks beneidenswertes Lebensgefühl war, wusste ich nicht. Dazu ließ er mich nicht nahe genug an sich heran. Er war freundlich, er war kameradschaftlich, aber jeder wirklich engeren Verbindung wich er aus. Ich hätte einiges darum gegeben, sein bester Freund zu sein. Oder auch nur sein zweit- oder drittbester.
Erik ist gut in der Schule, aber kein Streber, hat Chancen bei den Mädchen, besitzt schon ein Auto, und seine dichten Haare sehen einfach lässig aus, Andreas dagegen fühlt sich eher wie der Typ Buchhalter mit seinen früh sich abzeichnenden Geheimratsecken:
Er war der Star und ich der Fan.
Nach dem Abitur in der norddeutschen Provinz werden die zwei nach Berlin ziehen, verlieren sich aus den Augen, dennoch kann Andreas nicht aufhören, den Schulfreund, den er einen „Wettbewerber des Lebens“ bezeichnet, zu idealisieren, wobei diese Konkurrenz, von der Erik nichts ahnt, meist zu seinen, Andreas‘ Ungunsten ausfällt. Zu einer filmreifen Dreiecksgeschichte wird die Beziehung zwischen den beiden Ungleichen mit dem besonderen Verhältnis des Ich-Erzählers zum Filmstar Hélène Grossmann, für die er seit Jugendjahren schwärmt, die aber offensichtlich auch eine besondere Verbindung mit Erik unterhält. Als Andreas ein paar Tage mit der prominenten Dame verbringt, die quasi von der Leinwand zu ihm herabsteigt, und sich damit zwischen Erik und der berühmten Schauspielerin stellen kann, hält er sich für „auserwählt“ , bis die Illusionsblase platzt und er sich mit seiner Mittelmäßigkeit zufrieden geben muss
„Schöner denn je“ ist eine lakonisch-komische Geschichte von Freundschaft und Sehnsucht. Und Andreas Reiss ist einer dieser typischen Treichel-Helden, mit dem der Romancier die Untiefen im Alltag der Gegenwart auslotet. Aber auch für diejenigen, die psychoanalytischen Deutungen zugetan sind, hat der Roman einiges zu bieten.
Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Hans-Ulrich Treichel hat als Lyriker und Prosaautor ein umfangreiches Werk geschaffen, bekannt wurde er vor allem mit den Romanen „Der Verlorene“ (1998) und „Tristanakkord“ (2000). Zuletzt erschien seine Erzählung „Tagesanbruch“ (2016).
(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)
Die Katalogdaten zu den Werken von Hans-Ulrich Treichel im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Aber wir haben auch eine Literaturliste als PDF:
Hier einige Links zu Rezensionen über „Schöner denn je“:
- Aus der Rezension von Claudia Ingenhoven, MDR Kultur, stammt das Zitat zu Beginn dieses Beitrags, hier.
- Hilmar Klute nennt in der SZ das Buch „einen leichten und doch auch geheimnisvollen kleinen Roman“ und bescheinigt ihm „eine perfekte Dramaturgie“, hier.
- Jörg Magenau betont im Radiobeitrag des Deutschlandfunk Kultur vor allem die Komik in der „grotesken Beziehungskomödie“: „Verbergen und Vorzeigen, Verrätseln und Enthüllen: Das sind die immanenten Themen dieses Romans.“ hier
- Peter Mohr nennt im Rezensionsforum literaturkritik.de den Roman traurig-komisch, hier.
- Judith von Sternburg erklärt in der Frankfurter Rundschau, dass dem Autor ein Paradoxon gelingt: eine uninteressante Hauptfigur erlebe gerade mal halbwegs Interessantes – und das Buch darüber „gelingt ausgezeichnet“, hier.
- Carsten Otte zeigte sich in seiner Rezension für den SWR etwas enttäuscht im Gegensatz zu den älteren Romanen des Autors, hier.
Freitag, 15. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Dr. Maria Kublitz-Kramer
Musikalische Begleitung: Henning Rice, Flügel und Ismail Özgentürk, Saxophon
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €
In Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft OWL