110 Jahre ist das jetzt her, wir kennen alle die Geschichte.
Jungfernfahrt. Technisch vollkommen und unsinkbar.
Dekadente Champagnerseeligkeit in der Luxusklasse.
Und dann mit Volldampf gegen den Eisberg.
Die Schiffskatastrophe der Titanic am 14. April 1912 steht auch als Sinnbild für den Untergang der alten Klassengesellschaft und ist ein Menetekel für die folgenden menschgemachten globalen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Aber gelernt haben wir daraus ja wohl nix.

Na ja, auch bei der x-ten Wiederholung weinen wir noch um das unglückliche, aber fiktive Film-Liebespaar (Titanic, 1997, Regie James Cameron; Katalogdaten zu DVD, Blu-ray und Sachbuch über den Film hier). Wir erschauern ganz wohlig, wenn wir die Bilder vom rostenden Wrack in der Tiefsee sehen oder aufwändig geborgene Gegenstände in Ausstellungen und bei Versteigerungen gezeigt und gehandelt werden. Aber die wahren Opfer sind nur eine Zahl. Die wenigen Namen, die genannt werden, sind die der Multimillionäre, Prominenten oder Offiziere an Bord. Über den Prunk und Luxus der 1. Klasse sowie die Kunst- und Wertgegenstände, die unrettbar versunken sind, werden die namenlosen Opfer aus der 3. Klasse vergessen. Bis auf Leonardo DiCaprio natürlich.😉
Ach.

Kein anderes Schiffsunglück ist so bekannt, wie dieses; auch nach einem Jahrhundert gehört es zum kollektiven Gedächtnis der Welt. Allein das Wort Titanic reicht aus. Und wenn jemand von „Unsinkbarkeit“ spricht, versteht jeder die sarkastische Anspielung.

Auch das 21. Jahrhundert ist reich an durch Menschen verursachte Katastrophen – und mindestens ebenso reich an arroganter Hybris und borniertem Narzissmus; die Technikgläubigkeit ist sogar noch größer als vor 100 Jahren; auch Klassenunterschiede sind nach wie vor bestimmend für Lebensläufe; und noch immer wird menschenverachtend auf „die Anderen“ herabgeblickt, wie auch immer man das Andere definiert. Klassismus, Ableismus, Rassismus, Chauvinismus, … – es gibt einfach zu viele dieser toxischen -ismen.😑
Und da ist auch dieses trügerische Gefühl der Unsinkbarkeit. Alles soll im Prinzip so bleiben, wie es ist, nur vorwärts soll es gehen – als gäbe es nur diese eine Richtung. Als wäre uns das Erreichte sicher und jetzt kann es nur noch besser werden. Gerne besser für alle, mehr für alle, wenn’s denn reicht, aber Hauptsache besser und mehr für mich, denn ich bin ja für mich der Maßstab aller Dinge. Wer vermag schon über seinen Tellerrand hinaus zu blicken. Oder will es wirklich. Narzissmus, Neoliberalismus, Fanatismus – okay, ich hör ja schon auf.
Doch dann kommt da so ein blöder Eisberg daher und verändert einfach alles. „Plötzlich“ gibt es eben doch noch eine ganz andere Richtung, nämlich das kalte Wasser, die Tiefe, der Untergang.
Hybris.
Doch wir haben eben nicht alles unter Kontrolle.
Das Meer und die Tiefe waren natürlich schon immer da, vor Eisbergen wurde gewarnt, Unsinkbarkeit gibt es nicht, Rettungsboote bieten nicht genug Platz für alle und selbst die Überlebenden verlieren und können kaum das Trauma bewältigen.
Trotzdem vergessen wir schnell. Kassandrarufe sind halt lästig. Ach, es wird schon alles gut gehen, wir wollen uns die Stimmung nicht verderben lassen. Freiheit, Eigenverantwortung – wir wollen Polonaise, Schampus!
Volldampf voraus!
Und hey, so viel frisches Eis für unseren Drink, haha!
HilDa


Hier noch ein paar Literaturtipps:
- Ein sehr schön und anschaulich illustriertes Sachbilderbuch ist „Die Geschichte der Titanic“ . Die detailreichen Panoramazeichnungen von Steve Noon und der Text von Eric Kentley zeigen und erklären alle Decks und ihre Besonderheiten, die Technik an Bord, den Ablauf der Schiffskatastrophe und seine Auswirkungen – für Kinder gedacht, aber da können auch Erwachsene noch interessantes entdecken.
- Auch die Kindersachbücher der bewährten Reihe „Sehen Staunen Wissen“ aus dem Gerstenberg-Verlag legen viel Wert auf detailreiche Illustrationen, und auch die Texte und Beschreibungen von Simon Adams zu „Titanic : die berühmteste Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt“ bieten viele interessante Details zur Ausstattung des Luxusliners und zum folgenreichen Unglück.
- Maja Nielsen erzählt in „Titanic : Entdeckung auf dem Meeresgrund“ sehr anschaulich über die Jungfernfahrt, den Untergang und ebenso ausführlich über die abenteuerliche Suche nach dem Wrack.
- Im Roman des Norwegers Erik Fosnes Hansen „Der Choral am Ende der Reise“ geht es um sieben Musiker an Bord der Titanic, ein internationaler Bestseller in den frühen 1990ern, also noch vor dem Film von James Cameron.
- Linda Maria Koldau rekonstruiert in ihrem Sachbuch „Titanic : das Schiff, der Untergang, die Legenden“ nicht nur die Schiffskatastrophe und den Forschungsstand zu den Ursachen, sondern auch die kulturgeschichtliche Bedeutung und die ganze Mythenbildung.
- Die National-Geographic-Dokumentation von 2012 in 3 DVDs zeichnet das Unglück nach und sucht nicht zuletzt anhand der Bilder vom Wrack in der Tiefsee nach der Ursache dieser Katastrophe. Dazu passt der kleine Bildband: „Mythos Titanic“ .
- Der Bildband „Die Geburt einer Legende : Entstehung und Bau der Titanic“ von Michael McCaughan ist schon etwas älter. Hier geht es weniger um das katastrophale Ende des Luxusschiffes, sondern seinen Bau, seine Technik und seine Ausstattung; mit vielen schwarz-weiß Fotos und Zeichnungen.
- „Das Titanic-Bordbuch: eine Handreichung für Passagiere“ ist hübsch gemacht, eine ausführliche Anleitung, als wenn wir uns als Passagiere auf die Jungfernfahrt vorbereiten wollten, ebenfalls mit vielen Fotos und Grafiken. Logischerweise spielt hierin der Untergang gar keine Rolle.
- Und dann ist da noch das Filmbuch zu James Camerons Blockbuster-Film „Titanic“ mit vielen Fotos von den Dreharbeiten, mit Interviews und einem Überblick zu den Kostümen, Nachbauten und Kulissen, zu den Special Effects und den Anstrengungen für alle Beteiligten: „James Camerons Titanic“ .
- Wer aber mehr über die echten Passagiere und vor allem vom Schicksal der überlebenden Frauen und Kinder an Bord wissen möchte, der kann viele einzelne Schicksale in „Titanic: Frauen und Kinder zuerst“ von Judith B. Geller nachlesen.
(Auswahl: HilDa)
