Die Seidenstraße

Kennt ihr die GeoEpoche-Hefte? Ich habe eine Sammlung zuhause und lese sie immer wieder gerne durch. Diese Hefte behandeln immer ein geschichtliches Thema. In diesem Beitrag möchte ich euch ein bisschen mit in den Orient nehmen.

Die Seidenstraße. Was sind eure ersten Gedanken? Karawanen, 1001 Nacht, Orient und Okzident… Man schließt die Augen und sieht sie vor sich – die Kamele, voll beladen mit Seide, Gewürzen und anderen Luxusgütern. Menschen, zum Schutz gegen die Sonne verhüllt in Stoffbahnen, fremde Sprachen und Kulturen. Oasen dienen als Treff- und Rastplätze.

Natürlich denke auch ich so. Aber manchmal muss man eben wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. 😉 So auch hier. Habt ihr zum Beispiel an Marco Polo gedacht? Ich nicht. Und dass es eigentlich „Seidenstraßen“, also Plural, heißen müsste? Nö. Dann tauchen wir doch einfach mal hinein in die Geschichte dieses faszinierenden Handelswegs (oder eben der Handelswege, aber ich bleibe dem Titel der Zeitschrift treu).

Der Höfling Zhang Qian wird im Jahr 139 v. Chr. vom chinesischen Kaiser auf eine Mission geschickt. Er soll mit fremden Völkern Kontakt aufnehmen und natürlich Allianzen schmieden. Was der Kaiser nicht ahnt – Zhang Qian gelangt so weit nach Westen wie noch kein anderer Gesandter des Kaisers. Und das wird ihm später den Titel „Vater der Seidenstraße“ einbringen. Die Ära der Seidenstraße ist eingeläutet, denn infolgedessen ziehen immer mehr Gesandtschaften und Händler über die Ost-West-Routen.

Ich habe oben von „Straßen“ gesprochen. Denn es entstand ein Handels- und Kommunikationsnetz, welches nicht „den einen Pfad“ zwischen Ost und West nutzte. Durch politische Spannungen waren manche Wege nicht mehr zu bereisen, aber auch infolge von Sandstürmen, die Oasen austrocknen ließen und ganze Karawansereien unter Sand begruben, wurden zwangsläufig neue Routen erschlossen.

1274 erreicht Marco Polo mit seinem Vater und seinem Onkel die Sommerresidenz eines Enkels Dschingis Khans, der seit einigen Jahren Kaiser von China ist. Der später veröffentlichte Bericht dieser Reise verleitet europäische Schiffsführer dazu, nach einem Seeweg zu den Reichtümern Asiens zu suchen. Die Handelsfreiheit im Mongolenreich wecken das Geschäftsinteresse auswärtiger Kaufleute, wie Marco Polo. 1865 greifen Soldaten des russischen Zaren Taschkent an, die reichste und größte Stadt nordwestlich des Pamir. Bis zum Ende des Jahrhunderts nehmen die Truppen des Zaren das gesamte Gebiet vom kaspischen Meer bis zum Pamir ein. Afghanistan bleibt souverän als „Pufferstaat“ zwischen China, Russland und dem von London beherrschten Britisch-Indien im Süden.

1877 berichtet in Deutschland der Präsident der „Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin“, Ferdinand Freiherr von Richthofen, während einer Veranstaltung der Gesellschaft über die „zentralasiatischen Seidenstraßen“. Dieser Vortrag und dessen anschließende Veröffentlichung verbreiten den bis heute gebräuchlichen Namen dieses Kommunikations- und Handelsnetzes.

Im Jahr1893 tritt der Schwede Sven Hedin seine erste eigene Expeditionsreise in das Innere Zentralasien an. Er folgt unter anderem Berichten Einheimischer, die von im Sand versunkenen Orten erzählen. Tatsächlich entdeckt er Ruinen, die vom vergangenen Reichtum der Oasenstädte zeugen. Leider schrecken einige westliche Expeditionsleiter vor dem Raub von Kunstgegenständen und ganzen Bibliotheken nicht zurück. Die Revolutionen 1912 in China und 1917 in Russland lassen zum Beispiel im Emirat Buchara die Hoffnung aufkeimen, wieder unabhängig zu werden. Doch Russland zwingt das Gebiet in die Sowjetunion. Beijing stationiert seine Truppen in der Region Xin-jiang und unterdrückt dort bis heute die Autonomiebestrebungen der heimischen Uiguren. Durch den Zerfall der Sowjetunion entstehen mit Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgistan und Kasachstan wieder souveräne Staaten, auch wenn Russland und China weiterhin großen Einfluss ausüben.

Dann, 2013, verkündet Chinas Präsident die Erschaffung eine „neuen Seidenstraße“. Es entstehen neue Hafenanlagen und Eisenbahnverbindungen, Europa und Asien sollen wirtschaftlich stärker zusammenwachsen. Natürlich liegt es nahe, dass Präsident Xi ganz bewusst auf die Strahlkraft der legendären Handels- und Kommunikationsroute setzt – die Seidenstraße.

Ihr merkt, es ist ganz schön viel passiert. Ich kann sogar noch weiter ausholen: Menschen transportierten schon im 3. Jahrtausend v. Chr. Edelsteine aus dem Hindukusch nach Ägypten, vom Indus nach Siedlungen im heutigen Tadschikistan, aus dem Pamirbecken ins Kernland Chinas. Um 2000 v. Chr. ernähren sich Menschen unter anderem von Weizen, Hirse aus Ostasien sowie Milchprodukten und Weizen aus Westasien. Schon seit der Bronzezeit also betreiben Menschen im Gebiet der Seidenstraße Handel über Land mit Produkten aus der Ferne.

Aber nun Schluss mit den ganzen Jahreszahlen. Kommen wir nun zu ein paar anderen wissenswerten Fakten:

  • die Händler reisten entgegen der häufigen Annahme immer nur einen Teil der Seidenstraße und verkauften in den Knotenpunkten ihre Waren an die Händler der nächsten Etappe.
  • die Kamele der Händler transportierten die Namensgebende Seide, die in China für den Export gefertigt wurde (natürlich in den unterschiedlichsten Qualitäten), aber auch Edelsteine, Pelze, Metalle, Glas, Gewürze, Silber, Früchte, Arzneien, Sklaven und Pferde.
  • die Händler bezahlten oft Ware mit Ware, aber auch Kaurimuscheln wurden akzeptiert.
  • die sogenannten Karawansereien waren ummauerte Herbergen, die Schutz vor Räubern boten; sie waren in relativ kurzen Abständen angelegt, sodass die Händler kein Futter für ihre Kamele mitnehmen mussten und die Lasttiere ausschließlich mit Waren beladen konnten.
  • auch Fortschritte im Schiffsbau trugen dazu bei, dass der Handel auf dem Landweg immer mehr nachließ.
  • über die Seidenstraße verbreiteten sich Erfindungen wie Papier und Schwarzpulver.

Während die Karawansereien und Handelsstädte immer mehr verfielen, blieb das immaterielle Erbe erhalten – die Menschen tauschten unterwegs Geschichten, Lieder sowie philosophische, politische und religiöse Ansichten aus.

Hier findet ihr das Exemplar in unserem Bestand.

kwk

Buchtipp: Ken Follett „Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit“

Endlich wieder ein Buch von Ken Follett. Endlich wieder Kingsbridge! Beziehungsweise… das Buch spielt vor dem Bestseller „Die Säulen der Erde“. Das Prequel sozusagen. Wir werden ins England um 997 nach Christus versetzt. Wie bei vielen historischen Romanen werden auch hier wieder verschiedene Personen in die Geschichte eingeführt und die jeweiligen Erzählstränge haben dann im Laufe der Geschichte immer mehr miteinander zu tun:

Nachdem die Wikinger die Stadt Combe heimgesucht und eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben, bleibt dem jungen Bootsbauer Edgar und seiner Familie weder ihre Werft noch ihr Heim und sie nehmen in ihrer Not das Angebot an, in einem verlassenen Bauernhof in einem kleinen Weiler namens „Dreng’s Ferry“ fern der Küste heimisch zu werden.

Ragna, ihres Zeichens Tochter eines normannischen Grafen, verschlägt es durch ihre Heirat mit dem Aldermann Wilwulf aus Cherbourg nach Shiring. Ihre pragmatische Art und ihr Gerechtigkeits-Sinn stehen im totalen Gegensatz zu der damaligen Vorstellung, dass Frauen nur für Kind und Heim zuständig sind. Zudem hat ihr Ehemann zwei Brüder, die versuchen, ihre Position durch ständige Intrigen zu schwächen. Einer der Brüder ist Bischof Wynstan, der sehr gut geschrieben ist und mich beim Lesen des Öfteren zur Weißglut bringt.

Der Mönch Aldred begegnet Ragna in Cherbourg, wo er ein paar kostbare Bücher erstanden hat. Die beiden treffen sich in England wieder. Durch unglückliche Umstände wird Aldred nach „Dreng’s Ferry“ versetzt. Er, Edgar und Ragna bilden das „gute“ Gespann der Geschichte. Und dann gibt es auch noch „Ironface“, der in den Wäldern rund um den kleinen Weiler sein Unwesen treibt…

Leider erfährt man nicht viel über Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit, einzig das Rechtssystem wird deutlicher hervorgehoben. In typischer Follett-Manier gibt es hier Gut gegen Böse und mit Ragna auch wieder eine starke weibliche Figur. Alle, die etwas total neues erwartet haben, werden enttäuscht. Ich persönlich finde, die Geschichte reicht sprachlich und vom Tiefgang her leider nicht an sämtliche Nachfolgewerke heran. Aber man kann es trotzdem gut und auch recht flüssig „in eins durchlesen“, was bei über 1000 Seiten allerdings keiner auf einmal tun wird. 😉 Da man weiß, dass es hier um Kingsbridge geht, wartet man natürlich sehnsüchtig darauf, wie Follett dem Ort seinen Anfang gibt. Ich bin noch nicht ganz durch mit der Geschichte, aber habe mittlerweile wohl eine Ahnung, wie es dazu kommen wird.

Man muss „Die Säulen der Erde“ nicht gelesen haben, um diese Geschichte zu verstehen. Sie steht für sich und ist somit auch hervorragend für Neu-Follett-Leser sowie „Kenner“ geeignet. Ein Pluspunkt, oder? 🙂

Hier kommt ihr zu den Exemplaren in unserem Bestand.

Viel Freude beim Lesen! 🙂 🙂 🙂

kwk

Veranstaltungsübersicht Januar

20.01.2023 | 15.00 – 17.30 Uhr: machMITkunst Bäume & Landschaften

Interessierte können in der Veranstaltungsreihe machMITkunst künstlerisches Beisammensein erleben, abseits von Kaffee und Kuchen.
Menschen ab 60 finden hier ein Angebot, Kontakt aufzunehmen, sich auszutauschen und kreativ tätig zu sein.

Bei diesem Termin widmet sich Kursleiterin Dorothee von Rosenberg Lipinsky mit den Teilnehmenden den Themen Bäume und Landschaft. Es werden ausgewählte Bilder, Gemälde, Stiche und Gedichte vorgestellt, die der Anregung dienen und beim Eintauchen in den Thementag helfen. Nach der Vorstellung können eigene Arbeiten entstehen, ob gezeichnet, gemalt oder als Collage aus ausgeschnittenen Zeitschriften, als Mixed Media, alles ist erlaubt und gewünscht. Auch eigene kleine Texte können entstehen.

Ort: Südlounge | EG
Die Teilnahme ist kostenfrei.
Eine Anmeldung ist aufgrund der begrenzten Plätze erforderlich.


25.01.2023 | 20.00 – 22.00 Uhr: Lesung Emine Sevgi Özdamar „Ein von Schatten begrenzter Raum“ (DIE BIBLIOTHEK SCHLIEßT UM 19 UHR)

Der 2021 erschienene Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“ der diesjährigen Büchner Preisträgerin Emine Sevgi Özdamar ist eine Mischung aus Prosa und Gedicht, Dokument und Mythos. Die Ich-Erzählerin schildert darin ihre Flucht nach dem Militärputsch 1971 aus der Türkei nach Deutschland und weiter nach Frankreich, wo sie an Theatern als Regieassistentin mit namhaften Theaterregisseuren arbeitet. Dabei beleuchtet sie auch die gesellschaftspolitischen Ereignisse, vor allem die repressiven Verhältnisse in der Türkei.

Moderation: Dr. Maria Kublitz-Kramer

Ort: Literaturbühne | EG

Eintritt: 10 € | 5 € für Mitglieder | 3 € für Studierende bis 30 J.

Eine Anmeldung ist erforderlich. 

Eine Veranstaltung der Literarischen Gesellschaft OWL / Literaturhaus Bielefeld e.V.


27.01.2023 | 18.00 Uhr: Breit gefächertes Storytelling – Ausstellung in der Zentralbibliothek am Neumarkt 

Die Abschlussklasse der Fotografen-Auszubildenden des Berufskollegs Senne in Bielefeld Brackwede präsentiert ihre künstlerischen Werke, die während der letzten zweieinhalb Lehrjahre entstanden sind. Unter dem Motto “Focus. Capture. Develop.” werden diverse prägende Arbeiten der jungen Fotograf*innen gezeigt, um einen Einblick in die unterschiedlichsten Bereiche der Fotografie zu vermitteln.

Ort: Zentralbibliothek am Neumarkt

Ausstellungszeitraum:27.01.2023 – 20.02.2023

Weitere Informationen zu den Veranstaltungsreihen findet ihr in unserem Veranstaltungskalender.

Vulkanausbruch 1815

Als 1815 der Tambora in Indonesien ausbrach, hatte das weltweit katastrophale Folgen. Doch erst in den letzten Jahren hat die Wissenschaft diese Zusammenhänge erkannt. Heute erscheinen die Ereignisse wie ein Menetekel auf die großen Themen unserer Zeit: globale Auswirkungen auf das Weltklima, ungewöhnlich viele Wetterextreme und Naturkatastrophen, Migrationsbewegungen, Epidemien, sogar eine Pandemie, Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Wirtschaftskrisen, Kriege … . Kommt da was bekannt vor?

  • Für einige Jahre nach dem gewaltigen Vulkanausbruch am Äquator geriet überall auf der Welt das Klima durcheinander; das führte in vielen Regionen zu Extremwetterlagen wie Starkregen, Hagel, Überflutungen, anderswo zu Dürren oder zu Kälteeinbrüchen, ja, sogar Schnee im Sommer, das berüchtigte „Jahr ohne Sommer“ .
  • Eine besonders schwere Cholera-Epidemie breitete sich entlang der Handels- und Migrationswege über mehrere Kontinente aus und wurde zur Pandemie. In einigen Ländern gab es auch Typhus- und Pest-Epidemien.
  • Missernten, Hungersnöte, Seuchen führten zu Revolten, Kriegen und neuen Auswanderungswellen.
  • Aber es gab auch bemerkenswerte wissenschaftliche und technische Innovationen, die wahrscheinlich durch die Not inspiriert waren, z. B. die systematische Wetterbeobachtung und Auswertung der Wetterdaten oder die Schaffung von Abwasserkanalsystemen in den Metropolen Europas (Vorbild war London, wo der Mediziner John Snow einen Zusammenhang zwischen der Cholera-Epidemie und der Vermischung von Trink- mit Abwasser nachweisen konnte).

Der (wahrscheinlich) größte Vulkanausbruch in geschichtlicher Zeit bewirkte, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur kurzzeitig um etwa 0,4 bis 0,8 Grad Celsius sank. Das erscheint doch gar nicht viel, und das Klima erholte sich immerhin schon nach wenigen Jahren. Trotzdem waren die Auswirkungen so einschneidend.

Sachbücher "Vulkanwinter 1816 : die Welt im Schatten des Tambora" von Gillen D'Arcy Wood und "Tambora und das Jahr ohne Sommer: wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte" von Wolfgang Behringer

Wer mehr darüber wissen möchte, dem empfehle ich das informative Sachbuch „Vulkanwinter 1816 : die Welt im Schatten des Tambora“ von Gillen D’Arcy Wood. Es ist allgemeinverständlich geschrieben; wirklich spannend werden die teils überraschenden Zusammenhänge für Ökologie, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur geschildert und die sensible Abhängigkeit der menschlichen Zivilisationen von stabilen Klimaverhältnissen aufgezeigt. Die globalen und auch langfristigen Folgen der immerhin recht kurzen Klimakrise um 1816 erschrecken – nicht zuletzt angesichts der globalen Klimaerwärmung in unserer Zeit.

Auch der Historiker Wolfgang Behringer stellt in seinem Buch „Tambora und das Jahr ohne Sommer: wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte“ anschaulich und fundiert dar, wie die durch den Vulkanausbruch bewirkte Klimakatastrophe weltweit politische und soziale Krisen auslöste.

Ein interessanter Radiobeitrag des BR von Dagmar Röhrlich „Der Ausbruch des Tambora – der Vulkan, der den Winter brachte“ erzählt kurz zusammengefasst vom Ausbruch und seinen Folgen: die Katastrophe für die Menschen rund um den Tambora, die weltweiten Folgen und die Frage, was ein ähnlicher Ausbruch heute bedeuten würde. (Audio ca. 22 Min.)

Roman "Mary Shelleys Zimmer: als 1816 ein Vulkan die Welt verdunkelte" Von Timo Feldhaus. Das Buch steht auf einem Regal, im Hintergrund ist an einer Wand der Schriftzug "AUSLEIHEN" zu lesen und hinter einer Glasscheibe, in der sich Lichter spiegeln, sitzen Menschen.

Auch einige kulturelle Höhepunkte werden letztlich dem Tambora-Ausbruch zugeschrieben:

  • Eine Gruppe von jungen Schriftsteller*innen saß wegen des schlechten Wetters in der Schweiz fest und vertrieb sich die Zeit u.a. mit Schauergeschichten. Lord Byron schrieb Gedichte, sein Leibarzt, der Schriftsteller John W. Polidori verfasste die erste Vampir-Geschichte der Weltliteratur „The Vampyre“ und Mary Shelley (geb. Godwin) erfand mit „Frankenstein“ gleich ein neues Genre: Science Fiction. (Markus Hofmann schrieb dazu in der NZZ „Wie die Explosion des Tambora die Weltliteratur beflügelt“ .) Eine Biografie über Mary Shelley findet Ihr hier.
  • Die Landschaftsbilder z. B. von William Turner und Caspar David Friedrich sind geprägt von den außergewöhnlichen Sonnenuntergängen und der diesigen Atmosphäre jener Jahre, wie wir heute wissen eine Folge des Vulkanstaubs und der Aerosole, die sich nach dem riesigen Vulkanausbruch rund um den Erdball verteilt hatten und erstaunlich lange in höheren Atmosphärenschichten blieben.

Der 2022 erschienene Roman „Mary Shelleys Zimmer“ von Timo Feldhaus hat gerade diesen ungewöhnlichen Einfluss auf die europäische Kultur zum Thema und erzählt die unkonventionelle Liebesgeschichte der Mary Godwin zu dem Dichter Percy Bysshe Shelley.

Der Leiter des Stadtarchivs Dr. Jochen Rath erzählt in einem zitat- und quellenreichen Blog-Artikel über die konkreten Auswirkungen in Ostwestfalen und die Not in Bielefeld: „August 1816: Achtzehnhundertunderfroren – Das Jahr ohne Sommer im Kreis Bielefeld“.


Bildband "Vulkane" von Olivier Grunewald und Jacques-Marie Bardintzeff und Sachbuch "Das Jahr ohne Sommer: die großen Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte und ihre Folgen" von Jelle Zeilinga de Boer und Donald Theodore Sanders

Wenn Ihr mehr über Vulkane allgemein erfahren wollt, hier eine Empfehlungsliste zu Kindersachbüchern, populär-wissenschaftlichen Erklärungen, Bildbänden und einem wissenschaftlichen Standardwerk:

  • Kindersachbücher über Vulkane findet Ihr in der Kinderbibliothek am Neumarkt in der Gruppe „Erde“, in den Stadtteilbibliotheken im Regal „Natur“ oder „Erdkunde“. Eine Liste aus unserem Katalog mit Büchern und CDs haben wir für Euch hier.
  • Das Sachbuch von Jelle Zeilinga de Boer und Donald Theodore Sanders „Das Jahr ohne Sommer : die grossen Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte und ihre Folgen“ hat auch ein Kapitel über den Tambora-Ausbruch; es beginnt mit dem bronzezeitlichen Ausbruch des Thera (auf der Insel, die heute Santorin heißt) und dem recht gut dokumentierten Vesuvausbruch im Jahre 79, weitere Themen sind z. B. die gewaltige Explosion des Krakatau 1883, der Vulkanismus auf Island und den Hawaii-Inseln und der Ausbruch des Mount St. Helens 1980, dessen Stärke und Zerstörungskraft selbst die Geologen vor Ort überrascht hat.
  • Der Bildband „Vulkane“ von Olivier Grunewald und Jacques-Marie Bardintzeff zeigt großformatige, spektakuläre Fotos von Vulkanen, heißen Quellen, Geysiren und den von ihnen geprägten Landschaften.
  • Kompaktes Wissen über „Erdbeben und Vulkane“ findet Ihr in dem gleichnamigen Buch von Rolf Schick.
  • Noch immer das deutschsprachige Standardwerk ist die ausführliche Einführung „Vulkanismus“ des renommierten Vulkanologen Hans-Ulrich Schmincke: mit vielen Fotos und erklärenden Grafiken.
Sachbücher "Vulkanismus" von Hans-Ulrich Schmincke und "Erdbeben und Vulkane" von Rolf Schick

Viel Freude beim Stöbern und Lesen.
HilDa

Buchtipp: Die kleine Schule der großen Hoffnung

Grenzen|los|lesen
Kanada

Zwei Tage Dienstreise, also zweimal gut 90 Minuten Zugfahrt und eine Hotelübernachtung, dazu evtl. Wartezeiten und die nicht unwahrscheinliche Aussicht auf diverse Verzögerungen bei der Bahn. Da heißt es, ausreichenden Lesestoff dabei zu haben. Der Roman, den ich gerade las, würde nicht mehr lange vorhalten, er war recht kurz und las sich süffig. Aber ein zweites Buch mitschleppen? Nun, da sind eBooks natürlich ideal, der passende Titel war schnell gefunden und heruntergeladen.

Foto von einem Display mit dem Titelbild des eBook "Die kleine Schule der großen Hoffnung", Roman von Naomi Fontaine

In unserer kleinen Reihe Grenzen|los|lesen wollen wir Titel aus anderen Ländern und Kulturen außerhalb der Bestsellerlisten und des sogenannten Mainstream vorstellen. Romane, in denen wir mehr erfahren über das Leben und Denken weit entfernt von unserem eigenen Umfeld. Eine Reise mit zeitgenössischen Romanen um die Welt.

Dass diese Reise nun schon wieder nach Kanada geht, ist kein Zufall. Kanada war 2020/21 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse; das ermutigte viele Verlage, auch Werke von hierzulande noch unbekannten Autor*innen zu übersetzen und auf den deutschsprachigen Markt zu bringen. Dass da Richard Wagamese eine echte Entdeckung ist, haben wir hier schon erwähnt. 🤗 Auf der Suche nach weiteren Büchern über Angehörige der First Nations aus erster Hand fiel der Name der jungen Autorin Naomi Fontaine.

Die kleine Schule der großen Hoffnung“ ist bereits der zweite Roman der Autorin, aber der einzige, der bisher ins Deutsche übersetzt wurde. Im Original heißt er „Manikanetish, Petite Maguerite“, was der Name der Schule ist, um die es in dem Buch geht – benannt nach einer Erzieherin am Ort, die von der Ich-Erzählerin auch als ihr großes Vorbild genannt wird. Der deutsche Titel klingt mir zu sehr nach Edel-Kitsch, aber nun ja. Zwar phantasielos ist er doch zumindest treffend: Die kleine Schule in einem Reservat ist der Mittelpunkt für die neue Lehrerin und für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die trotz aller Widrigkeiten einen Schulabschuss wollen.

Yammie lässt das Stadtleben und ihren Freund Nicolas hinter sich, um im First-Nation-Reservat Uashat als Lehrerin zu arbeiten. Ist sie noch eine Innu, wie die indigene Bevölkerung im Norden der kanadischen Provinz Québec genannt wird, oder ist sie durch Erziehung und Studium der französischen Sprache schon „zu weiß“ geworden? Kann sie als junge Lehrerin den Heranwachsenden, deren Zukunft von Alkohol und Depressionen überschattet ist, Perspektiven bieten? In einem ereignisreichen Jahr wachsen die Schülerinnen und Schüler Yammie ans Herz. Und sie erkennt, dass nicht nur die Jugendlichen reifen, sondern dass auch sie sehr viel von ihnen lernt.
Gefühlvoll und authentisch – dieser ergreifende Roman erzählt vom Leben der Innu, von ihren Sorgen, Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen.

(Inhaltsangabe Klappentext)
Roman "Die kleine Schule der großen Hoffnung" von Naomi Fontaine auf einem bunten Tuch liegend

Ein Roman über eine junge, unerfahrene, aber engagierte Lehrerin an einer deutschen sogenannten Brennpunkt-Schule könnte ganz ähnlich funktionieren. Der Klappentext betont zwar das Leben der Innu, darum geht es im Roman auch, aber nur am Rande. Soziale und familiäre Probleme der Heranwachsenden kennen wir so ähnlich ja auch hier. Die Ich-Erzählerin kommt mit all ihren Selbstzweifeln und Hoffnungen in eine erst einmal geschlossene Gesellschaft, sie ist die Außenseiterin, nicht nur an der Schule, und fällt in tiefe Einsamkeit. Dabei ist sie kaum älter als ihre Schülerinnen. Schicksalsschläge und die gemeinsame, für alle anspruchsvolle Arbeit in der Theater-AG sowie ein Schulausflug in die winterliche Wildnis – und im Norden Kanadas ist die Natur ja nun wirklich wild und unerbittlich – machen aus Schulklasse und Lehrerin ein Team. Doch nicht ohne bittere Verluste: Nicht alle werden den Abschluss schaffen und auch der Weg der Lehrerin verläuft so gar nicht wie geplant.

Ich will nicht zu viel erzählen, der Roman ist eh recht kurz. Sprachlich hat mir Richard Wagamese wesentlich besser gefallen (im Blog hier und hier), seine Erzählungen sind auch vielschichtiger. Naomi Fontaines kleinen Roman über eine Reservatsschule voller Konflikte und Hoffnungen würde ich aber jedem empfehlen, der sich für Pädagogik und die Arbeit mit eher schwierigen Jugendlichen interessiert. Die Art, wie Yammie einen Zugang zu den Schülern findet und wie sie sich selbst dadurch verändert, wie ermutigend auch kleine Schritte sein können für alle Beteiligten – das ist gelungen und schnörkellos erzählt. Und dass ausgerechnet eine herausfordernde Theaterinszenierung den Höhepunkt des Schuljahres bildet, erfreut natürlich mein Theater-Herz besonders.

HilDa

Noch ein kleiner Tipp für alle, die vielleicht noch mehr Literatur aus Kanada entdecken möchten: Margaret Atwood hat eine nicht nur informative, sondern auch amüsante Literaturgeschichte des Landes geschrieben: Survival – ein Streifzug durch die kanadische Literatur.

Buchtipp: Into the wild

Vor einiger Zeit hat mich mal wieder die Lust an Reiseberichten gepackt. Bei meiner Recherche nach interessanten Titeln stieß ich unter anderem auf Into the wild von Jon Krakauer, das wir in englischer Sprache im Bestand haben.

Die Geschichte war gleichzeitig faszinierend aber auch äußerst tragisch. Ein junger Mann, Christopher McCandless, zieht nach dem Studium scheinbar ziellos durch die USA, den Kontakt zu seiner Familie hat er abgebrochen. Sein großer Traum: in die Wildnis von Alaska aufbrechen und dort für eine Weile ganz allein überleben. In Alaska kommt er schließlich an, doch der Traum endet damit, dass einige Reisende im August 1992 die Leiche von Chris McCandless auffinden.

Wie konnte es soweit kommen? Wer war Chris McCandless? Was veranlasste ihn zu seiner zwei jährigen Reise durch die USA? Was faszinierte ihn so sehr an Alaska? Und was führte schlussendlich zu seinem Tod? All diese Fragen stellt Jon Krakauer in Into the wild. Der US-amerikanische Bergsteiger, Reporter und Autor wirft Blicke in die Kindheit und das Elternhaus von McCandless, begibt sich auf die Spuren seiner Reise und befragt Menschen, denen McCandless begegnet ist und bei denen er oft einen großen Eindruck hinterlassen hat. Und schließlich landen wir in Alaska und fragen uns, wie McCandless so unbedacht in die Wildnis wandern konnte. Und erfahren, dass er vielleicht gar nicht so unbedacht war, sondern eher eine Mischung aus jugendlichem Übermut und Pech zu seinem Tod geführt haben.

Während der Lektüre stellte ich selbst immer wieder fest, dass ich Chris McCandless Freiheitsdrang, seinen Wunsch nach Alleinsein mit der Natur unglaublich faszinierend fand – und gleichzeitig blieb vieles an ihm, wie etwa der Kontaktabbruch zu seiner Familie, für mich unverständlich. Jon Krakauer wirft viele spannende Blicke auf Chris McCandless Leben und seine Reise, wir lernen McCandless durch Erzählungen seiner Familie, durch Freunde und Bekannte, durch seine Briefe oder kurze Tagebucheinträge kennen, dabei bleibt er aber immer etwas ungreifbar. Sehr spannend fand ich darum auch zwei Kapitel, in denen Krakauer von seinen eigenen Erfahrungen als junger Bergsteiger spricht, durch die man einen verständnisvolleren Blick auf viele scheinbar unüberlegte und naive Handlungen von McCandless erhält.

Zum Schluss bleibt der Eindruck, der auch im Buch erwähnt wird, dass McCandless in der falschen Zeit lebte, dass er in einer Welt, in der es noch mehr weiße Flecken auf der Karte gab, vielleicht besser aufgehoben gewesen wäre.

Es war auch mal wieder ein Buch, nach dem es mich nun in den Fingern juckt, auch die anderen Bücher von Jon Krakauer am besten alle gleich sofort zu lesen. Im Bestand haben wir noch ein Buch, in dem er von einem desaströsen Mount Everest Abstieg berichtet, bei dem er selbst beteiligt war. Ich glaube das wird nach meinem nächsten Abstecher in die Geographie-Abteilung auf meinem Ausleihkonto landen…

lga

Literaturtage 2022 – persönliche Nachlese #3

Zweimal habe ich hier schon meine Gedanken zu meinen Literaturtage-Lektüren und -Eindrücken aufgeschrieben (hier und hier), dies ist der letzte Teil. Zu den Büchern von Jaroslav Rudiš und Natascha Wodin hatte meine Kollegin Juliane schon etwas geschrieben (hier und hier). Marica Bodrožićs außergewöhnliches Buch wollte ich nach der wunderbaren Lesung am 24. Oktober eigentlich auch noch lesen, weil mir die poetische Sprache sehr gefallen hat. Aber, ach, vielleicht später mal.

Moderator Klaus G. Loest und Schriftstellerin Marica Bodrožić auf der Literaturbühne
am 24. Oktober 2022 (©KlausHansen)

Zuerst einmal beende ich meine persönliche Nachlese zu den diesjährigen Literaturtagen mit folgenden beiden Titeln. Das macht dann immerhin sieben von zehn – das ist doch auch kein schlechter Schnitt. 🤗


Katerina Poladjan: Zukunftsmusik

Die Musik im Radio kündigt Veränderungen an. Wenn der Trauermarsch auf allen Kanälen gespielt wird, ist wohl wieder irgendein hoher Politiker, vielleicht der alte Generalsekretär selbst gestorben an diesem 11. März 1985. Doch was sind da schon für Veränderungen zu erwarten. Da sind die Bewohner der sowjetischen Kommunalka irgendwo östlich von Moskau, auf engem Raum müssen mehrere Personen zusammenleben, eine zufällig zusammengewürfelte Lebensgemeinschaft, in der eigentlich kein Platz für individuelle Entfaltung ist. Und doch haben alle ihre Geheimnisse. Und ihre Träume.

Die Trauermusik aus dem Radio könnte ja vielleicht doch die Ouvertüre zu einer Zeitenwende werden. Oder könnte das kleine, etwas ausufernde Privatkonzert in der Gemeinschaftsküche den Durchbruch bringen? Vorausgesetzt Janka erhält noch rechtzeitig ihre neue Gitarre. Oder ist es die Liebe, die neue, unerwartete Perspektiven schafft? Oder das einfache Spiel eines Kindes? Oder die hochfliegenden Träume der Stillen und Unauffälligen, von denen man es zuletzt erwartet hätte? Kommen die erhofften Veränderungen von außen oder von innen? Oder bricht doch wieder nur alle Hoffnung zusammen und fällt in Schutt und Asche?

Katerina Poladjan beschreibt sehr realistisch den Alltag gegen Ende der Sowjetunion. Ein einziger Tag im Leben dieser kleinen Wohngemeinschaft steht exemplarisch für die Sehnsüchte und Hoffnungen einer untergehenden Zeit. Die Autorin öffnet mit surrealistischen Sequenzen den Zukunftsblick der Protagonisten. Und ein Leser mit dem Wissen von heute fragt sich angesichts der aktuellen Situation in Russland, was sich seit dem vorigen Jahrhundert denn wirklich verändert hat für die Menschen dort.

Nach „Hier sind Löwen“ hat mich das Buch überrascht, „Zukunftsmusik“ hat eine andere Sprache und eine eigene Poesie der Bilder. Ein Roman, bei dem man unwillkürlich Bezüge zur Gegenwart sucht. Die Menschen des Romans haben sich ihre Zukunft so wohl nicht erträumt.

Autorin Katerina Poladjan und Moderatorin Iulia Capros bei der Lesung
am 18. Oktober 2022 (©KlausHansen)

Ulf Erdmann Ziegler: Eine andere Epoche

Eine andere Epoche – oder könnte man es auch eine „Zeitenwende“ nennen? Dieser Begriff fällt ja immer wieder in diesem doch noch recht jungen Jahrhundert; und jetzt wird er gar Wort des Jahres 2022. Nun ja.

Im politischen Roman von Ulf Erdmann Ziegler geht es um das Jahr 2011 und seine Folgen: um die Erkenntnisse, dass das terroristische NSU-Netzwerk für mindestens 10 Morde sowie Bombenanschläge und Banküberfälle verantwortlich ist; und um den Politskandal, der den damaligen Bundespräsidenten zum Rücktritt zwang. Eine ausführlichere Inhaltsbeschreibung des Romans findet Ihr in unserem Artikel zur Lesung am 12. Oktober.

Beim Lesen ist mir bewusst geworden, wie viele Details aus diesen Jahren mir entweder schon wieder entfallen sind oder die ich damals vielleicht gar nicht wahrgenommen habe. Wir waren geschockt, ja, doch wie schnell sind wir wieder zur Tagesordnung übergegangen. Dabei habe ich mich durchaus für gut informiert gehalten. Aber war ich nicht auch müde, von immer neuen Ermittlungspannen und Vertuschungsversuchen zu lesen? Habe ich mich auch lieber von einer miesen Skandalgeschichte ablenken lassen?

Und dann jetzt die aktuellen Nachrichten: wieder Rechtsterroristen, die einen gewaltsamen Umsturz und die Abschaffung unserer Demokratie geplant haben. Wieder werden sie als einzelne Wirrköpfe dargestellt und verharmlost. Wieder ist da der begründete Verdacht, dass es sogar in den Reihen der Ermittler und der Justiz mehr Sympathisanten gibt, als man wahr haben will. Und eben nicht nur Sympathisanten, auch Mittäter und Helfer.

Ich hätte der Lesung mit Ulf Erdmann Ziegler mehr Zuschauer gewünscht. Das Buch kann ich jedenfalls nur empfehlen!

Autor Ulf Erdmann Ziegler und Moderator Dr. Udo Witthaus auf der Literaturbühne
am 18. Oktober 2022 (©KlausHansen)

Nach den Literaturtagen ist vor den Literaturtagen. Das nächste Bücherjahr verspricht wieder aufregend zu werden, die ersten Gespräche und Planungen für unsere Herbst-Lesungen laufen bereits: Literaturtage Bielefeld 2023. Freut Euch auf den Oktober.

Das ganze Jahr über wird es Lesungen in der Stadtbibliothek geben: durch die Literarische Gesellschaft, im Rahmen der Antirassismuswochen Bielefeld oder mit anderen Kooperationspartnern. Und es soll auch wieder einzelne Lesungen in den Stadtteilbibliotheken geben. Die Termine werden über unseren Online-Kalender und die Presse bekannt gegeben.

Bis dahin viel Freude beim Lesen.

HilDa

Vorlesetipp: Tonia im Theater

Mein Vater und ich haben uns mal wieder ein neues Bilderbuch angeschaut. Ich frage meinen Vater ab und zu, ob wir gemeinsam ein mögliches Vorlesebuch prüfen können. Das hat ja nicht nur etwas mit Lesefertigkeit zu tun, das Buch muss mir auch selbst gefallen, Thema und Stil müssen mir liegen und Spaß machen.

Mein Vater spielt also den Zuhörer, ich die Vorleserin. Danach schauen wir uns gemeinsam die Bilder noch einmal ganz genau an, um kleine Details zu entdecken, auf die man neben dem Vorlesen noch extra eingehen könnte. Und ich mache mir Gedanken, wie man bei einer Vorleseveranstaltung in der Bibliothek mehrere Kinder einbeziehen und für die Geschichte oder das Thema begeistern kann. Meinen Vater frage ich nach seiner Meinung.

Allerdings verliert er manchmal das Interesse, das ist dann natürlich auch okay. Meist freut er sich aber, wenn er mir bei meiner Arbeit helfen kann. Er erkundigt sich, was überhaupt mein Beruf ist und wo ich denn arbeite – jedes Mal und oft wiederholt binnen weniger Minuten. Damit muss man halt rechnen, wenn man mit einem Herrn, der leider an Demenz erkrankt ist, zusammen „arbeitet“. Manchmal erzählt er mir dann, dass er auch irgendwann mal in Bielefeld in einem Haus an einer Kreuzung übernachtet hat. Das ist dann eigentlich das Beste beim Vorlesen: Wenn er selbst erzählt, egal was. Das Buch ist dann eben nicht mehr wichtig.

Jedenfalls habe ich ihm versprochen, dass er für seine Hilfe hier erwähnt wird. Und ich soll Euch alle grüßen.

Diesmal ist das Bilderbuch unserer Wahl „Tonia im Theater“ von Judith Kuckart (Text) und Julia Hoße (Illustration). Theater ist nämlich mein Hobby. Und es war mein Vater, der mich schon als Kind in „unsere“ Theatergruppe mitgenommen hat. Schon früh wollte ich, wenn ich mal groß bin, so wie er auf der Bühne stehen. Nun, der Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ich kenne also die verschiedenen Theaterräume und die unterschiedlichen Tätigkeiten hinter und auf der Bühne recht gut.

Bilderbuch "Tonia im Theater" von Judith Kuckart, illustriert von Julia Hoße. Verlag Voland & Quist

Tonia, die Heldin des Bilderbuches, erkundet das Theater, weil sie eine neue Freundin sucht. Von der Theaterkantine bis zum Kostümfundus, durch den Malersaal in die Kostümschneiderei – sie stöbert überall herum und stolpert zuletzt mitten in eine Generalprobe.

Die Autorin Judith Kuckart erzählt mit wenigen Worten, so lässt sie viel Spielraum für die Bilder, in denen noch mehr zu entdecken ist. Die ganzseitigen Illustrationen von Julia Hoße werden mehr und mehr selbst zur Bühne, auf der nicht nur die Geschichte dargestellt und mit kleinen lustigen Details ergänzt wird, sondern da werden Dialoge und zuletzt sogar die Stimme des Märchenerzählers, der auf der großen Theaterbühne spricht, sichtbar. So kann man als Vorleserin das Theaterspiel, in das Tonia hinein gerät, gleich mit inszenieren.

Tonia unterbricht versehentlich die Probe zu einem Kinderstück, weil sie ihre neue Freundin vor den „bösen Räubern“ retten will. Es wird nämlich ein Märchen gespielt, in dem ein armes Waisenmädchen in die Hände von drei wilden Räubern fällt. Natürlich darf sich Tonia auch noch den Rest der Probe ansehen: Das arme Waisenmädchen findet eine neue Familie (ja, ausgerechnet die Räuber, die ja wohl doch nicht so böse sind. Hach ja, Märchen halt). Und die fröhliche kleine Schauspielerin wird Tonias neue Freundin. So ein Ausflug ins Theater lohnt sich wirklich. ☺️

Wer sich noch nicht so gut hinter der Bühne auskennt, erhält Hilfe im ausführlichen Glossar am Ende des Buches, wo einige Theaterbegriffe und die verschiedenen Tätigkeiten kurz und auch für Kinder verständlich erklärt werden: Was macht ein Regisseur; was gibt es in einer Theaterkantine, was bedeutet das Wort „Inszenierung“, …

Ich stelle mir vor, dass ich beim Vorlesen die kleinen Zuhörer und Zuhörerinnen durch Fragen nach eigenen Theatererfahrungen mit einbeziehe. Wer war schon mal im Weihnachtsmärchen? Vielleicht hat ja jemand selbst Theater gespielt, zum Beispiel im Kindergarten (oder bei einer Amateurtheatergruppe wie ich)? Wer durfte schon mal beim Tag der Offenen Tür den Ballettsaal oder die große Bühne im Stadttheater besichtigen? Was ist euer Lieblingskostüm bei Karneval? Habt ihr euch schon mal geschminkt?

Und natürlich könnte ich auch von eigenen Theatererlebnissen erzählen. Ach, da könnte ich viel erzählen …

Aber erst einmal wollte ich mit meinem Vater in Erinnerungen schwelgen. Er hat das Buch aber lieber ganz gründlich ohne mich studiert. Auf meine Frage, ob er sich noch an unsere gemeinsamen Auftritte erinnern könne, hat er nur gelächelt. Ob er noch weiß, dass ich ihm früher beim Textlernen geholfen habe? Jetzt nickt er kurz, ja, das weiß er noch. Ich war noch klein, Grundschulalter, und durfte alle anderen Rollen vorlesen, damit er die Einsätze für seine Auftritte lernen und an der richtigen Stelle seinen Text sagen konnte.
So hat meine Theaterleidenschaft angefangen. Und vielleicht auch meine Freude am Vorlesen.

Auch die Geschichte von Tonia und dem Theater geht bestimmt noch weiter. Wer weiß, vielleicht spielt sie demnächst selbst eine Rolle in einem Kinderstück.

Was würdest du einmal gerne auf einer Theaterbühne spielen?

HilDa

„Tonia im Theater“ gibt es nun auch in der Kinderbibliothek am Neumarkt (Katalogdaten).