Sachbuch-Tipp: Amerikas Gotteskrieger

Auf dieses Sachbuch war ich sehr gespannt. Ich dachte, mehr über den christlichen Fundamentalismus in den USA zu erfahren, denn ich hatte schon mehrfach gehört, dass Anhänger der evangelikalen Kirchen Einfluss auf den Schulunterricht nehmen wollen, aber auch auf Bibliotheksbestände (siehe zum Beispiel: „Zensur in den USA: Diese Literatur ist unerwünscht“ / von Rieke Havertz bei zeitonline) und nicht zuletzt auf die Politik, vor allem in der Republikanischen Partei. Aber insgesamt, so dachte ich, ist das ja eher eine Randgruppe; in einem so fortschrittlichen, demokratischen Land glauben doch nur einige wenige Menschen, dass die Bibel wörtlich zu nehmen ist und alle politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen danach ausgerichtet werden müssen. Ja, dachte ich. Naiv wie ich bin.

Taschenbuch "Amerikas Gotteskrieger: Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet" von Annika Brockschmidt, Rowohlt-Verlag.
Das Buch wird von einer Hand in die Kamera gehalten. Im Hintergrund sieht man eine weiße Zimmerwand u.a. mit einem Heiligenbild links (die Heilige Familie mit Maria, dem Jesuskind und Joseph) und ein Holzkreuz rechts

Annika Brockschmidt fasst in ihrem Buch „Amerikas Gotteskrieger“ viele Forschungsergebnisse und Untersuchungen zusammen, ihr Quellenverzeichnis ist beeindruckend. Sie führt auch viele direkte Zitate an: von christlich-rechten Politikern, erzkonservativen Geistlichen, libertären Wirtschaftsmagnaten, von propagandistischen Medienvertretern und rechtsradikalen, rassistischen Organisationen – und es ist erschreckend. Nein, es sind eben nicht nur die paar Evangelikale, die die Bibel wörtlich nehmen und entsprechend leben wollen. Die Netzwerke der Religiösen Rechten sind viel komplexer und einflussreicher, als ich je befürchtet hatte.

Ziel ist die Auflösung der verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Kirche, ein Kulturkampf gegen die säkulare Moderne – das Untergraben der demokratischen Grundordnung inklusive. Und die Religiöse Rechte ist längst im Zentrum der Macht angekommen.

Wie konnte ein Mann wie Trump zum Präsidenten gewählt werden? Wie konnte die krude Behauptung von der „gestohlenen Wahl“ ein Land wie die USA spalten? Wie konnte es zur gewalttätigen Stürmung des Capitols am 6.1.2021 kommen? Und welchen unsäglichen Einfluss haben da so Verschwörungsmythen wie die der obskuren QAnon-Bewegung?

Zu Verschwörungsmythen hatte ich in letzter Zeit schon einiges gelesen und auch hier im Blog Empfehlungen gegeben. Annika Brockschmidts Buch passt in diesen Themenkomplex, sie schreibt aber nicht über den Einfluss von manipulativen Falschmeldungen und Verschwörungsmythen auf uns im privaten Umfeld, sondern über die ganz großen gesellschaftlichen Umbrüche. Es geht um den Griff zur Macht – und zwar um jeden Preis. Weil sich da einige christliche Nationalisten für „Berufene“ halten und sich einen göttlichen Auftrag zuschreiben. Sie sehen Amerika als „gods own country“ und sich selbst als „Gotteskrieger“. Sie wollen eine neue Zeit erstehen lassen, in der (wieder) White Supremacy gilt, also Rassismus mit weißer Vorherrschaft. Sie wollen zurück zu einer alten Geschlechterordnung, sie kämpfen gegen Abtreibung, LGPTQ*-Rechte und – gerade wieder ganz aktuell – sie hetzen gegen trans Menschen. Aber auch Themen wie Wissenschaftsfeindlichkeit (z. B. die Leugnung der Klimakrise oder auch die Leugnung der Evolution) werden für Propaganda und zur Rekrutierung von Anhängern genutzt. Sie kämpfen mit der Bibel in der einen und der Waffe in der anderen Hand – so ihr eigenes Selbstbild. Ihre Einflussnahme geht durch alle Schichten und Parteien. Aber unüberhörbar sind sie in der Republikanischen Partei – nicht nur bei den Trump-Anhängern. Wohin die zunehmende Radikalisierung der Anhängerschaft führen kann, bewies der  sogenannte Sturm auf das Capitol.

Das Erschreckende ist nicht, dass da eine im Grunde eher kleine, radikal-gläubige Gruppe in einem demokratischen Land überproportional großen Einfluss gewinnen kann. Es sind Netzwerke entstanden, die weit über diesen Kreis hinausgehen. Dazu kommt eine parallele Infrastruktur: eigene Schulen und Hochschulen, eigene Fernsehsender, politisch einflussreiche Think Tanks und vieles mehr. Noch beängstigender finde ich die Bereitschaft, auch unheilige Allianzen einzugehen ganz nach dem Motto: „Der Zweck heiligt alle Mittel“. Die Verbindungen reichen weit ins Rechtsradikale Milieu (um nur zwei auch hierzulande bekannte Stichwort zu nennen: „KuKluxKlan“, „Proud Boys“), als sogenannte „Wolfskönige“ werden auch Männer akzeptiert, die nun wirklich nicht nach christlichen Werten leben, Hauptsache sie sind wirkmächtig (siehe Trump).
Übrigens beschränken sich diese Netzwerke nicht nur auf die USA. Ach.

Klingt das nicht selbst schon wieder nach einer großen Verschwörungstheorie?
Ich habe ein wenig recherchiert und nach Kritiken an Annika Brockschmidts Buch gesucht. Sie selbst wird, vor allem in den Sozialen Medien, sehr persönlich und scheinbar auch heftig aus der rechten Ecke angegangen. Ich suchte aber inhaltliche Kritik und Widerlegungen mit Fakten und Quellen und habe da kaum etwas gefunden. In der Rezension von Benjamin Dahlke in der FAZ („Einblick in eine fremde Welt“ ) wurde der Stil des Buches kritisiert: so viele Namen und Organisationen, man verliere schnell den Überblick. Das ging mir tatsächlich auch so. Vielleicht hätten ergänzende Grafiken oder tabellarische Darstellungen mehr Übersicht gebracht. Der Rezensent vermisste auch, dass „zwar viel dargestellt, aber nur wenig tiefenscharf analysiert wird“.

Ich habe das Buch mehrfach ruhen lassen müssen, denn gerade als Abendlektüre taugte es für mich nicht: Es löste zu viel Grübelei aus, die mich um den Schlaf brachte. Aber Annika Brockschmidt gibt Antworten auf die obigen Fragen. Und mehr. Das Buch hilft, das Amerika nach dem 2. Weltkrieg besser zu verstehen, vor allem natürlich die letzten 2 Jahrzehnte.

Ein beunruhigendes Buch. Ein wichtiges Sachbuch. Leider.
Ich empfehle es mit Nachdruck.

HilDa

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