Nach den Büchern von Pia Lamberty und Katharina Nocun habe ich nun endlich auch Ingrid Brodnigs „Einspruch!“ gelesen. Es gibt mittlerweile eine ergänzte Neuauflage, ich hatte aber noch ein Exemplar der Bestseller-Ausgabe von 2021.
Ingrid Brodnig ist eine österreichische Autorin, die bereits mehrere Bücher und Aufsätze zu den Themen Hass und Hetze im Internet geschrieben hat, sie gibt Workshops und Tipps zum Umgang mit Fake News und Verschwörungsmythen. Ihr Buch „Einspruch!“ überschneidet sich an vielen Punkten mit den beiden Büchern von Lamberty/Nocun und ergänzt sie (oder umgekehrt 🤓).

Die Beispiele und Tipps sind sehr anschaulich und nachvollziehbar. Ingrid Brodnig bezieht sich auf wissenschaftliche Studien, zum Teil auch auf persönliche Gespräche mit Kommunikationswissenschaftlern und Soziologen – und nicht zuletzt mit Betroffenen: mit Menschen, die selbst gefangen waren in einem Konstrukt von Verschwörungsmythen, und mit deren Angehörigen. Ausgehend von diesen konkreten Beispielen erklärt die Autorin die Wirkungsweise von Falschmeldungen (egal ob bewusst als Lüge in die Welt gesetzt oder ob weitergegeben, weil sie geglaubt werden) und sie führt mögliche Strategien dagegen auf. Sie sagt in der Einleitung:
Ich gehe auf den kommenden Seiten vor allem einer Frage nach: Was können Sie als Einzelne oder Einzelner tun, wenn Sie sachlich diskutieren möchten – wenn Sie zur Aufklärung bei einzelnen Themen beitragen oder auch Menschen erreichen wollen, die Ihnen wichtig sind?
Es geht ihr in dem Buch um konkrete Empfehlungen und Tipps, die uns helfen, ausufernde Diskussionen wieder auf die sachliche Ebene zu bringen, Mechanismen der Irreführung zu durchschauen und angemessen zu kontern. Oder wie der Klappentext die Ziele kurz zusammenfasst:
„Warnsignale erkennen – Grenzen ziehen – geschickter argumentieren – Fallstricke durchschauen – Denkmuster aufbrechen – effizienter diskutieren“.
Ich finde das Buch klar verständlich und hilfreich. Die Beispiele, die Ingrid Brodnig erzählt, drehen sich um aktuelle Diskussionsthemen, die leicht auch im persönlichen Umfeld eskalieren können: Corona, Rassismus, Chemtrails, Impfung, Antisemitismus, etc. – leider scheinen die Themen austauschbar, aber die Mechanismen ähneln und wiederholen sich. Internet und Social Media dienen als Beschleuniger im Verbreiten von Gerüchten, Falschmeldungen und Verschwörungsmythen. Menschen verfangen sich im Lügengestrüpp und einige verfallen ihm sogar wie in einer Sekte. Und das ist keine Frage des Alters oder der Bildung. Es kann jeden treffen und uns am Arbeitsplatz, beim Einkauf, in der WhatsApp-Gruppe oder bei der Familienfeier mit der plötzlichen Frage konfrontieren: Wie reagiere ich am besten, ohne mich selbst zu verbiegen. Oder ist vielleicht Schweigen besser in der jeweiligen Situation?
Hilfreich ist auch, dass Ingrid Brodnig beide Gruppen zu Wort kommen lässt: ehemalige Verschwörungsgläubige, die erzählen, wie sie auf Diskussionen und Widerlegungen einst reagiert haben, und Menschen, die Falschmeldungen widersprechen möchten, aber nicht recht wissen, wie.
Ich erinnere mich selbst auch an Situationen, die mich schier sprachlos gemacht haben. Manchmal fehlte mir auch einfach die Kraft, mich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Und manchmal war ich den rhetorischen Kniffen und Gedankensprüngen meines Gegenübers einfach nicht gewachsen. Die Fragen, hätte ich es besser machen können, hätte ich den mir lieben Menschen anders erreichen können, habe ich zu früh aufgegeben – diese Fragen quälten mich schon oft. Wer kennt es nicht, dass man in einer unangenehmen Situation widersprechen möchte, doch es fehlen die rechten Worte; aber kaum ist man aus der Situation heraus, weiß man genau, was man hätte sagen können, hat gar eine geistreiche oder originelle Replik parat – nur eben zu spät. Die Geschichte meines Lebens, nun ja.
Auch Ingrid Brodnig macht mich jetzt nicht mal eben auf ca. 150 Seiten zum überzeugenden, schlagfertigen Diskutanten. Das verspricht sie in ihrem Buch auch gar nicht. Aber sie ermutigt zum Nicht-Aufgeben und zum beharrlichen Kontakthalten auch über Differenzen hinweg, um Menschen, die irgendwie abgedriftet sind, wenigstens eine Tür offen zu halten. Sie verhehlt aber auch das mögliche Scheitern nicht, vor allem, wenn persönliche Gefühle und Verletzungen einfließen.
Auch wenn „Einspruch!“ im Vergleich zu meinen vorherigen Lektüren nichts grundsätzlich Neues brachte, hat es mich doch anders angesprochen und zum Nachdenken gebracht.
HilDa