Buchtipp: Unsterblich sind nur die anderen

Simone Buchholz war mir als Krimiautorin ein Begriff, allerdings hatte ich bisher noch keines ihrer Bücher gelesen. Ihr neuer Roman sei keinem Genre eindeutig zuzuordnen – das hatte mich neugierig gemacht; ein Spontankauf, ohne dass ich viel mehr über das Buch wusste. Bei Twitter las ich viel Lob von begeisterten Leserinnen. Aber da war auch dieser Hashtag #Segelsexbuch. Puh, das hätte mich fast wieder abgeschreckt. Nicht weil ich etwas gegen Segeln hätte. Der Hashtag klang für mich einfach albern, auch als ich die Anspielung endlich begriff (ein anderes Buch hatte einige Monate vorher den Hashtag #Bärensexbuch erhalten – ach, nun ja, Twitter-Literaturbubble-Humor, muss man jetzt nicht weiter ausführen). Zumindest ins Buch hineinschauen wollte ich mal, dann konnte ich es ja immer noch der Bibliothek schenken. 😉

Roman "Unsterblich sind nur die anderen" von Simone Buchholz steht auf einem alten Frisiertisch, angelehnt an eine weiße Keramik-Schüssel, in der eine Kanne im gleichen Design steht. Auf der Kanne  und damit über dem Buch liegt eine Mütze einer Marine-Uniform

Was soll ich sagen: Wenn man einmal anfängt, muss man es auch bis zum Ende lesen! Die seltsame Geschichte packte mich sofort. Und mir gefiel diese Mischung aus Umgangssprache – es gibt viele Dialoge – und originellen Beschreibungen. Ich habe ja schon viel über Sonnenuntergänge oder Stürme oder ja auch Erotisches gelesen. Aber Simone Buchholz findet ganz neuartige Metaphern, schreibt in einem lakonischen Ton und kann mit nur wenigen Worten durch Bilder, Gefühle, wilde Gedankengänge führen, noch dazu mit Humor. Das wirkt lässig, quasi mit der Zigarette im Mundwinkel. (Da wird wirklich viel geraucht und getrunken im Roman.😊)

Tatsächlich ist jedes Wort wohl überlegt. Für die Parallelwelt der Göttinnen wählt die Autorin eine eigene, äußerst reduzierte Form, fast lyrisch. Dem Kapitän gibt sie eine Stimme mit seinen persönlichen Logbucheinträgen, kurz und knapp, wie Logbücher halt so sind, aber mit melancholischem Einschlag. Den dramatischen Höhepunkt inszeniert sie buchstäblich als Theaterstück in 3 Akten. Und wer jetzt glaubt, das Ganze sei aber sehr konstruiert: Nein, das ist süffig geschrieben! Ein Unterhaltungsroman im besten Sinne.

Über den Inhalt möchte ich am Liebsten gar nichts verraten. Es beginnt mit einem Buddelschiff. Dann reisen zwei Frauen auf der Suche nach einigen vermissten Männern mit einem Dampfschiff von Dänemark über die Färöer-Inseln nach Island. Und 14 Tage später …

Ja, Dampfer, aber es wird eben auch gesegelt oder so! Kapitän und Göttinnen, Zigaretten und Drinks, stürmische Überfahrt und Parallelwelten? – Ich fürchte fast, ich habe mit diesen Stichworten doch schon zu viel erzählt. Oder seid Ihr verwirrt? Ach, wer wäre das nicht, wenn er die Wahl hätte zwischen der Unsterblichkeit oder der Liebe. Wie würde der Fliegende Holländer heute entscheiden, wenn er denn frei entscheiden dürfte? Wie würdet Ihr entscheiden? Und wie, wenn es gar nicht mal um Eure Liebe geht, sondern …

Uff, nein. Lest selbst. Unsere Exemplare (Print und eBook) findet Ihr hier.

Ist es Fantasy, ist es ein modernes Märchen, ist es schon Magischer Realismus? Egal, dieser seltsame Roman ist kurzweilige Unterhaltung mit Anspruch.

Und ich sehe jetzt Buddelschiffe mit ganz anderen Augen. 🤩

Viel Freude beim Lesen
HilDa

Buchtipp: Die Amazonen

Seit der Schulzeit interessiere ich mich für Mythologie; meine Geschichtslehrerin in der 5. und 6. Klasse konnte wunderbar die antiken Sagen nacherzählen – der spannendste Geschichtsunterricht ever. Daher dachte ich bisher, ich würde die meisten Geschichten aus der griechischen Sagenwelt zumindest grob kennen. Aber über die Amazonen wusste ich bisher erstaunlich wenig. Ein Volk von Kriegerinnen in einer Männerwelt. Den Namen der Königin Penthesilea hatte ich schon mal gehört: Sie war im Trojanischen Krieg gefallen, und dann gibt es da noch ein gleichnamiges Drama von Heinrich von Kleist.

Aber was ist der Ursprung dieses Kriegerinnenvolks? Gab es für die alten Griechen ein reales Vorbild für den Mythos, vielleicht ein Reitervolk aus den asiatischen Steppen, in dem tatsächlich Kriegerinnen zu Pferde kämpften? Und warum wurde ausgerechnet der südamerikanische Strom Amazonas nach den kriegerischen Frauen benannt?

Tablet mit dem Titelbild des Sachbuchs "Die Amazonen: Töchter von Liebe und Krieg" von Hedwig Appelt, Theiss-Verlag

Hedwig Appelt gelingt mit ihrem Buch „Die Amazonen“ etwas für mich ganz Unerwartetes: ein ausgesprochen unterhaltsames Sachbuch. Sie erzählt – eben so wie meine alte Geschichtslehrerin, die mich einst für die Sagenwelt begeisterte. Sie erzählt die alten Sagen lebendig und spannend mit ihren Worten nach. Dabei verwirrt sie uns nicht mit den verschiedenen Variationen und Auslegungen, die die Sagenstoffe im Laufe der Jahrhunderte durch die mündliche Überlieferung und durch Dichter wie Homer, Hesiod und all die anderen erhalten haben. Die Autorin erzählt von den Königinnen Hippolyte, Penthesilea und Thalestris, aber auch von ihren männlichen Gegnern Herakles, Theseus, Achill und Alexander dem Großen, von den olympischen Göttern, ihren Machtkämpfen und Intrigen, von den Liebesgeschichten, den Kriegen und Schlachten. Hedwig Appelt spannt den Bogen von der Sagen- und Mythenwelt zu den historischen Quellen und zur Archäologie bis hin zur Popkultur heute, wo die Amazonen vor allem in Fantasy, Science Fiction und Comic lebendiger sind denn je. Und ausgerechnet im Namen eines Internet-Konzerns nun die Welt erobern.

Das Buch vertraut ganz auf das Erzählen, auf die Geschichten, auf das Wort. Es kommt erstaunlicherweise ohne Illustrationen aus, obwohl das Amazonen-Motiv doch über all die Jahrtausende beliebt in der Kunst war und ist: auf griechischen Keramiken, in den Gemälden berühmter Künstler, bei modernen Comiczeichnern oder im Film und Fernsehen. Die Kulturgeschichte der Amazonen in der Bildenden Kunst ist jedoch nicht Thema dieses Buches. Ich habe auch keine Bilder oder Fotos vermisst. Eigentlich ist mir das erst aufgefallen, als ich in unserer Bibliothek noch ein anderes Buch über die Amazonen gesehen habe. Ich denke, auf das Thema komme ich noch mal zurück.🤔

Aber erst einmal zu diesem Sachbuch, das so gut geschrieben ist, dass ich es tatsächlich nicht wieder weglegen konnte (so hatte es der Klappentext auch versprochen, aber wer glaubt schon Werbesprüchen). Ich empfehle es gerne weiter.

Das Buch ist bereits im Jahr 2009 erschienen. Wir haben es als eBook in der OnleiheOWL.

HilDa

Buchtipp: Ken Follett „Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit“

Endlich wieder ein Buch von Ken Follett. Endlich wieder Kingsbridge! Beziehungsweise… das Buch spielt vor dem Bestseller „Die Säulen der Erde“. Das Prequel sozusagen. Wir werden ins England um 997 nach Christus versetzt. Wie bei vielen historischen Romanen werden auch hier wieder verschiedene Personen in die Geschichte eingeführt und die jeweiligen Erzählstränge haben dann im Laufe der Geschichte immer mehr miteinander zu tun:

Nachdem die Wikinger die Stadt Combe heimgesucht und eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben, bleibt dem jungen Bootsbauer Edgar und seiner Familie weder ihre Werft noch ihr Heim und sie nehmen in ihrer Not das Angebot an, in einem verlassenen Bauernhof in einem kleinen Weiler namens „Dreng’s Ferry“ fern der Küste heimisch zu werden.

Ragna, ihres Zeichens Tochter eines normannischen Grafen, verschlägt es durch ihre Heirat mit dem Aldermann Wilwulf aus Cherbourg nach Shiring. Ihre pragmatische Art und ihr Gerechtigkeits-Sinn stehen im totalen Gegensatz zu der damaligen Vorstellung, dass Frauen nur für Kind und Heim zuständig sind. Zudem hat ihr Ehemann zwei Brüder, die versuchen, ihre Position durch ständige Intrigen zu schwächen. Einer der Brüder ist Bischof Wynstan, der sehr gut geschrieben ist und mich beim Lesen des Öfteren zur Weißglut bringt.

Der Mönch Aldred begegnet Ragna in Cherbourg, wo er ein paar kostbare Bücher erstanden hat. Die beiden treffen sich in England wieder. Durch unglückliche Umstände wird Aldred nach „Dreng’s Ferry“ versetzt. Er, Edgar und Ragna bilden das „gute“ Gespann der Geschichte. Und dann gibt es auch noch „Ironface“, der in den Wäldern rund um den kleinen Weiler sein Unwesen treibt…

Leider erfährt man nicht viel über Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit, einzig das Rechtssystem wird deutlicher hervorgehoben. In typischer Follett-Manier gibt es hier Gut gegen Böse und mit Ragna auch wieder eine starke weibliche Figur. Alle, die etwas total neues erwartet haben, werden enttäuscht. Ich persönlich finde, die Geschichte reicht sprachlich und vom Tiefgang her leider nicht an sämtliche Nachfolgewerke heran. Aber man kann es trotzdem gut und auch recht flüssig „in eins durchlesen“, was bei über 1000 Seiten allerdings keiner auf einmal tun wird. 😉 Da man weiß, dass es hier um Kingsbridge geht, wartet man natürlich sehnsüchtig darauf, wie Follett dem Ort seinen Anfang gibt. Ich bin noch nicht ganz durch mit der Geschichte, aber habe mittlerweile wohl eine Ahnung, wie es dazu kommen wird.

Man muss „Die Säulen der Erde“ nicht gelesen haben, um diese Geschichte zu verstehen. Sie steht für sich und ist somit auch hervorragend für Neu-Follett-Leser sowie „Kenner“ geeignet. Ein Pluspunkt, oder? 🙂

Hier kommt ihr zu den Exemplaren in unserem Bestand.

Viel Freude beim Lesen! 🙂 🙂 🙂

kwk

Vulkanausbruch 1815

Als 1815 der Tambora in Indonesien ausbrach, hatte das weltweit katastrophale Folgen. Doch erst in den letzten Jahren hat die Wissenschaft diese Zusammenhänge erkannt. Heute erscheinen die Ereignisse wie ein Menetekel auf die großen Themen unserer Zeit: globale Auswirkungen auf das Weltklima, ungewöhnlich viele Wetterextreme und Naturkatastrophen, Migrationsbewegungen, Epidemien, sogar eine Pandemie, Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Wirtschaftskrisen, Kriege … . Kommt da was bekannt vor?

  • Für einige Jahre nach dem gewaltigen Vulkanausbruch am Äquator geriet überall auf der Welt das Klima durcheinander; das führte in vielen Regionen zu Extremwetterlagen wie Starkregen, Hagel, Überflutungen, anderswo zu Dürren oder zu Kälteeinbrüchen, ja, sogar Schnee im Sommer, das berüchtigte „Jahr ohne Sommer“ .
  • Eine besonders schwere Cholera-Epidemie breitete sich entlang der Handels- und Migrationswege über mehrere Kontinente aus und wurde zur Pandemie. In einigen Ländern gab es auch Typhus- und Pest-Epidemien.
  • Missernten, Hungersnöte, Seuchen führten zu Revolten, Kriegen und neuen Auswanderungswellen.
  • Aber es gab auch bemerkenswerte wissenschaftliche und technische Innovationen, die wahrscheinlich durch die Not inspiriert waren, z. B. die systematische Wetterbeobachtung und Auswertung der Wetterdaten oder die Schaffung von Abwasserkanalsystemen in den Metropolen Europas (Vorbild war London, wo der Mediziner John Snow einen Zusammenhang zwischen der Cholera-Epidemie und der Vermischung von Trink- mit Abwasser nachweisen konnte).

Der (wahrscheinlich) größte Vulkanausbruch in geschichtlicher Zeit bewirkte, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur kurzzeitig um etwa 0,4 bis 0,8 Grad Celsius sank. Das erscheint doch gar nicht viel, und das Klima erholte sich immerhin schon nach wenigen Jahren. Trotzdem waren die Auswirkungen so einschneidend.

Sachbücher "Vulkanwinter 1816 : die Welt im Schatten des Tambora" von Gillen D'Arcy Wood und "Tambora und das Jahr ohne Sommer: wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte" von Wolfgang Behringer

Wer mehr darüber wissen möchte, dem empfehle ich das informative Sachbuch „Vulkanwinter 1816 : die Welt im Schatten des Tambora“ von Gillen D’Arcy Wood. Es ist allgemeinverständlich geschrieben; wirklich spannend werden die teils überraschenden Zusammenhänge für Ökologie, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur geschildert und die sensible Abhängigkeit der menschlichen Zivilisationen von stabilen Klimaverhältnissen aufgezeigt. Die globalen und auch langfristigen Folgen der immerhin recht kurzen Klimakrise um 1816 erschrecken – nicht zuletzt angesichts der globalen Klimaerwärmung in unserer Zeit.

Auch der Historiker Wolfgang Behringer stellt in seinem Buch „Tambora und das Jahr ohne Sommer: wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte“ anschaulich und fundiert dar, wie die durch den Vulkanausbruch bewirkte Klimakatastrophe weltweit politische und soziale Krisen auslöste.

Ein interessanter Radiobeitrag des BR von Dagmar Röhrlich „Der Ausbruch des Tambora – der Vulkan, der den Winter brachte“ erzählt kurz zusammengefasst vom Ausbruch und seinen Folgen: die Katastrophe für die Menschen rund um den Tambora, die weltweiten Folgen und die Frage, was ein ähnlicher Ausbruch heute bedeuten würde. (Audio ca. 22 Min.)

Roman "Mary Shelleys Zimmer: als 1816 ein Vulkan die Welt verdunkelte" Von Timo Feldhaus. Das Buch steht auf einem Regal, im Hintergrund ist an einer Wand der Schriftzug "AUSLEIHEN" zu lesen und hinter einer Glasscheibe, in der sich Lichter spiegeln, sitzen Menschen.

Auch einige kulturelle Höhepunkte werden letztlich dem Tambora-Ausbruch zugeschrieben:

  • Eine Gruppe von jungen Schriftsteller*innen saß wegen des schlechten Wetters in der Schweiz fest und vertrieb sich die Zeit u.a. mit Schauergeschichten. Lord Byron schrieb Gedichte, sein Leibarzt, der Schriftsteller John W. Polidori verfasste die erste Vampir-Geschichte der Weltliteratur „The Vampyre“ und Mary Shelley (geb. Godwin) erfand mit „Frankenstein“ gleich ein neues Genre: Science Fiction. (Markus Hofmann schrieb dazu in der NZZ „Wie die Explosion des Tambora die Weltliteratur beflügelt“ .) Eine Biografie über Mary Shelley findet Ihr hier.
  • Die Landschaftsbilder z. B. von William Turner und Caspar David Friedrich sind geprägt von den außergewöhnlichen Sonnenuntergängen und der diesigen Atmosphäre jener Jahre, wie wir heute wissen eine Folge des Vulkanstaubs und der Aerosole, die sich nach dem riesigen Vulkanausbruch rund um den Erdball verteilt hatten und erstaunlich lange in höheren Atmosphärenschichten blieben.

Der 2022 erschienene Roman „Mary Shelleys Zimmer“ von Timo Feldhaus hat gerade diesen ungewöhnlichen Einfluss auf die europäische Kultur zum Thema und erzählt die unkonventionelle Liebesgeschichte der Mary Godwin zu dem Dichter Percy Bysshe Shelley.

Der Leiter des Stadtarchivs Dr. Jochen Rath erzählt in einem zitat- und quellenreichen Blog-Artikel über die konkreten Auswirkungen in Ostwestfalen und die Not in Bielefeld: „August 1816: Achtzehnhundertunderfroren – Das Jahr ohne Sommer im Kreis Bielefeld“.


Bildband "Vulkane" von Olivier Grunewald und Jacques-Marie Bardintzeff und Sachbuch "Das Jahr ohne Sommer: die großen Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte und ihre Folgen" von Jelle Zeilinga de Boer und Donald Theodore Sanders

Wenn Ihr mehr über Vulkane allgemein erfahren wollt, hier eine Empfehlungsliste zu Kindersachbüchern, populär-wissenschaftlichen Erklärungen, Bildbänden und einem wissenschaftlichen Standardwerk:

  • Kindersachbücher über Vulkane findet Ihr in der Kinderbibliothek am Neumarkt in der Gruppe „Erde“, in den Stadtteilbibliotheken im Regal „Natur“ oder „Erdkunde“. Eine Liste aus unserem Katalog mit Büchern und CDs haben wir für Euch hier.
  • Das Sachbuch von Jelle Zeilinga de Boer und Donald Theodore Sanders „Das Jahr ohne Sommer : die grossen Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte und ihre Folgen“ hat auch ein Kapitel über den Tambora-Ausbruch; es beginnt mit dem bronzezeitlichen Ausbruch des Thera (auf der Insel, die heute Santorin heißt) und dem recht gut dokumentierten Vesuvausbruch im Jahre 79, weitere Themen sind z. B. die gewaltige Explosion des Krakatau 1883, der Vulkanismus auf Island und den Hawaii-Inseln und der Ausbruch des Mount St. Helens 1980, dessen Stärke und Zerstörungskraft selbst die Geologen vor Ort überrascht hat.
  • Der Bildband „Vulkane“ von Olivier Grunewald und Jacques-Marie Bardintzeff zeigt großformatige, spektakuläre Fotos von Vulkanen, heißen Quellen, Geysiren und den von ihnen geprägten Landschaften.
  • Kompaktes Wissen über „Erdbeben und Vulkane“ findet Ihr in dem gleichnamigen Buch von Rolf Schick.
  • Noch immer das deutschsprachige Standardwerk ist die ausführliche Einführung „Vulkanismus“ des renommierten Vulkanologen Hans-Ulrich Schmincke: mit vielen Fotos und erklärenden Grafiken.
Sachbücher "Vulkanismus" von Hans-Ulrich Schmincke und "Erdbeben und Vulkane" von Rolf Schick

Viel Freude beim Stöbern und Lesen.
HilDa

Buchtipp: Die kleine Schule der großen Hoffnung

Grenzen|los|lesen
Kanada

Zwei Tage Dienstreise, also zweimal gut 90 Minuten Zugfahrt und eine Hotelübernachtung, dazu evtl. Wartezeiten und die nicht unwahrscheinliche Aussicht auf diverse Verzögerungen bei der Bahn. Da heißt es, ausreichenden Lesestoff dabei zu haben. Der Roman, den ich gerade las, würde nicht mehr lange vorhalten, er war recht kurz und las sich süffig. Aber ein zweites Buch mitschleppen? Nun, da sind eBooks natürlich ideal, der passende Titel war schnell gefunden und heruntergeladen.

Foto von einem Display mit dem Titelbild des eBook "Die kleine Schule der großen Hoffnung", Roman von Naomi Fontaine

In unserer kleinen Reihe Grenzen|los|lesen wollen wir Titel aus anderen Ländern und Kulturen außerhalb der Bestsellerlisten und des sogenannten Mainstream vorstellen. Romane, in denen wir mehr erfahren über das Leben und Denken weit entfernt von unserem eigenen Umfeld. Eine Reise mit zeitgenössischen Romanen um die Welt.

Dass diese Reise nun schon wieder nach Kanada geht, ist kein Zufall. Kanada war 2020/21 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse; das ermutigte viele Verlage, auch Werke von hierzulande noch unbekannten Autor*innen zu übersetzen und auf den deutschsprachigen Markt zu bringen. Dass da Richard Wagamese eine echte Entdeckung ist, haben wir hier schon erwähnt. 🤗 Auf der Suche nach weiteren Büchern über Angehörige der First Nations aus erster Hand fiel der Name der jungen Autorin Naomi Fontaine.

Die kleine Schule der großen Hoffnung“ ist bereits der zweite Roman der Autorin, aber der einzige, der bisher ins Deutsche übersetzt wurde. Im Original heißt er „Manikanetish, Petite Maguerite“, was der Name der Schule ist, um die es in dem Buch geht – benannt nach einer Erzieherin am Ort, die von der Ich-Erzählerin auch als ihr großes Vorbild genannt wird. Der deutsche Titel klingt mir zu sehr nach Edel-Kitsch, aber nun ja. Zwar phantasielos ist er doch zumindest treffend: Die kleine Schule in einem Reservat ist der Mittelpunkt für die neue Lehrerin und für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die trotz aller Widrigkeiten einen Schulabschuss wollen.

Yammie lässt das Stadtleben und ihren Freund Nicolas hinter sich, um im First-Nation-Reservat Uashat als Lehrerin zu arbeiten. Ist sie noch eine Innu, wie die indigene Bevölkerung im Norden der kanadischen Provinz Québec genannt wird, oder ist sie durch Erziehung und Studium der französischen Sprache schon „zu weiß“ geworden? Kann sie als junge Lehrerin den Heranwachsenden, deren Zukunft von Alkohol und Depressionen überschattet ist, Perspektiven bieten? In einem ereignisreichen Jahr wachsen die Schülerinnen und Schüler Yammie ans Herz. Und sie erkennt, dass nicht nur die Jugendlichen reifen, sondern dass auch sie sehr viel von ihnen lernt.
Gefühlvoll und authentisch – dieser ergreifende Roman erzählt vom Leben der Innu, von ihren Sorgen, Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen.

(Inhaltsangabe Klappentext)
Roman "Die kleine Schule der großen Hoffnung" von Naomi Fontaine auf einem bunten Tuch liegend

Ein Roman über eine junge, unerfahrene, aber engagierte Lehrerin an einer deutschen sogenannten Brennpunkt-Schule könnte ganz ähnlich funktionieren. Der Klappentext betont zwar das Leben der Innu, darum geht es im Roman auch, aber nur am Rande. Soziale und familiäre Probleme der Heranwachsenden kennen wir so ähnlich ja auch hier. Die Ich-Erzählerin kommt mit all ihren Selbstzweifeln und Hoffnungen in eine erst einmal geschlossene Gesellschaft, sie ist die Außenseiterin, nicht nur an der Schule, und fällt in tiefe Einsamkeit. Dabei ist sie kaum älter als ihre Schülerinnen. Schicksalsschläge und die gemeinsame, für alle anspruchsvolle Arbeit in der Theater-AG sowie ein Schulausflug in die winterliche Wildnis – und im Norden Kanadas ist die Natur ja nun wirklich wild und unerbittlich – machen aus Schulklasse und Lehrerin ein Team. Doch nicht ohne bittere Verluste: Nicht alle werden den Abschluss schaffen und auch der Weg der Lehrerin verläuft so gar nicht wie geplant.

Ich will nicht zu viel erzählen, der Roman ist eh recht kurz. Sprachlich hat mir Richard Wagamese wesentlich besser gefallen (im Blog hier und hier), seine Erzählungen sind auch vielschichtiger. Naomi Fontaines kleinen Roman über eine Reservatsschule voller Konflikte und Hoffnungen würde ich aber jedem empfehlen, der sich für Pädagogik und die Arbeit mit eher schwierigen Jugendlichen interessiert. Die Art, wie Yammie einen Zugang zu den Schülern findet und wie sie sich selbst dadurch verändert, wie ermutigend auch kleine Schritte sein können für alle Beteiligten – das ist gelungen und schnörkellos erzählt. Und dass ausgerechnet eine herausfordernde Theaterinszenierung den Höhepunkt des Schuljahres bildet, erfreut natürlich mein Theater-Herz besonders.

HilDa

Noch ein kleiner Tipp für alle, die vielleicht noch mehr Literatur aus Kanada entdecken möchten: Margaret Atwood hat eine nicht nur informative, sondern auch amüsante Literaturgeschichte des Landes geschrieben: Survival – ein Streifzug durch die kanadische Literatur.

Buchtipp: Into the wild

Vor einiger Zeit hat mich mal wieder die Lust an Reiseberichten gepackt. Bei meiner Recherche nach interessanten Titeln stieß ich unter anderem auf Into the wild von Jon Krakauer, das wir in englischer Sprache im Bestand haben.

Die Geschichte war gleichzeitig faszinierend aber auch äußerst tragisch. Ein junger Mann, Christopher McCandless, zieht nach dem Studium scheinbar ziellos durch die USA, den Kontakt zu seiner Familie hat er abgebrochen. Sein großer Traum: in die Wildnis von Alaska aufbrechen und dort für eine Weile ganz allein überleben. In Alaska kommt er schließlich an, doch der Traum endet damit, dass einige Reisende im August 1992 die Leiche von Chris McCandless auffinden.

Wie konnte es soweit kommen? Wer war Chris McCandless? Was veranlasste ihn zu seiner zwei jährigen Reise durch die USA? Was faszinierte ihn so sehr an Alaska? Und was führte schlussendlich zu seinem Tod? All diese Fragen stellt Jon Krakauer in Into the wild. Der US-amerikanische Bergsteiger, Reporter und Autor wirft Blicke in die Kindheit und das Elternhaus von McCandless, begibt sich auf die Spuren seiner Reise und befragt Menschen, denen McCandless begegnet ist und bei denen er oft einen großen Eindruck hinterlassen hat. Und schließlich landen wir in Alaska und fragen uns, wie McCandless so unbedacht in die Wildnis wandern konnte. Und erfahren, dass er vielleicht gar nicht so unbedacht war, sondern eher eine Mischung aus jugendlichem Übermut und Pech zu seinem Tod geführt haben.

Während der Lektüre stellte ich selbst immer wieder fest, dass ich Chris McCandless Freiheitsdrang, seinen Wunsch nach Alleinsein mit der Natur unglaublich faszinierend fand – und gleichzeitig blieb vieles an ihm, wie etwa der Kontaktabbruch zu seiner Familie, für mich unverständlich. Jon Krakauer wirft viele spannende Blicke auf Chris McCandless Leben und seine Reise, wir lernen McCandless durch Erzählungen seiner Familie, durch Freunde und Bekannte, durch seine Briefe oder kurze Tagebucheinträge kennen, dabei bleibt er aber immer etwas ungreifbar. Sehr spannend fand ich darum auch zwei Kapitel, in denen Krakauer von seinen eigenen Erfahrungen als junger Bergsteiger spricht, durch die man einen verständnisvolleren Blick auf viele scheinbar unüberlegte und naive Handlungen von McCandless erhält.

Zum Schluss bleibt der Eindruck, der auch im Buch erwähnt wird, dass McCandless in der falschen Zeit lebte, dass er in einer Welt, in der es noch mehr weiße Flecken auf der Karte gab, vielleicht besser aufgehoben gewesen wäre.

Es war auch mal wieder ein Buch, nach dem es mich nun in den Fingern juckt, auch die anderen Bücher von Jon Krakauer am besten alle gleich sofort zu lesen. Im Bestand haben wir noch ein Buch, in dem er von einem desaströsen Mount Everest Abstieg berichtet, bei dem er selbst beteiligt war. Ich glaube das wird nach meinem nächsten Abstecher in die Geographie-Abteilung auf meinem Ausleihkonto landen…

lga

Literaturtage 2022 – persönliche Nachlese #3

Zweimal habe ich hier schon meine Gedanken zu meinen Literaturtage-Lektüren und -Eindrücken aufgeschrieben (hier und hier), dies ist der letzte Teil. Zu den Büchern von Jaroslav Rudiš und Natascha Wodin hatte meine Kollegin Juliane schon etwas geschrieben (hier und hier). Marica Bodrožićs außergewöhnliches Buch wollte ich nach der wunderbaren Lesung am 24. Oktober eigentlich auch noch lesen, weil mir die poetische Sprache sehr gefallen hat. Aber, ach, vielleicht später mal.

Moderator Klaus G. Loest und Schriftstellerin Marica Bodrožić auf der Literaturbühne
am 24. Oktober 2022 (©KlausHansen)

Zuerst einmal beende ich meine persönliche Nachlese zu den diesjährigen Literaturtagen mit folgenden beiden Titeln. Das macht dann immerhin sieben von zehn – das ist doch auch kein schlechter Schnitt. 🤗


Katerina Poladjan: Zukunftsmusik

Die Musik im Radio kündigt Veränderungen an. Wenn der Trauermarsch auf allen Kanälen gespielt wird, ist wohl wieder irgendein hoher Politiker, vielleicht der alte Generalsekretär selbst gestorben an diesem 11. März 1985. Doch was sind da schon für Veränderungen zu erwarten. Da sind die Bewohner der sowjetischen Kommunalka irgendwo östlich von Moskau, auf engem Raum müssen mehrere Personen zusammenleben, eine zufällig zusammengewürfelte Lebensgemeinschaft, in der eigentlich kein Platz für individuelle Entfaltung ist. Und doch haben alle ihre Geheimnisse. Und ihre Träume.

Die Trauermusik aus dem Radio könnte ja vielleicht doch die Ouvertüre zu einer Zeitenwende werden. Oder könnte das kleine, etwas ausufernde Privatkonzert in der Gemeinschaftsküche den Durchbruch bringen? Vorausgesetzt Janka erhält noch rechtzeitig ihre neue Gitarre. Oder ist es die Liebe, die neue, unerwartete Perspektiven schafft? Oder das einfache Spiel eines Kindes? Oder die hochfliegenden Träume der Stillen und Unauffälligen, von denen man es zuletzt erwartet hätte? Kommen die erhofften Veränderungen von außen oder von innen? Oder bricht doch wieder nur alle Hoffnung zusammen und fällt in Schutt und Asche?

Katerina Poladjan beschreibt sehr realistisch den Alltag gegen Ende der Sowjetunion. Ein einziger Tag im Leben dieser kleinen Wohngemeinschaft steht exemplarisch für die Sehnsüchte und Hoffnungen einer untergehenden Zeit. Die Autorin öffnet mit surrealistischen Sequenzen den Zukunftsblick der Protagonisten. Und ein Leser mit dem Wissen von heute fragt sich angesichts der aktuellen Situation in Russland, was sich seit dem vorigen Jahrhundert denn wirklich verändert hat für die Menschen dort.

Nach „Hier sind Löwen“ hat mich das Buch überrascht, „Zukunftsmusik“ hat eine andere Sprache und eine eigene Poesie der Bilder. Ein Roman, bei dem man unwillkürlich Bezüge zur Gegenwart sucht. Die Menschen des Romans haben sich ihre Zukunft so wohl nicht erträumt.

Autorin Katerina Poladjan und Moderatorin Iulia Capros bei der Lesung
am 18. Oktober 2022 (©KlausHansen)

Ulf Erdmann Ziegler: Eine andere Epoche

Eine andere Epoche – oder könnte man es auch eine „Zeitenwende“ nennen? Dieser Begriff fällt ja immer wieder in diesem doch noch recht jungen Jahrhundert; und jetzt wird er gar Wort des Jahres 2022. Nun ja.

Im politischen Roman von Ulf Erdmann Ziegler geht es um das Jahr 2011 und seine Folgen: um die Erkenntnisse, dass das terroristische NSU-Netzwerk für mindestens 10 Morde sowie Bombenanschläge und Banküberfälle verantwortlich ist; und um den Politskandal, der den damaligen Bundespräsidenten zum Rücktritt zwang. Eine ausführlichere Inhaltsbeschreibung des Romans findet Ihr in unserem Artikel zur Lesung am 12. Oktober.

Beim Lesen ist mir bewusst geworden, wie viele Details aus diesen Jahren mir entweder schon wieder entfallen sind oder die ich damals vielleicht gar nicht wahrgenommen habe. Wir waren geschockt, ja, doch wie schnell sind wir wieder zur Tagesordnung übergegangen. Dabei habe ich mich durchaus für gut informiert gehalten. Aber war ich nicht auch müde, von immer neuen Ermittlungspannen und Vertuschungsversuchen zu lesen? Habe ich mich auch lieber von einer miesen Skandalgeschichte ablenken lassen?

Und dann jetzt die aktuellen Nachrichten: wieder Rechtsterroristen, die einen gewaltsamen Umsturz und die Abschaffung unserer Demokratie geplant haben. Wieder werden sie als einzelne Wirrköpfe dargestellt und verharmlost. Wieder ist da der begründete Verdacht, dass es sogar in den Reihen der Ermittler und der Justiz mehr Sympathisanten gibt, als man wahr haben will. Und eben nicht nur Sympathisanten, auch Mittäter und Helfer.

Ich hätte der Lesung mit Ulf Erdmann Ziegler mehr Zuschauer gewünscht. Das Buch kann ich jedenfalls nur empfehlen!

Autor Ulf Erdmann Ziegler und Moderator Dr. Udo Witthaus auf der Literaturbühne
am 18. Oktober 2022 (©KlausHansen)

Nach den Literaturtagen ist vor den Literaturtagen. Das nächste Bücherjahr verspricht wieder aufregend zu werden, die ersten Gespräche und Planungen für unsere Herbst-Lesungen laufen bereits: Literaturtage Bielefeld 2023. Freut Euch auf den Oktober.

Das ganze Jahr über wird es Lesungen in der Stadtbibliothek geben: durch die Literarische Gesellschaft, im Rahmen der Antirassismuswochen Bielefeld oder mit anderen Kooperationspartnern. Und es soll auch wieder einzelne Lesungen in den Stadtteilbibliotheken geben. Die Termine werden über unseren Online-Kalender und die Presse bekannt gegeben.

Bis dahin viel Freude beim Lesen.

HilDa

Vorlesetipp: Weihnachtsgeschichten vom kleinen Raben Socke

Das erste Rabe-Socke-Buch, das ich verschenkt habe, durfte ich bestimmt dreimal hintereinander vorlesen. Es sind ja auch schöne Geschichten. Eigentlich ist Socke gar kein Rabe, sondern eine Alpendohle. Wir wollen aber nicht so kleinlich sein, beide gehören zur Familie der Rabenvögel.

Sechs Geschichten sind in diesem Buch mit verschiedenen Themen rund um Weihnachten: ein Adventskranz darf nicht fehlen, Socke und seine Freunde veranstalten einen Weihnachtsmarkt, wollen ihren Wald weihnachtlich dekorieren und backen Kekse. Aber Socke muss sich auch allein beschäftigen, da alle mit Vorbereitungen beschäftigt sind. Schließlich verschwinden auch die Weihnachtsgeschenke, woran Socke nicht ganz unschuldig ist.

Die Geschichten verlaufen natürlich nicht wie geplant. Irgendwas geht eben immer schief. Aber vielleicht findet sich ja am Ende eine Lösung. Zum Abschluss des Buches gibt es zu jeder Geschichte Fragen, die beantwortet werden können. Die Geschichten sind etwas länger als in den Bilderbüchern und richten sich eher an ältere Kinder ab 6 Jahren. Dieses und weitere Bücher zum Thema Weihnachten mit dem kleinen Raben Socke findet ihr hier in unserem Katalog und alle Bücher, Hörbücher und Filme rund um Socke sind hier zu finden.

Juliane

Vorlesetipp: Ein Schaf fürs Leben

Geht es euch auch so? Beim Vorlesen für Kinder muss mir das Buch selber auch gefallen, sonst wird das mit dem richtigen Vorlesen schwierig.

So ein Buch ist auf jeden Fall „Ein Schaf fürs Leben“ von Maritgen Matter.

Die Geschichte könnte recht schnell erzählt sein: Ein Wolf hat fürchterlichen Hunger, trifft auf ein Schaf – wie passend – und zack…

Soweit der Plan des Wolfs. Er muss jedoch umdisponieren und lädt das arglose Schaf zu einem nächtlichen Schlittenausflug ein, bei dem er dann seinen Plan umsetzen möchte. Das Schaf ahnt von alldem nichts, bewundert den Wolf, sieht in ihm einen Dichter, der ihm Erfahrungen zeigen möchte. Und los geht die wilde Fahrt.

Doch sie endet komplett anders als vom Wolf geplant. Ein Unglück passiert, das Schaf wird zum Lebensretter. Kann der Wolf bei so viel Freundschaft und Herzenswärme hart bleiben?

Die zauberhafte Geschichte wird mit den Bildern von Anke Faust wunderbar unterstrichen und bekam 2004 zu Recht den Deutschen Jugendliteraturpreis, Kategorie Kinderbuch, verliehen.

In der Bibliothek findet ihr das Buch unter ab 6 J. Matt.

A.W.

Literaturtage 2022 – persönliche Nachlese

Ich war zwar bei allen zehn Lesungen der Literaturtage, habe aber nur einige der Bücher gelesen. Nur auf diese paar werde ich hier eingehen und einige persönliche Eindrücke wiedergeben.


Bettina Flitner: Meine Schwester
Buch "Meine Schwester" von Bettina Flitner zusammen mit dem Programmheft der Literaturtage

Dieses Buch hatte ich sozusagen unter Vorbehalt angefangen: sobald mir das Thema zu nahe geht, wollte ich es abbrechen. Immerhin geht es um Depressionen, den Verlust naher Angehöriger, Suizid. Aber um es gleich vorweg zu nehmen: Ich habe es bis zum Ende gelesen – ohne Zögern und mit Gewinn.

Bettina Flitner beschreibt die Szenen aus der Kindheit mit fotografischer Genauigkeit und Detailliebe. Ich bin zwar in einem ganz anderen Milieu aufgewachsen, aber ungefähr zur gleichen Zeit. Da fanden sich dann doch überraschend viele Parallelen, angefangen mit den Fernsehserien der 70er Jahre, die die Geschwister – oft heimlich – schauten. Es ist keine unbeschwerte Kindheit, die Bettina Flitner beschreibt, die „schwarzen Raben“ tauchen immer wieder auf: die Depressionen der Mutter. Dazu der hohe Erwartungsdruck der Eltern und Großeltern an die Kinder und das Auseinanderbrechen der Ehe der Eltern – die Kinder spüren genau die Verwerfungen und Beben in der Familie. Doch vor allem erleben die beiden Mädchen viele Abenteuer, sie haben berühmte und charismatische Großeltern, lernen illustre Persönlichkeiten kennen – einmal sogar den unvergleichlichen Kermit und eine gewisse Hannah Arendt -, sie leben eine Weile in New York, machen Urlaub in einem Ferienhaus auf Capri. Die bunte Phantasie und große Beobachtungs- und Schauspielgabe der Schwestern – die große Schwester kann herrlich die Erwachsenen parodieren – beschert auch uns Lesern wunderbare Szenen. Immer wieder fallen den Kindern spannende Spiele und Tricks ein: Notfallübungen mit Kissen für den Fall eines Autounfalls zum Beispiel.

Die Autorin erzählt diese Kindheitserinnerungen leicht und erinnerungsstark. Gleichzeitig verarbeitet sie aber auch diesen einen Tag, an dem die Schwester, die als Kind doch noch so unbeschwert, begabt und selbstbewusst wirkte, an ihren Depressionen und Selbstzweifeln zerbricht und sich das Leben nimmt. Der jüngeren Schwester bleiben quälende Fragen. Aber eben auch die Erinnerungen.

Bettina Flitner schreibt sehr bewegend gegen diesen Schmerz und diese Fragen, die unbeantwortet bleiben, an. Dabei spricht sie offen auch über die dunklen Seiten in ihrer Familie, ohne daraus aber platte Schuldzuweisungen abzuleiten.

Auch im Gespräch mit der Moderatorin des Abends, Angelika Teller, beeindruckten die Offenheit und Klarheit der Autorin.

Zu Buch und Lesung am 14. Oktober hatten wir im Blog bereits Informationen zusammengetragen.

Auf einer Bühne sitzen die Autorin Bettina Flitner und die Moderatorin Angelika Teller im Gespräch, davor ist Publikum zu erkennen, im Hintergrund ein Bild an der Wand mit Foto der Autorin und vom Buch; Schrift: 27. Literaturtage Bielefeld, Bettina Flitner "Meine Schwester" 14. Oktober 20 Uhr
Autorin Bettina Flitner und Moderatorin Angelika Teller im Gespräch (©KlausHansen)

Die literarische Qualität dieses Erinnerungsbuches hat mich überrascht, die Sprache, die Beschreibungen mit ihren oft überraschenden Fokussierungen auf kleine Details, in denen aber eine große Metaphorik zu entdecken ist, der episodische Aufbau mit seinem Wechsel zwischen Kindheitserinnerungen und der Schilderung dieses einen Tages, der mit der Schreckensnachricht endet.

Auf die Frage, ob dieses literarische Werk für die Fotografin eine Ausnahme bleibe, gab sie zur Antwort, dass noch nicht alles erzählt sei, Bettina Flitner will weiter schreiben. Wir dürfen gespannt sein.


Abbas Khider: Der Erinnerungsfälscher
Roman "Der Erinnerungsfälscher" von Abbas Khider zusammen mit dem Programmheft der Literaturtage

Eine kleine, kompakte und doch so wuchtige Erzählung! Nur 125 großzügig bedruckte Seiten, aber Abbas Khider erzählt darin nicht nur eine, sondern viele Geschichten: die Geschichte eines jungen Mannes, der seine Heimat und seine Familie verlassen musste und nach vielen Jahren im Exil als Fremder zurückkehrt; die Geschichten und Traumata seiner Flucht durch viele Länder; die Geschichte des Ankommens in einem Land und seiner fremden Kultur und Sprache, ein Ankommen trotz einer zermürbenden Bürokratie, trotz Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Ignoranz; und nicht zuletzt die Geschichte eines geschundenen Landes und seiner verzweifelten Menschen, die brutale Geschichte des Irak in den vergangenen Jahrzehnten mit Diktatur, Besetzung, Bürgerkrieg. Und zwischen den Zeilen stecken noch mehr Geschichten. Dieses kleine Buch klingt lange nach.

AUf der Bühne sitzen sich Moderator Klaus Loest und AUtor Abbas Khider im Gespräch gegenüber, Khider gestikuliert lächelnd, Loest hört gespannt zu. Im Vordergrund erkennt man Publikum. An der Rückwand der Bühne ein Bild: Foto des Autoren und des Buches, Schrift: Abbas Khider liest "Der Erinnerungsfälscher"
Moderator Klaus G. Loest und Schriftsteller Abbas Khider auf der Literaturbühne (©KlausHansen)

Genau wie die Begegnung mit dem charismatischen Autor: Abbas Khider hat einmal mehr uns und das Publikum verzaubert (so wie schon vor drei Jahren, als er mit „Deutsch für alle“ die Literaturtage 2019 eröffnete)

Zum aktuellen Buch und der Lesung am 5. Oktober hatten wir im Blog bereits Informationen zusammengetragen.


Alois Hotschnig: Der Silberfuchs meiner Mutter
Buch "Der Silberfuchs meiner Mutter" von Alois Hotschnig, zusammen mit dem Programmheft der Literaturtage

Am Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten mit der Sprache des Romans: viele Wiederholungen, viele Füllwörter und sehr viele Wörter oder Phrasen in kursiv, damit sie besonders betont werden. Das gibt dem Text fast einen Tonfall wie bei einem mündlichen Vortrag – und dieser unmittelbare Sog, bei dem ich den Ich-Erzähler quasi im Ohr hatte, als würde er mir direkt seine Lebensgeschichte erzählen, packte mich dann doch. Ich lese ja gerne laut, aber selbst beim Leiselesen inszeniert und intoniert die innere Stimme den Erzähler, wie sie der Text mit seinen typografischen Hervorhebungen vorgibt. Bei der Autorenlesung am 7.10. war ich besonders gespannt auf die Interpretation von Alois Hotschnig selbst. Tatsächlich las er leise, eindringlich und in wechselndem Tempo, so wie jemand, der – manchmal nach Worten suchend, manchmal von den eigenen Erinnerungen mitgerissen – seine Lebensgeschichte mündlich erzählen würde. Genauso hatte ich mir den Vortrag vorgestellt.

Zur erzählten Geschichte fühle ich auch einen persönlichen Bezug: Mein Großvater war während des Krieges als Soldat im Norden Skandinaviens. Auch ich weiß nicht, welchen Erinnerungen ich da trauen soll, denn als er erzählte, war ich noch ein kleines Kind; und das, was mein Vater später ergänzte, war ja auch nur aus zweiter Hand, er war selbst nur ein kleiner Junge, als sein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Sonst gibt es keine direkten Parallelen, aber da mein Vater nur wenige Jahre älter ist als der Ich-Erzähler des Romans, würde ich jetzt gerne mit ihm über das Buch sprechen – was aber leider nicht mehr geht.

„Die Wandelbarkeit des Erinnerns“ war das Motto unserer Literaturtage 2022, der Roman von Alois Hotschnig passt da sehr gut ins Thema. Er hat mich zum Nachdenken gebracht über die Auswirkungen von Krieg, Besetzung, Exil und nicht zuletzt einer furchtbaren Ideologie, die leider bis heute ihre Fratze zeigt. Die Traumata der Kinder aus dieser Zeit, der Generation meiner Eltern, wurden kaum aufgearbeitet und prägen selbst die nächsten Generationen – uns.

Das Gespräch zwischen dem Historiker und Leiter des Stadtarchivs Dr. Jochen Rath und dem Autor des Romans bei der Lesung gab noch viele weitere Ansatzpunkte. Alois Hotschnig erzählte von seinen Recherchen, dem Datenmaterial, auf das er zurückgreifen konnte und seinen Gesprächen mit Zeitzeugen. Auch aus dem Publikum kamen sehr persönliche Beiträge. Ein bewegender Roman, ein bewegendes Gespräch.

Zu Buch und Lesung am 7. Oktober hatten wir im Blog bereits Informationen zusammengetragen.


Das waren nur drei von zehn Literaturtage2022-Titeln. Vielleicht schaffe ich noch zwei oder drei weitere Romane aus der Lesereihe, die Blogbeiträge dazu werde ich dann hier nachreichen. Interessant und lesenswert sind sie alle. Aber es gibt ja auch noch so viel anderes zu lesen. 😏

Die Kollegin Frau Teller ist ohnehin schon weiter: Das Sondieren und Planen für die Literaturtage 2023 hat bereits begonnen.

Wenn Ihr uns Eure Meinung zu den vergangenen Lesungen und zu den Büchern der Literaturtage mitteilen wollt – unsere Social Media Kanäle sind offen.

Viel Freude beim Lesen.

 HilDa