Literaturtage 2017: Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten – Kristina Pfister

Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten | Roman

Moderation: Angelika Teller

Was fange ich an, wenn ich mit dem Studium fertig bin, aber noch lange nicht fertig für den sogenannten Ernst des Lebens? Alles scheint vorgezeichnet und verlangt nach Anpassung, und auch die Lebensläufe sollten lückenlos und erfolgversprechend sein.

Es waren drei Monate hier, dann drei dort, dann drei woanders, vierzig Wochenstunden und vierhundert Euro, während meine ehemaligen Kommilitonen Fotos von neuen Freunden, die sie auf Auslandssemestern kennengelernt hatten, von ihren neuen Errungenschaften, die sie sich von ihrem ersten Gehalt gekauft hatten, Bildern und Partys zum Studienabschluss ins Internet stellten… Ich wohnte in Wohnblöcken am Rande der Stadt und war ständig erkältet.

Das Leben scheint sinn- und ereignislos an Annika vorüberzuziehen. Sie ist Mitte zwanzig, hat einen Abschluss in Kulturwissenschaften, langweilt sich und ist dabei ziemlich einsam. Ihre gleichaltrige Nachbarin Marie-Louise hingegen verkörpert das genaue Gegenteil. Sie ist draufgängerisch, unvernünftig, leichtsinnig und planlos. Zwischen den beiden ungleichen Frauen entsteht eine enge Freundschaft und gemeinsam verbringen sie einen Sommer voller Dynamik. Für Annika ist es ein Aufbruch.

Musikalische Begleitung: Valentin Katter, Trompete/Flügelhorn und Nils Rabente am Flügel

Am 10.11.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Literaturtage 2017: Geschichte der Zukunft – Joachim Radkau

Geschichte der Zukunft: Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute | Sachbuch

Moderation: Klaus-G. Loest

Den Kindern der 50er Jahre, die Bücher wie Das Neue Universium mit großen Augen verschlungen haben, war völlig klar, dass in Kürze Roboter im Haus arbeiten und vielleicht sogar die Macht übernehmen, Ferienausflüge zum Mars gebucht und kleine Atomreaktoren im Garten aufgebaut werden. Sind wir heute nur Besserwisser? Radkaus Buch bleibt bei diesem verführerischen, aber viel zu simplen Gestus selbstverständlich nicht stehen.
Die Zukunftserwartungen der Nachkriegszeit sind nur zu erfassen, wenn der Blick viel weiter reicht. Hier geht es umfassend um Wirtschaft, Politik, Kultur, um höchst unterschiedliche Zukunftskonstruktionen in Ost und West, um das völlig unerwartete Wirtschaftswunder, das zu einem viel schnelleren Wiederaufbau führte als viele zu hoffen gewagt hatten. Was wird aber aus Wald und Landwirtschaft als Lebensgrundlagen? Kommen die Russen oder doch die Roboter? Ist zuerst eine Bildungs- und dann eine Wirtschaftskatastrophe zu erwarten? Auch die Frage, wo Arbeit und Einkommen bleiben, wenn die Arbeitswelt bald vollautomatisiert sein würde, ist keineswegs neu. Wir begegnen aber auch fast vergessenen Prognosen. Der Historiker erinnert an die Zick-Zack-Idee zum gesellschaftlichen Fortschritt, die Jürgen Kuczynski äußerte, Pichts Bildungsalarm, Robert Jungks Entwicklung vom Technikeuphoriker zum gewichtigen Atomkraftgegner und an Ernst Blochs Hoffnungsphilosophie vor dem Hintergrund der Heimatlosigkeit.

Joachim Radkau hat erforscht, wie sich die Deutschen seit 1945 ihre Zukunft ausgemalt haben. Hoffnungen und Ängste, Unkenrufe und Utopie-Blasen, fatale Irrtümer und unerwartete Wendungen: Im Rückblick staunt man, wie sicher wir zu wissen glauben, was auf uns zukommt.

Musikalische Begleitung: Matthias Kämper am Flügel

Am 08.11.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Literaturtage 2017: Skip – Katharina Hacker

Skip | Roman

Moderation: Dr. Saskia Fischer, Universität Bielefeld

Skip, die titelgebende Figur des neuesten Romans von Katharina Hacker, macht urplötzlich eine Erfahrung, die alles verändert: Eine innere Stimme ruft ihn an Orte, wo wenig später eine Katastrophe geschieht – ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam.
Offenbar soll er einzelne Sterbende auf ihrem schwierigen Weg in den Tod begleiten. Selbst unsicher, was zu tun ist, steht er ihnen bei, ja versetzt sich ganz in sie hinein. Die Aufgabe, die ihn durch ganz Europa, immer wieder aber auch nach Tel Aviv, wo er lebt, zurücktreibt und die er sich nicht ausgesucht hat, belastet seine Ehe und lässt seine Familie fast auseinanderbrechen.

Hackers Text wirft damit auch die großen Fragen unserer Zeit auf: Wie lässt sich in Zeiten von Terror und Gewalterfahrungen und ganz generell angesichts von Tod und Zerstörung das eigene Leben leben? Inwiefern fordert das Leid der Anderen unsere ganze Empathie?

 

 

 

 

Musikalische Begleitung: Matthias Kämper am Flügel

Am 07.11.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Eine Kooperationsveranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e. V., Bielefeld, und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. mit der Stadtbibliothek Bielefeld.

 

Literaturtage im Netz: #LitBI17

Literaturtage 2017, Cover der Broschüre

Seit Monaten bereiten wir die Literaturtage vor und jetzt geht alles so schnell: Sechs von insgesamt 13 geplanten Lesungen sind bereits vorbei. In dieser Wochen geht es weiter Schlag auf Schlag: drei Lesungen. Ich will hier noch keine Zwischenbilanz ziehen, Zuschauerzahlen hochrechnen oder Tiefschürfendes zitieren und witzige Wortwechsel nacherzählen. Das muss man live miterleben und dazu besteht ja noch die Chance in sieben weiteren Veranstaltungen, hier das Programm. Ich will auch nicht über die viele, viele Arbeit, die so eine Veranstaltungsreihe macht, schreiben, obwohl das ein interessantes Thema für einen Hintergrundbericht wäre. Ein anderes Mal vielleicht.

Wir nutzen die Literaturtage auch  als eine „Spielwiese“ für unsere Aktivitäten in den Sozialen Medien. Davon möchte ich kurz erzählen. Wir begleiten die Veranstaltungen auf all unseren Kanälen, die meisten sogar live via Facebook und Twitter. Es gibt kurze Mitschnitte einiger Lesungen auf Facebook und dann in unserem YouTube-Kanal, auf Twitter kurze Live-Kommentare und Kürzestberichterstattung aus der letzten Reihe, Bilder auf Instagram, tja, und in den Blog gehören ausführlichere Berichte, Hinweise, zusätzliche Informationen und dieses hier nennt man Meta-Berichterstattung, ein Bericht über die Art der Berichterstattung.

Die Videomitschnitte per Smartphone mögen leicht wackelig und viel zu leise sein, die Tweets zu persönlich, zu kurz, zu trocken, was weiß ich. Wir sind keine Profis in dieser Form der Medienarbeit, wir probieren, spielen, experimentieren … Aber vielleicht schaffen wir so eine zusätzliche Ebene, auf der man die Autorenlesungen genießen kann – für diejenigen, die nicht selber dabei sind, aber auch für die Teilnehmer der Veranstaltungen als zusätzlicher Blickwinkel und gerne auch als Einladung, die Gespräche zu ergänzen und fortzusetzen.

Die Lesungen können natürlich ganz passiv genossen werden, einfach zuhören und in die Geschichten eintauchen. Aber sie sind für die SchriftstellerInnen genau wie für uns auch eine Gelegenheit des direkten Kontaktes und vor allem des Gesprächs miteinander: über Literatur, über den Prozess des Schreibens, über Leseerfahrungen und Lesererwartungen; wir können über Inhalte, Sprache und Aussage der Bücher diskutieren, über Wirkung und Relevanz. Oder einfach über die Freude beim Lesen. Mit Hilfe der Sozialen Medien würden wir gerne ein zusätzliches Fenster in die Veranstaltungsreihe öffnen: Über den Hashtag #LitBI17 sind die Posts, Tweets und Fotos auch rückblickend leicht zu finden.

Ich nannte das oben eine Spielwiese. Nun, jeder ist eingeladen, einfach mitzuspielen.

Aber natürlich ist das kein Ersatz für das Liveerlebnis.

Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf oder an der Abendkasse

hilda

Literaturtage 2017: Sie kam aus Mariupol – Natascha Wodin

Sie kam aus Mariupol | Roman

Moderation: Angelika Teller

Ihr Leben als Fremde in Deutschland war vermutlich keine neue Erfahrung für sie, sondern eine Fortsetzung dessen, was sie seit jeher kannte. Ich hatte mir seit jeher ein falsches Bild von ihr gemacht. Sie war keine Entwurzelte, sondern eine Wurzellose von Anfang an, schon geboren als eine Displaced Person.

Zu dieser schmerzlichen Erkenntnis kommt Natascha Wodin in ihrem Buch auf der Suche nach ihrer Mutter – Jewgenja Jakowlewna Iwaschtschenko, die sich im Alter von 36 Jahren ertränkte. Zu diesem Zeitpunkt war Natascha Wodin zehn Jahre alt und lebte mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester in verschiedenen, deutschen Lagern für Displaced Persons. Auch sie fühlte sich ausgestoßen, nicht zugehörig – das Russenkind. Nach nunmehr sechzig Jahren begibt sich die Tochter via Internet auf die Suche und findet mit Hilfe des genealogiebesessenen Konstantin tatsächlich Spuren ihrer Familie aus Mariupol, einer Stadt am Asowschen Meer. Das spärliche Wissen über die eigene Herkunft füllt sich an mit nie gekannten Familienmitgliedern und deren Lebensgeschichten, die geprägt waren von den Verheerungen des 20. Jahrhunderts, dem grausamen Bürgerkrieg nach der Revolution 1917, der stalinistischen Willkürherrschaft und den deutschen Verbrechen in der Sowjetunion.

Musikalische Begleitung: Das Lemming-Duo

Am 02.11.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Literaturtage 2017: Hagard – Lukas Bärfuss

Hagard | Roman

Moderation: Dr. Maria Kublitz-Kramer, Literarische Gesellschaft

Das Leben vollzieht sich in ruhigen Bahnen. … Selten wird hier eine Existenz nach dem vierzigsten Lebensjahr anders zu Ende gehen als mit einem allmählichen Verglühen, was vielleicht der falsche Begriff ist, da er ein Brennen voraussetzt.
Philip, ein Liegenschaftsverwalter Ende Vierzig, bestens eingefügt in das normierte Gefüge, wird sich innerhalb von 36 Stunden ruinieren. Anfangs ist es ein Spiel, das er jederzeit abbrechen könnte. Um eine Wartezeit zu überbrücken, folgt der termingetriebene Mann aus einer Laune heraus einer wildfremden Frau quer durch Zürich. Genauer gesagt, er folgt ihren Schuhen, die ihm als Erstes auffallen: pflaumenblaue Ballerinas. Wissend um die Ungehörigkeit, bleibt er ihr, deren Gesicht er nicht einmal sehen kann, trotzdem distanziert auf den Fersen, wird dadurch erst zum Schwarzfahrer, dann zum Betrüger.
Er will ja nur sehen, wohin die junge Frau geht. Er lässt sich betören, genießt ihre Gesten, ihre Anmut, sieht das Licht auf ihrem Haar. Vielleicht könnte ihn seine Sekretärin Vera retten, die allerdings, wegen einer flauen Liebschaft, den entscheidenden Anruf im Büro verpasst. Und da gibt es die übergenaue Kinderfrau, die illegal in der Schweiz lebt. Eigentlich sollte Philip sich um die vielleicht inzwischen verunglückten Senioren kümmern, denen er das Ferienhausobjekt in Spanien verkaufen will.
Eine völlig andere Dimension der Unsicherheit wird im Handlungshintergrund virulent, als Philip von der spurlos verschwundenen Boeing 777 der Malaysia Airlines und anderen verstörenden Weltereignissen erfährt. Während die Energiereserven seines Smartphone-Akkus kontinuierlich absacken, die Hinweise auf die Pegelstände durchziehen den Roman, rennt der effektivitätsgetrimmte Mann weiter in sein Unglück.

Musikalische Begleitung: Matthias Klause-Gauster am Flügel

Am 26.10.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft OWL, Literaturhaus Bielefeld e.V.

 

Literaturtage 2017: Die grosse Heimkehr – Anna Kim

Die große Heimkehr | Roman

Moderation: Angelika Teller

Was wissen wir eigentlich über die Geschichte Koreas? Dass es ein geteiltes Land ist, wie einst Deutschland. Dass Nordkorea, regiert von einem Despoten in Erbfolgemanier, eine gefährliche und unkalkulierbare Atommacht ist, die ihre Bevölkerung indoktriniert und hungern lässt. Südkorea hingegen hat Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften ausgerichtet, ist bekannt für Computer- und Automarken und hatte im vergangenen Jahr einen veritablen Politikskandal um die Präsidentin Park. Aber was wissen wir in Europa tatsächlich über die jüngere Geschichte Koreas, den Kalten Krieg in diesem Teil der Welt?


Nach der Lektüre dieses Buches wird deutlich, dass unser Wissen recht dürftig ist. Anna Kim erzählt uns in Die große Heimkehr einen Teil dieser koreanischen Geschichte. Die eigentliche Handlung des Romans beginnt 1960 in Seoul. Im Mittelpunkt stehen der junge Johnny Kim, seine Geliebte Eve Moon und sein Kindheitsfreund Yunho Kang. Die drei sind auf der Flucht vor der Nord-West-Jugend, einer paramilitärischen, regimetreuen Schlägertruppe des südkoreanischen Diktators Rhee. Johnny gerät mit ihnen in einen tödlich endenden Streit. Gemeinsam fliehen die Freunde auf illegalem Weg nach Japan. Doch Osaka ist für sie keine wirkliche Rettung. Sie sind fremd sowohl unter den Japanern als auch unter den dort lebenden Koreanern. Als ein Mädchen im koreanischen Viertel Osakas verschwindet, wird Johnny verdächtigt.

Die große Heimkehr ist ein historischer Roman und erzählt zugleich eindringlich an Hand individueller Schicksale, wie Menschen in unmenschlichen Systemen zu überleben suchen.

Musikalische Begleitung: Valentin Katter, Trompete/Flügelhorn und Nils Rabente am Flügel

Am 25.10.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Literaturtage 2017: Die Schuldigen von Rotten Row – Petina Gappah

Die Schuldigen von Rotten Row | Stories

Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Originaltitel: Rotten Row
Einführung und Übersetzung: Dr. Gisela Feurle, Zimbabwe Netzwerk e.V.
Lesung der deutschsprachigen Texte: Carmen Priego, Theater Bielefeld.
Moderation: Klaus-G. Loest

In der Rotten Row, der geschichtsträchtigen Straße mitten in Zimbabwes Hauptstadt Harare, liegt der Strafgerichtshof. Das ist der Ausgangspunkt für die zwanzig miteinander verknüpften Stories, in der berüchtigte Sammeltaxifahrer, Marktfrauen, Friseurinnen, korrupte Polizisten, gerissene Anwälte und redselige Richter lebendig werden. Es sind einprägsame Figuren, quer durch alle Gesellschafts-schichten, Rassen und Geschlechterzuordnungen von denen mit Leidenschaft erzählt wird. Aber auch die Mittelmäßigkeit des Justizsystems, sowie Ursachen und Auswirkungen der Kriminalität werden durch die vitalen Erzählungen greifbar.

Die Schuldigen von Rotton Row ist ein buntes Panorama der von Globalisierung und Traditionen gleichermaßen geprägten modernen simbabwischen Gesellschaft, mit dem Petina Gappah erneut ihren unvergleichlich pointierten Humor, ihre besondere Beobachtungsgabe sowie ihr Gespür für tiefgründige, universelle Figuren unter Beweis stellt.

Musikalische Begleitung: Thomas Schweitzer, Saxophon

24.10.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Die englischsprachigen Anteile der Veranstaltung werden ins Deutsche übersetzt, die übersetzten Erzählungen liest die mit dem Theatertaler der Theater- und Konzertfreunde Bielefeld ausgezeichnete Schauspielerin und Autorin Carmen Priego vor.
In Kooperation mit dem Zimbabwe Netzwerk e.V.

Literaturtage 2017: Ein gutes Wort einlegen für den Zufall – Klaus Nüchtern

Kontinent Doderer. Eine Durchquerung | Sachbuch

Moderation: Harald Pilzer

Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will. Den Beginn des Romans Ein Mord den jeder begeht aus dem Jahre 1938 mögen viele als Bonmot kennen, den Autor Heimito Von Doderer nicht. Vom Spiegel 1957 als Spätzünder deklariert und gleichwohl zum Thronfolger für die verwaisten Thronsessel der deutschen Literatur ernannt, blieb der 1896 geborene Wiener, dem erst in den frühen fünfziger Jahren mit der Strudlhofstiege der literarische Durchbruch gelang, und dessen Roman Die Dämonen 1956 rechtzeitig zum 60. Geburtstag eine geradezu fulminante Aufnahme fand, dennoch eine Art Geheimtipp, nicht gerade massentauglich und dies nach seinem Tod 1966 erst recht. Zu Unrecht, wie der österreichische Literaturkritiker Klaus Nüchtern findet, der zum fünfzigsten Todestag im vergangenen Jahr den Kontinent Doderer neu vermessen hat. Ein Kontinent, der geographisch Wien heißt, und aus sieben, zum Teil dickleibigen Romanen, vielen Erzählungen und Tagebüchern, besteht, die abschrecken mögen, die jedoch raffiniert konstruiert sind, einen spannungsreichen Aufbau zeigen, zeitgeschichtlich aktuell sind und einen zuweilen ins Groteske übersteigerten Humor pflegen. So erfindet Doderer in den Merowingern, einem nicht-historischen Familienroman, die Firma Hulesch & Quenzel. Sie zeichnet verantwortlich für alle die Produkte, die in einer nicht-digitalen Welt zu enervieren vermögen wie Nadeln ohne Öhre oder Badarmaturen, an denen man sich mit Sicherheit stößt.

Bei einem Autor, der von 1896 bis 1966 lebte, bleibt die Zeit des Nationalsozialismus nicht ohne biographische Einwirkung und Doderers zumindest befragenswerte Haltung – auch wenn durch Hilde Spiel rehabilitiert – hat nicht zuletzt die Rezeption des Werks seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts behindert, genauso wie sein Konservatismus und seine Art zu schreiben als nicht mehr zeitgemäß galten. Was treibt also Klaus Nüchtern an oder um? Verpasst man etwas, wenn man Doderer auslässt? Na, keine Frage! Und darauf hinzuweisen ist auch das eigentliche Anliegen dieses Buches. Es will zeigen, wie die Literaturmaschine Doderer funktioniert und wie man sie zum eigenen Pläsier nutzen kann.

Mit musikalischer Begleitung.

Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.

Literaturtage 2017: Ein gutes Wort einlegen für den Zufall – Ingo Schulze

Peter Holtz. Sein glückliches Leben | Roman

Moderation: Klaus-G. Loest

Peter Holtz ist unglaublich naiv und trotzdem hellsichtig. Er ist ein Fragender und hat doch eine Mission: In diesem Roman kämpft er für eine bessere Welt und erfindet den Punk. Er versteht nicht, warum man das Geld nicht einfach abschafft. Er setzt sich für eine christlich-kommunistische Demokratie ein. Seine Selbstlosigkeit belohnt die in Ostdeutschland neu eingeführte Marktwirtschaft mit einem Vermögen von 60 Millionen Euro. Was ist da bloß schiefgegangen? Und vor allem: Wie wird Peter Holtz das Geld mit Anstand wieder los?

Ingo Schulze äußert über seinen Helden: Er ist ein Heimkind und glaubt zutiefst an den Kommunismus. Er nimmt ihn beim Wort, so wie er später das Christentum beim Wort nehmen wird und auch die Verheißungen des westlichen Kapitalismus. Er selbst wird darüber zur absurden Figur, aber ebenso wird es, nach meiner Lesart auch die jeweils real existierende Gesellschaftsform, in der er sich bewegt. … Ein Simplicius, der bei mir Peter Holtz heißt.

Der Autor stellt hier auf seine unvergleichliche Art erneut Grundsatzfragen, erzählt mit Witz und Verweisen in die Literaturgeschichte von dem, was alle bewegt: vom Geld.

Mit musikalischer Begleitung.

Am 19.10.2017 | Literaturbühne im Erdgeschoss | Einlass ab 18.30 Uhr

Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Dauerkarte 50 Euro.