postpoetry.NRW – Lyriker*innen treffen Bielefelder Schüler*innen

postpoetry.NRW ist ein Lyrikprojekt der Gesellschaft für Literatur in Nordrhein-Westfalen, ein Landeswettbewerb für Lyriker*innen und Nachwuchsautor*innen aus Nordrhein-Westfalen.

Wir hatten zwei Preisträgerinnen aus dem Jahr 2022 zu Gast, Jennifer de Negri und Lena Riemer (Nachwuchspreis), sowie Oberstufenschüler und -Schülerinnen des Helmholtz-Gymnasiums Bielefeld. Moderiert wurde die Veranstaltung von Marion Gay, die übrigens schon selbst einmal Preisträgerin bei PostPoetry war (2019), da war sie dann ebenfalls in Bielefeld zu einer Lesung mit Schülern. Heute leitet sie das Projekt.

Buch "postpoetry.nrw: Poesiebotschaften aus fünf Wettbewerbsjahren / herausgegeben von Monika Littau"

Am 9. März diskutierten die Schriftstellerinnen gut eine Stunde lang mit den Schülern und Schülerinnen. Sie lasen einige ihrer Gedichte und fragten die Jugendlichen nach ihren Empfindungen und Meinungen.

Ich muss sagen, ich war doch sehr überrascht über die klugen Fragen und Interpretationen der Jugendlichen. Das war nicht nur einfach eine Schulveranstaltung, die sie abgesessen haben. Sie waren nicht nur gut vorbereitet zu dieser Lesung erschienen – sie waren wirklich interessiert und berührt.

Beeindruckt war ich aber auch von den Lyrikerinnen. Sie erzählten von ihren Inspirationen, von der Stellung der modernen Lyrik im heutigen Literaturbetrieb und vor allem als Stoff im Deutschunterricht – dort erscheine Gegenwartslyrik in den Lesebüchern hauptsächlich als Popsong-Text, so als sei Lyrik als eigene Literaturgattung seit den 1970er Jahren tot.

Dabei haben sich neue, auch sehr populäre Formen entwickelt. Lena Riemer sprach von Stage Poetry und Page Poetry, also Lyrik, die für die Bühne getextet ist und deren Performance für Publikum (und Jury wie beim Poetry Slam) sofort wirken muss, und geschriebene Lyrik, die zur Veröffentlichung (auf Papier oder digital) gedacht ist, für die sich der Rezipient Zeit nehmen kann, die man immer wieder neu lesen und auf sich wirken lassen kann. Sie selbst hat schon als Schülerin auf der Bühne an Poetry Slams teilgenommen.

Dass im Gedicht thematisch alles möglich ist, bewies Jennifer de Negri mit ihren Gedichten über Pilze: Da spielt sie lautmalerisch mit den botanischen Namen – „Hush hush, Hallimasch“ – und führt uns in die noch immer fast unbekannte Parallelwelt der symbiotischen Pilzgesellschaften ein – vielleicht wird die Welt ja mal in ferner Zukunft von Pilzen beherrscht 🤔

Die beiden Dichterinnen wirkten wie ein eingespieltes Team, dabei war es für sie die erste Veranstaltung dieser Art. Ich fand es beeindruckend, wie sie auf Augenhöhe mit den Schüler*innen diskutierten und selbst begeistert waren über die verschiedenen Sichtweisen und Interpretationen. Es gebe nicht nur die eine gültige Auslegung; auch die Dichterinnen selbst beanspruchen sie nicht, obwohl sie natürlich wissen, welche Gedanken und Empfindungen sie beim Schreiben geleitet haben. Aber da jeder Leser seine Erfahrungen und Gefühle in die Verse projiziere, seien auch völlig andere Interpretationen möglich und auf keinen Fall falsch. Das mag im Deutschunterricht meist anders gehandhabt werden, die Poetinnen selbst akzeptierten, ja, freuten sich über unerwartete Sichtweisen.

Das Gespräch zwischen den Künstler*innen und den Schüler*innen kam fast ohne Moderation aus, vielleicht eine etwas undankbare Rolle für Marion Gay, aber ihre Zurückhaltung war genau richtig. Da kam ihr sicher ihre eigene Erfahrung zu gute. Aber so ein konstruktives und lebhaftes Gespräch hatte auch sie nicht erwartet.

Buch "bis die Smartie-Ampel auf Grün springt: postpoetry.NRW, Poesiebotschaften aus fünf Wettbewerbsjahren 2015-2019, Gedichte für den Unterricht / hrsg. von Monika Littau"

Lyrik ist nicht tot. Dieser frische Austausch im Rahmen des PostPoetry-Projekts oder auch die PoetrySlam-Workshops an den Gymnasien Helmholtz und am Waldhof (gefördert von der Literarischen Gesellschaft), deren Ergebnisse wir in zwei Veranstaltungen auf unserer Literaturbühne erleben konnten, beweisen: Lyrik ist jung, modern, cool.

Lena Riemer und Jennifer de Negri empfehlen allen, die sich selbst in Lyrik ausdrücken möchten, egal ob on Stage oder on Page, es zu machen und sich z. B. an Wettbewerben wie PostPoetry zu beteiligen – auch wenn man vom Schreiben und Dichten allein nun mal nicht leben kann, das solle aber niemanden abschrecken.

Und für alle, die an Lyrik der Gegenwart und aus aller Welt interessiert sind, empfehlen sie die Lyrik-Plattform Lyrikline, ein Projekt vom Haus für Poesie, Berlin, in Kooperation mit internationalen Netzwerkpartnern.

Auch Schreibwerkstätten für Jugendliche sind ein guter Einstieg in das Kreative Schreiben. Unser nächster SchreibRaum startet schon am 15. April, Ihr könnt Euch anmelden; der Kurs ist auf maximal 14 Plätze beschränkt, die Anmeldefrist läuft bis zum 6. April. Kurztexte, egal ob Prosa oder Lyrik, veröffentlichen wir am Ende in unserer Zeitschrift WORTWAHNSINN und auf einer Abschlussveranstaltung vor Publikum.

HilDa

Karten "postpoetry.nrw 2022 liegen auf einer Schreibtischplatte, eine Tastatur ist halb zu sehen. Zwei Karten zeigen jeweils ein Gedicht von Jennifer de Negri ("italodeutsch") und Lena Riemer ("gezeitenwechsel"). Ein Bündel Karten liegt mit der unbedruckten Seite nach oben, am linken Rand trägt es das "postpoetry.nrw 2022"-Logo und (nicht alle sichtbar auf dem Foto) die Logos der Förderer.
Die postpoetry-Karten mit Gedichten der Preisträger*innen 2022 liegen in der Bibliothek für Euch aus, u.a. im Gedichte-Regal

Bitte, ein Gedicht #19

Heinrich Heine

Himmel grau und wochentäglich!
Auch die Stadt ist noch dieselbe!
Und noch immer blöd und kläglich
Spiegelt sie sich in der Elbe.

Lange Nasen, noch langweilig
Werden sie wie sonst geschneuzet,
Und das duckt sich noch scheinheilig,
Oder bläht sich, stolz gespreizet.

Schöner Süden! Wie verehr ich
Deinen Himmel, Deine Götter,
Seit ich diesen Menschenkehricht
Wiederseh und dieses Wetter!

(aus: Neue Gedichte)

Okay, nicht Hamburg an der Elbe, sondern Bielefeld am Teuto – aber das Wetter …

Bitte ein Gedicht – das ist Wunsch und Angebot zugleich. In unregelmäßigen Abständen möchten wir gerne zur Lyrik verführen und präsentieren einzelne Gedichte oder weisen auf besondere Lyrikbände aus unserem Bestand hin.

Bitte, ein Gedicht: Neuerwerbungen 2021

In unserer kleinen Reihe „Bitte, ein Gedicht“ stellen wir in unregelmäßiger Folge einzelne Gedichte vor – Lyrik pur. Vielleicht ist Euch schon aufgefallen, dass die moderne Lyrik komplett fehlt. Alle Schriftsteller*innen, deren Werke wir verwenden, sind mindestens seit 70 Jahren verstorben, das gleiche würde auch für Übersetzer*innen gelten.

Wir machen diese Einschränkung aus urheberrechtlichen Gründen, die Werke sollen frei zur Veröffentlichung sein.

Die Lyrik-Abteilung der Stadtbibliothek ist zwar nur klein, aber natürlich findet Ihr dort auch zeitgenössische Dichter und Dichterinnen.
Ein paar Neuerwerbungen der letzten Monate möchte ich hier vorstellen. Wir beginnen mit einigen

Gedichtsammlungen

4 Bücher: "Die schönsten Herbstgedichte", "Gedichte für alle Liebeslagen", Frauen Lyrik" und "Cinema"

Cinema : Lyrikanthologie / herausgegeben von Wolfgang Schiffer & Dincer Gücyeter ; Collagen: Stefan Heuer. – Nettetal : ELIF VERLAG, 2019. – 197 Seiten : Illustrationen

Der ELIF VERLAG hat Lyrikerinnen und Lyriker eingeladen, Gedichte über das zu schreiben, was sie mit CINEMA verbindet. Welche Filme, Szenen, Charaktere sie erinnern, welcher Schauspielerin oder welchem Regisseur sie sich besonders zugeneigt sehen, was sie berührt, inspiriert, vielleicht getröstet hat, was ihr Sehen veränderte oder Assoziationen weckte, die nun in Wörtern weiterleben, obschon der Anlass womöglich längst in Vergessenheit geraten ist. (Verlagstext)

  • Standort (am Neumarkt): Gedichtsammlungen Cine
  • Standort (Heepen): Gedichte Cine

Frauen Lyrik : Gedichte in deutscher Sprache / im Auftrag der Wüstenrot Stiftung herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Anna Bers. – Ditzingen : Reclam, 2020. – 879 Seiten : Illustrationen

Über die fehlende Sichtbarkeit von Autorinnen in Verlagsprogrammen und Medien wird immer wieder diskutiert. Dass Frauen im Lyrik-Kanon zu Unrecht unterrepräsentiert sind, beweist diese Sammlung deutschsprachiger Gedichte. In Auswahl und Aufbau ist sie einzigartig, denn sie stellt über 500 Gedichte von Autor*innen unter vier verschiedenen Perspektiven vor: Die erste Perspektive orientiert sich am allgemeinen Kanon, die zweite nimmt einen literaturgeschichtlichen Blick ein und wählt Gedichte mit historischer Exemplarität. Eine dritte Gruppe versammelt Gedichte mit besonderer emanzipatorischer Stärke, eine vierte konzentriert sich auf eine an der Textstimme ausgerichtete Lesart und integriert so auch Gedichte von Autoren. In dieser multiperspektivischen Betrachtung ergeben sich Überschneidungen, aber auch spannende Widersprüche. Eine Anthologie, die einen völlig neuen Blick auf Frauen und Lyrik vom Mittelalter bis heute eröffnet. (Verlagtext)

  • Standort (am Neumarkt): Gedichtsammlungen Frau
  • Standort (Heepen): Gedichte Frau

Gedichte für alle Liebeslagen / Herausgegeben von Anton G. Leitner. – Ditzingen : Reclam, 2021. – 135 Seiten

Dem wohl schönsten aller Gefühle widmen sich zeitgenössische Lyrikerinnen und Lyriker wie Jan Wagner, Helmut Krausser, Matthias Politycki, Raoul Schrott, Gerhard Rühm und Ilma Rakusa. Sie schreiben über die Liebe und darüber, wie sie kommt, brennt, geht und bleibt. (Verlagstext)

  • Standort: Gedichtsammlungen Gedi

Die schönsten Herbstgedichte / herausgegeben von Matthias Reiner ; mit Illustrationen von Philippe Robert. – Berlin : Insel Verlag, 2021. – 100 Seiten : Illustrationen. – (Insel-Bücherei ; Nr. 2530)

Wenn die Tage wieder kürzer werden, die Blätter der Bäume in allen Farben leuchten, die letzte Ernte eingefahren wird, Kraniche und Wildgänse sich am Himmel in Formationen einfinden, um in wärmere Gefilde zu fliegen, dann ist er da, der »Herbsttag, wie ich keinen sah!« Das vorliegende Lesebuch versammelt die schönsten Herbstgedichte von Luise Hensel bis Ingeborg Bachmann, von Erich Kästner bis Joachim Ringelnatz. Und Marie Luise Kaschnitz bekennt im Nachwort: »Der Herbst war meine Jahreszeit.« Illustriert wird der schöne Geschenkband mit wunderbaren Herbstblättern des Schweizer Jugendstil-Malers Philippe Robert. (Verlagstext)

  • Standort: Gedichtsammlungen Schoenst
2 Bücher: "In 80 Liebesgedichten um die Welt" und "bis die Smartie-Ampel auf Grün springt - postpoetry.NRW"

bis die Smartie-Ampel auf Grün springt – postpoetry.NRW : Poesiebotschaften aus fünf Wettbewerbsjahren 2015-2019 : Gedichte für den Unterricht / hrsg. von Monika Littau. – Düsseldorf : Edition Virgines, 2020. – 152 Seiten

postpoetry.NRW ist ein Lyrikprojekt, in dem poetry gepostet wird, in dem poetry auch mit der Post ihren Weg zu Leserinnen und Lesern in die Welt finden kann, nämlich auf künstlerisch gestalteten Postkarten. An erster Stelle aber handelt es sich bei postpoetry um das seltene, ja bislang einmalige Format eines Lyrikwettbewerbs, der sich sowohl an NachwuchsautorInnen im Alter von 16 bis 24 Jahren als auch an LyrikerInnen aus Nordrhein-Westfalen wendet. (aus dem Vorwort)

  • Standort: Gedichtsammlungen Postp

In 80 Liebesgedichten um die Welt / ausgewählt von Clara Paul. – Berlin : Insel Verlag, 2020. – 138 Seiten. – (Insel Taschenbuch ; 47883)

Eine kleine, feine Auswahl der schönsten Liebesgedichte der Welt: von Anna Achmatowa, Gioconda Belli, Raymond Carver, Mascha Kaléko, Wladimir Majakowski, Pablo Neruda, Alfonsina Storni, Wislawa Szymborska, Shu Ting, Idea Vilariño, Derek Walcott, William Carlos Williams u. v. a.

  • Standort: Gedichtsammlungen In
2 Bücher: "Kontinentaldrift - Das Schwarze Europa" und "Kontinentaldrift - Das Persische Europa"

Kontinentaldrift – Das Schwarze Europa / herausgegeben von Fiston Mwanza Mujila ; übersetzt von: Jumoke Adeyanju [und anderen]. – Heidelberg : Wunderhorn, 2021. – 309 Seiten. – (Haus für Poesie)

Die persönlichen Werdegänge und Werke dieser Dichter*innen überschreiten nationale und kontinentale Grenzen. Sie wurden in Afrika, der Karibik oder Europa geboren, haben afrikanische Wurzeln. Gleichzeitig sind sie Kinder Europas, fast alle sind in Europa aufgewachsen. Ihre Poesie fordert den Begriff der Diaspora sowie den der Nationalliteratur heraus. Sie bewegt sich zwischen persönlichen, kollektiven und universellen Mythologien und wurzelt in verschiedenen Traditionen: dem Gesang und der Oralität der afrikanischen Poesietradition und den kanonisierten Texten der europäischen Lyrik. Dabei beschränken sich die Dichter*innen keineswegs auf Themen wie Identität, Frau- und Schwarzsein, Männlichkeit, Rassismus, oder koloniale Gewalt. Vielmehr zeigt die Anthologie die Vielfalt ästhetischer und künstlerischer Positionen, die in und aus einem europäischen Umfeld heraus entstehen. (Verlagstext)

  • Standort: Gedichtsammlungen Kont

Kontinentaldrift – Das Persische Europa / herausgegeben von Daniela Danz und Ali Abdollahi ; übersetzt von Maryam Aras, Kurt Scharf, Maryam Tiouri. – Heidelberg : Wunderhorn, 2021. – 269 Seiten. – (Haus für Poesie)

Diese zweisprachige Anthologie versammelt erstmalig 35 der bekanntesten, im europäischen Exil lebenden und persisch dichtenden Lyriker*innen aus England, Schweden, Frankreich, Deutschland, Italien, Norwegen, der Schweiz, den Niederlanden und Tschechien. Es vereint verschiedene Generationen und Dichtungstraditionen von der klassischen, modernen und postmodernen bis zur experimentellen Poesie und umfasst die verschiedensten Themen von Liebesgedichten bis hin zu Politik und Feminismus. So bilden die in einer Sprache geschriebenen Gedichte einen vielstimmigen, bisher unerhörten Chor aus verschiedenen europäischen Ländern. (Verlagstext)

  • Standort: Persisch Kont

(Auswahl HilDa)

Bitte, ein Gedicht #18

Ostern

Wenn die Schokolade keimt,
Wenn nach langem Druck bei Dichterlingen
»Glockenklingen« sich auf »Lenzesschwingen«
Endlich reimt
Und der Osterhase hinten auch schon preßt,
Dann kommt bald das Osterfest.

Und wenn wirklich dann mit Glockenklingen
Ostern naht auf Lenzesschwingen, –
Dann mit jenen Dichterlingen
Und mit deren jugendlichen Bräuten
Draußen schwelgen mit berauschten Händen –
Ach, das denk ich mir entsetzlich,
Außerdem – unter Umständen – Ungesetzlich.

Aber morgens auf dem Frühstückstische
Fünf, sechs, sieben flaumweich gelbe frische
Eier. Und dann ganz hineingekniet!
Ha! Da spürt man, wie die Frühlingswärme
Durch geheime Gänge und Gedärme
In die Zukunft zieht
Und wie dankbar wir für solchen Segen
Sein müssen.
Ach, ich könnte alle Hennen küssen,
Die so langgezogene Kugeln legen.

Joachim Ringelnatz

Ein buntes Schokoladenei in einem Blumentopf, in dem ein wenig Grün sprießt

Bitte, ein Gedicht #17

Annette von Droste-Hülshoff hat unter der Überschrift „Der Säntis“ die vier Jahreszeiten lyrisch beschrieben. Hier die Strophen zum Winter:

Der Säntis

Winter
Aus Schneegestäub' und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenster auf,
Ein jeder späht, was er vermag.

Ob jene Blöcke Häuser sind?
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieser Uniform
Den Glockenturm erkennt man kaum.

Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erstickt.
Doch schau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend'ges Land!

Du starrer Wächter, laß ihn los,
Den Föhn aus deiner Kerker Schoß!
Wo schwärzlich jene Riffe spalten,
Da muß er Quarantäne halten,
Der Fremdling aus der Lombardei:
O Säntis, gib den Tauwind frei!

(Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848)

Einzelnes Blatt, vereist

Bitte ein Gedicht – das ist Wunsch und Angebot zugleich. In unregelmäßigen Abständen möchten wir gerne zur Lyrik verführen und präsentieren einzelne Gedichte oder weisen auf besondere Lyrikbände aus unserem Bestand hin.

Bitte, ein Gedicht #16

Annette von Droste-Hülshoff hat unter der Überschrift „Der Säntis“ die vier Jahreszeiten lyrisch beschrieben. Hier die Strophen zum Herbst:

Der Säntis

Herbst

Wenn ich an einem schönen Tag
Der Mittagsstunde habe acht
Und lehne unter meinem Baum
So mitten in der Trauben Pracht;

Wenn die Zeitlose übers Tal
Den amethystnen Teppich webt,
Auf dem der letzte Schmetterling
So schillernd wie der frühste bebt:

Dann denk' ich wenig drüber nach,
Wie's nun verkümmert Tag für Tag,
Und kann mit halbverschlossnem Blick
Vom Lenze träumen und von Glück.

Du mit dem frischgefallnen Schnee,
Du tust mir in den Augen weh!
Willst uns den Winter schon bereiten?
Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten,
Und bald, bald wälzt er sich herab
Von dir, o Säntis! ödes Grab!

(Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848)

Foto Parklandschaft mit Bäumen im Herbstlaub und einigen zum Teil noch blühenden Ziergräsern, Stauden und Büschen.

Bitte ein Gedicht – das ist Wunsch und Angebot zugleich. In unregelmäßigen Abständen möchten wir gerne zur Lyrik verführen und präsentieren einzelne Gedichte oder weisen auf besondere Lyrikbände aus unserem Bestand hin.

Bitte, ein Gedicht #15

Annette von Droste-Hülshoff hat unter der Überschrift „Der Säntis“ die vier Jahreszeiten lyrisch beschrieben. Hier die Strophen zum Sommer:

Der Säntis

Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und läßt sich rösten in der Glut.

Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.

O Säntis, Säntis! läg‘ ich doch
Dort, – grad‘ an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel’ger Säntis, dir ist kühl!

(Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848)

Ein bewaldetes Tal im Sonnenschein

Bitte ein Gedicht – das ist Wunsch und Angebot zugleich. In unregelmäßigen Abständen möchten wir gerne zur Lyrik verführen und präsentieren einzelne Gedichte oder weisen auf besondere Lyrikbände aus unserem Bestand hin.

Bitte, ein Gedicht #14

Annette von Droste-Hülshoff hat unter der Überschrift „Der Säntis“ die vier Jahreszeiten lyrisch beschrieben. Hier die Strophen zum Frühling:

Der Säntis

Frühling

Die Rebe blüht, ihr linder Hauch
Durchzieht das tauige Revier,
Und nah und ferne wiegt die Luft
Vielfarb’ger Blumen bunte Zier.

Wie’s um mich gaukelt, wie es summt
Von Vogel, Bien‘ und Schmetterling,
Wie seine seidnen Wimpel regt
Der Zweig, so jüngst voll Reifen hing.

Doch sucht man gern den Sonnenschein
Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;
Denn nachts schleicht an die Grenze doch
Der landesflücht’ge Winter noch.

O du mein ernst gewalt’ger Greis,
Mein Säntis mit der Locke weiß!
In Felsenblöcke eingemauert,
Von Schneegestöber überschauert,
In Eisenpanzer eingeschnürt:
Hu, wie dich schaudert, wie dich friert!

(Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848)

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Bitte, ein Gedicht #11

Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Ludwig Uhland (1787-1862)

 

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Bitte, ein Gedicht #10

Heute gibt es ein Gedicht für alle, die sich auch mal wieder ein bisschen Schnee wünschen. Bei den milden Temperaturen ist eine weiße Weihnacht dieses Jahr, zumindest hier in Bielefeld und Umgebung, leider wieder außerhalb des Möglichen. Dann lese ich zumindest ein Gedicht darüber und träume von ein bisschen Schnee… 🙂

Neuschnee

Flockenflaum zum ersten Mal zu prägen
mit des Schuhs geheimnisvoller Spur,
einen ersten schmalen Pfad zu schrägen
durch des Schneefelds jungfräuliche Flur –

kindisch ist und köstlich solch Beginnen,
wenn der Wald dir um die Stirne rauscht
oder mit bestrahlten Gletscherzinnen
deine Seele leuchtende Grüße tauscht.

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Bitte ein Gedicht – das ist Wunsch und Angebot zugleich. In unregelmäßigen Abständen möchten wir gerne zur Lyrik verführen und präsentieren einzelne Gedichte oder weisen auf besondere Lyrikbände aus unserem Bestand hin.