Buchtipp: Stephen King – „Joyland“

Von Stephen King habe ich länger nichts gelesen. In erster Linie habe ich die frühen Werke wie z.B. „Carrie“, „Friedhof der Kuscheltiere“, „Sie“, oder „Es“ und Werke unter dem Pseudonym Richard Bachman, z.B. „Der Fluch“ oder „Todesmarsch“ gelesen. Das jüngste der Werke war „Puls“. Da wurde es mal wieder Zeit. „Joyland“ stand schon länger auf der Liste.

Zum Inhalt:

In den 70er Jahren jobbt Devin Jones während der Semesterferien im Freizeitpark Joyland. Nachdem ihn seine Freundin verlassen hat, nimmt er eine Auszeit und beschließt, noch ein weiteres Jahr dort zu arbeiten. Bereits am Tag seiner Einstellung erfährt er von einem Mord an einer jungen Frau in der Geisterbahn einige Jahre zuvor. Der Täter konnte nie gefasst werden. Seitdem soll es am Tatort spuken, was natürlich keiner ernst nimmt – wo soll es auch sonst spuken, wenn nicht in einer Geisterbahn. Bis Devin mit seinen Freunden Erin und Tom eine Fahrt unternimmt und Tom tatsächlich den Geist der jungen Frau sieht.

Zunächst dreht sich die Geschichte eher um Devin als um den Mord. Die Ermittlungen nehmen erst nach und nach Fahrt auf. Dennoch ist das Buch nicht langweilig. Es ist flüssig zu lesen und King nutzt die Zeit, ein Bild vom Freizeitpark und den Charakteren, denen Devin begegnet, zu zeichnen und schafft es, den Leser zu fesseln. So als sei man selbst dort.

„Joyland“ ist kein typischer King aus dem Horror-Genre, sondern eher ein Krimi. Einen blutigen Stephen King wie in einigen der erstgenannten Romane darf man also nicht erwarten. Es ist dennoch ein lesenswertes Buch mit erkennbarer Handschrift.

Unsere ausleihbaren Exemplare – gedrucktes Buch, Hörbuch-CD, eBook, eAudio und sogar eine arabische Ausgabe – findet Ihr über unseren Online-Katalog.

Juliane

Buchtipp: „Landnahme“ von Sara Paretsky

Sara Paretsky und ihre Hauptfigur, die Detektivin V. I. Warshawski, waren Ende des letzten Jahrhunderts der Krimi-Tipp, vor allem – aber bei weitem nicht nur – für weibliche Thrillerfreunde. Doch dann gab es lange keine neuen deutschen Übersetzungen ihrer Romane, die älteren Titel sind meist nicht mehr lieferbar. Ich dachte, die Bestsellerautorin schreibt nicht mehr und ist in Vergessenheit geraten. Doch die Serie mit Vic Warshawski ging originalsprachig weiter, die Detektivin löst inzwischen ihren 20. großen Fall und kämpft nicht nur gegen die üblichen Schurken, sondern auch mit immer deutlicher spürbarem „Rost in den Gelenken“. Endlich vor drei Jahren lag da wieder ein „neuer“ Warshawski beim Buchhändler meines Vertrauens, genauer ein Titel, der im Original bereits 2013 erschienen war: „Critical Mass“ (deutsch „Kritische Masse“. 2018). Im letzten Jahr kam „Landnahme“ heraus (Original: „Dead Land“. 2020). Eigentlich hatte ich mir den Krimi zum Geburtstag selbst geschenkt 🙂 , bin aber erst am Ende des Jahres zum Lesen gekommen.

Roman "Landnahme" von Sara Paretsky

Vic Warshawski könnte man beschreiben als eine Mischung aus Philip Marlowe und Bruce Willis (á la John McClane in „Die Hard“), nur in weiblich, gebildet und bei aller Härte auch einfühlsam. Wenn sie sich an einem Fall festgebissen hat, ruht sie nicht und riskiert alles, um die Wahrheit herauszufinden. Dabei schliddert sie in kriminelle Verstrickungen, die die offiziellen Ermittlungsbehörden gar nicht sehen, weil sie schnelle und einfache Antworten bevorzugen. Nur Warshawski bohrt weiter. Sie deckt die Hintergründe auf und entlarvt selbst die Strippenzieher aus Hochfinanz, Politik und Geldadel. Sie ist gut vernetzt, nicht korrumpierbar, hartnäckig und stur, hart im Nehmen; sie teilt aber auch ordentlich aus, nicht nur verbal. Ihr Revier ist Chicago, aber der aktuelle Fall bringt sie bis in die Great Plains von Kansas.

Ist das alles manchmal etwas dick aufgetragen? Ja. Darum auch der Bruce-Willis-Vergleich. 😉 Sara Paretsky schreibt Hardboiled Crime Fiction mit einer sehr weiblichen Actionheldin. Die Story ist trotzdem plausibel und selbst dann spannend, wenn die Detektivin mal auf der Stelle tritt und sich für Recherchen in ihr Büro oder in eine Bibliothek (ha, das musste ich jetzt natürlich erwähnen!) zurückzieht – Warshawski ist da ganz auf der Höhe der Zeit, nutzt alle Recherchemöglichkeiten, die das Internet so bietet und hat Kontakt zu einem forensischen Labor (das dem Hightech-Vergleich mit gerade angesagten Fernsehserien aber nicht standhalten kann, da ist Paretsky doch realistischer).

Paretskys besondere Stärke liegt in ihren originellen Figuren: den knorrigen Typen aus Kansas, die frühestens auf den 2. oder 3. Blick Vertrauen fassen; die Obdachlosen von Chicago, die durch unaussprechliche Traumata ihren Halt verloren haben; die Sheriffs und Chiefs und Polizistinnen, für die ihre Machtspielchen wichtiger sind als die Verbrechensopfer; die Prominenten, die Politiker und Diplomaten oder die einfach unverschämt Reichen, die sich für unantastbar halten; die Freunde und Nachbarn mit ihren Eigenheiten und Schrullen. Und nicht zuletzt die Ich-Erzählerin selbst, die unglaublich gute Detektivin, die nur mit Glück und Hilfe durch diesen verzwickten Fall findet – und auch nur knapp überlebt. Im Gegensatz zu vielen anderen Beteiligten, denn es geht um nicht weniger als einen Massenmord bei einem Festival, um Folter, Verschleppung und Mord in einer südamerikanischen Diktatur und um mehrere aktuelle Morde und Mordversuche in Chicago. Warshawski stolpert in diese monströse Verschwörung eigentlich nur, weil sie eine verwirrte Obdachlose sucht, für die sie sich nach einem dummen Fehler ein wenig verantwortlich fühlt. Doch dann muss sie plötzlich ihre Patentochter schützen, sich um einen weiteren Hund kümmern (sie hat schon zwei), eine Räumungsklage verhindern, Gewehrkugeln ausweichen.

Sara Paretsky hat seit 2018 im Argument-Verlag ein neues Zuhause im deutschsprachigen Buchmarkt gefunden, nach „Kritische Maße“ (eine Empfehlung gab es in unserem Blog 2019 hier) und „Altlasten“ ist dies jetzt schon der 3. Band in der schönen Ariadne-Reihe, in der es ja viele lesenswerte und preisgekrönte Krimi-Autorinnen zu entdecken gibt.

Es gibt ein kleines Vorwort von der Übersetzerin Else Laudan und am Ende ein Glossar mit einigen hilfreichen kleinen Erläuterungen und Quellenangaben. Da Musik und Songtexte eine große Rolle im Roman spielen, gibt es auch dazu Erklärungen und Übersetzungen.

Eigentlich frage ich mich, warum so viele Romane aus der Warshawski-Reihe bisher nicht in Deutsch erschienen sind. Das hat zwar keinen Einfluss auf das Leseverständnis bei den einzelnen Bänden – die Anspielungen auf ältere Fälle sind unerheblich für die Handlung und der Charakter der toughen Detektivin ist jetzt auch nicht so vielschichtig, dass wir alles über ihre private Vergangenheit wissen müssten. Aber von diesen süffigen Krimis hätte ich gerne mehr!

Die Romane, die wir von Sara Paretsky in der Stadtbibliothek Bielefeld haben, findet Ihr hier.
Die Katalogdaten speziell zu „Landnahme“ findet Ihr hier.

Viel Freude beim Lesen.
HilDa

Buchtipp: Das Jesus-Video

Bei Ausgrabungen in der Nähe von Jerusalem findet der Ausgrabungshelfer Steven etwas sehr Seltsames. Zuerst hält er es für einen Scherz. Denn was hat eine Anleitung für eine Videokamera, die erst in einigen Jahren erscheint, in einem uralten Beutel neben uralten Knochen zu suchen? Und warum sieht die Anleitung selbst so uralt aus? Handelt es sich hier etwa um einen Zeitreisenden?

Ausgehend von diesem Fund entspinnt sich nun eine Geschichte auf den Spuren des potentiellen und titelgebenden Jesus-Videos. Dabei ist nicht nur Steven auf der Suche, auch der Geschäftsmann und Sponsor der Ausgrabungen John Kaun will das Video finden, um möglichst viel Kapital daraus zu schlagen.

Den Großteil des 700 Seiten starken Buchs habe ich an einem Tag verschlungen. Ab einem gewissen Punkt konnte ich es einfach nicht mehr aus der Hand legen und wollte unbedingt hinter all die verschlungenen Geheimnisse kommen.

Im Lauf der Geschichte werden verschiedenste Theorien entwickelt, wie die Videoanleitung in die Vergangenheit geraten ist. Hat jemand von langer Hand geplant einen Zeitreisenden in die Vergangenheit zu schicken, um Jesus zu filmen – bzw. wird das jemand planen?

Sehr eindrücklich waren die Beschreibungen Israels bzw. Jerusalems im Besonderen. Bilder von Sand und Wüste, uralten Gemäuern und der unglaublich weit zurückreichenden Geschichte dieses Landstrichs kamen auf.

Die grundsätzliche Idee, was es bedeuten würde, könnte man beweisen, dass Jesus wirklich gelebt hat oder eben auch das genaue Gegenteil, war ein sehr spannendes Gedankenspiel. Wer hätte Interesse an einem solchen Video, was würde die Kirche dazu sagen, wie würden ganz normale Leute darauf reagieren?

Erschienen ist das Jesus-Video schon vor einer ganzen Weile, im Jahre 1998. Anfang der 2000er gab es auch eine Verfilmung. Ich habe mir dazu einen Trailer angesehen, der allerdings nicht ganz so vielversprechend ausschaute. Da werde ich mich wohl lieber dem Jesus-Deal zuwenden. Diese Fortsetzung erschien 2014 und ich bin sehr gespannt, wie Eschbach die Geschichte dort weitererzählt.

Hier geht es zu den Katalogdaten.

lga

Serien-Tipp: The night manager

Ja ich weiß, ganz neu ist die Mini-Serie nicht. Aber gut ist sie allemal. Kurz vorweg: Der Spionageroman (Thriller) „Der Nachtmanager“ von John le Carré erschien bereits 1993, für die Verfilmung wurde das Geschehen in die heutige Zeit gelegt.

Es beginnt in Kairo in einem Luxushotel. Auf den Straßen herrschen die Unruhen des arabischen Frühlings, das Hotel selbst ist eine Oase der Ruhe. Zum Personal zählt der britische Ex-Soldat Jonathan Pine (Tom Hiddleston), er hält als Nachtmanager im Dunkeln die Zügel in der Hand. Entgegen seiner Gewohnheit lässt er sich in private Angelegenheiten einer seiner Gäste verwickeln: Sophie, die Geliebte des ägyptischen Geschäftmanns Freddie Hamid, weiß um dessen Beziehungen zu Richard Roper (Hugh Laurie). Einem undurchsichtigen Waffenhändler wie er im Buche steht. Sie bittet Pine um Hilfe, doch bei dem Versuch Kontakt zum britischen Geheimdienst aufzunehmen, wird Sophie ermordet. Pine fühlt sich mitschuldig an ihrem Tod und lässt sich vom MI6 als Undercover-Agent anwerben um in Ropers Nähe zu gelangen. Ein äußerst gefährlicher Einsatz, denn Ropers bezaubende Frau Jed und sein Handlanger Corcoran (Tom Hollander) machen ihm das Leben nicht einfach.

Der Vorspann, in dem Kristalle, Sektgläser und ein Tee-Service zu Bomben, Granatwerfern und ähnlichem mutieren, lässt die Gedanken zu James Bond aufkommen.
Doch die Serie kommt sehr gut ohne Action-Szenen aus und einen Aston Martin gibt es auch nicht. Die Handlung lebt von den Dialogen zwischen Laurie und Hiddleston. Und nicht zu vergessen: Olivia Colman. Die fungiert als Pine’s MI6-Kontakt und hat den Männerclub in ihrer Behörde gründlich satt.
Great Britain at its finest eben.

Gefilmt wurde vor toller Kulisse unter anderem auf Mallorca und der Türkei. Das lässt trotz manchmal etwas altbacken erscheinender Agentenmethoden (verstecken hinterm Reiseführer) Kinofeeling aufkommen. 🙂

Hier findet ihr die DVD und das Buch in unserem Bestand.

kwk

Buchtipp: Miss Terry

Ich habe hier schon einmal einen Roman von Liza Cody vorgestellt und gerne empfohlen: „Ballade einer vergessenen Toten“. Mit „Miss Terry“ (Katalogdaten hier) habe ich mich anfangs etwas schwer getan; vielleicht lag es ja auch an mir, jedenfalls landete das Buch nach den ersten Seiten erst einmal auf dem Stapel „Später_vielleicht“ – und geriet in Vergessenheit. Vor drei Tagen habe ich es neu angefangen und konnte es kaum wieder zuklappen.

Miss Terry heißt eigentlich Nita Tehri, ist eine junge, engagierte Grundschullehrerin, die ihr Studium noch abzahlen muss, allein lebt und am liebsten unauffällig bleiben will: nett, kompetent, beliebt und respektiert, aber auch selbstbewusst Grenzen setzend – so möchte sie gerne wahrgenommen werden. Ganz normal eigentlich. Doch allzu oft wird sie reduziert auf ihre Hautfarbe, sie bleibt die Exotin, obwohl sie in England geboren ist. Rassismus in Form von unbedachten Äußerungen, die wie feine Nadelstiche wieder und wieder wirken, bis hin zu offenem fremdenfeindlichen Hass und Gewalt – als Leser erleben wir alle Abstufungen des Alltagsrassismus und des strukturellen Rassismus ganz aus der Perspektive der um Selbstbeherrschung bemühten, aber mehr und mehr hilflosen Nita Tehri.

Die Eskalation beginnt mit dem Fund eines toten Babys, die Leiche wurde in einem Müllcontainer entsorgt – direkt vor Miss Tehris Haus. Sofort konzentriert sich die Gerüchteküche auf sie, ebenso die Polizei, die unfreundlich, ja, dreist die Freiheitsrechte verletzend und schikanös mit ihr umspringt. Das ganze wird noch gesteigert durch Frauenfeindlichkeit und Sexismus, Sozialneid und Verachtung für die gebildete Frau. Nita Tehri gerät in eine Mühle, aus der es immer weniger ein Entrinnen zu geben scheint. Selbst der Mord an eine Prostituierte wird mit ihr in Verbindung gebracht.

Manchmal hätte ich Nita gerne geschüttelt und ihr zugerufen: „Geh nicht dorthin! Sei nicht so vertrauensselig!“ oder auch „Jetzt nimm doch diese Hilfe an!“ – wie in einem Horrorfilm, wo man als Zuschauer schon ahnt, dass hinter der Tür etwas lauert. Nita trifft falsche Entscheidungen, aber sie will aus der Opferrolle herauskommen. Doch was da in nur wenigen Tagen über sie hereinbricht, lässt ihr kaum eine Chance und wird sogar zur tödlichen Gefahr.

Liza Cody sprengt mal wieder das Genre. Was wie ein sozialkritischer Gesellschaftsroman beginnt, mit einer authentisch gezeichneten, verunsicherten Frauenfigur im Zentrum, steigert sich erst langsam, dann immer atemloser in einen realen Albtraum.

Ein Thriller, der mich mehr über Rassismus und andere toxische Vorurteile gelehrt hat, als es irgendeine TV-Talkrunde je schaffen könnte. Nitas Verletzlichkeit und Empörung über all die kleinen und großen Respektlosigkeiten: Ist sie überempfindlich, wenn sie sich Unverschämtheiten verbittet? Wenn sie sich durch beleidigende „Witze“ abgestoßen fühlt? Ist es nicht verständlich, dass sie misstrauisch wird gegen jeden, selbst gegen wohlmeinende Nachbarn, weil die die gleichen obszönen Worte nutzen, weil ihr Blick anklagend wirkt, weil einfach jeder ihr Feind zu sein scheint?  Und wenn Rassisten oder Frauenhasser dein Leben bedrohen – wie sinnvoll ist es dann, nett und verständnisvoll zu sein, ihnen zuzuhören, ihnen eine Bühne zu geben? Wie erkennt man in so einer traumatischen Grenzsituation, zumal wenn man allein und „anders“ ist, wer noch Freund, wer Feind ist?
Puh.

Liza Cody konstruiert da nicht nur einen aufregenden Plot (über den ich nicht noch mehr verraten möchte, nur: die Geschichte ist noch viel komplexer). Sie schreibt einfach gut: authentische Figuren und Milieus, voller Mitgefühl (und nicht ohne Humor!) beschrieben, vor allem ohne plumpe Schwarz-Weiß-Zeichnung oder moralisierenden Zeigefinger, dafür mit prägnanten Bildern.

Leseempfehlung!

HilDa

Mittendrin Mittwoch #106

Lotty war sehr bleich. Als wir zur Ecke Novaragasse kamen, blieb sie stehen, die Augen fest zugekniffen. Sie hatte diese Straße zuletzt als Neunjährige an dem Morgen gesehen, als ihr Großvater sie und ihren Bruder und die heulende Käthe Saginor zum Bahnhof brachte. Die Polizei (…) hatte damals ihren Teddy mit Bajonetten durchbohrt, um sich zu vergewissern, dass ihre Familie keine Juwelen darin versteckt hatte. (Seite 516)

Die Geschichte ist grausam. Unsere Geschichte. Was Menschen anderen Menschen schreckliches antun: aus Macht- und Geldgier, Geltungssucht, Rassismus, Sadismus, weil sie blind Befehlen gehorchen, ohne zu hinterfragen irgendwelchen Autoritäten und Hierarchien folgen, den Hasspredigern einer Ideologie oder Religion, einer Phantasmagorie oder Wahnvorstellung auf den Leim gehen – was auch immer sie zur Abstumpfung ihres Gewissens und als „Erklärung“ für ihre Verbrechen vorschieben. Menschen zu allen Zeiten und aus allen gesellschaftlichen Schichten. Und manche könnten unsere Nachbarn, Vorgesetzten oder Kollegen sein oder gar unsere Familienangehörige. Was für ein Horror.

98BD34C8-B314-43BC-955C-F262105C5193Der Thriller von Sara Paretsky beginnt in einer verwüsteten Meth-Küche. So möchten wir uns die Verbrecher vorstellen: gewissenlose Dealer und durchgeknallte Süchtige, denen zwar alles zuzutrauen ist, denen man das Böse aber immerhin ansieht. Und die nicht sind wie wir, das möchten wir zumindest glauben. Doch „Kritische Masse“ führt uns in viel schlimmere Abgründe.

Zeitlich umfasst der Roman die letzten 100 Jahre, beginnend mit den Sternstunden physikalischer Forschung im frühen 20. Jahrhundert, doch dann folgte die Perversion der Wissenschaften einschließlich der hemmungslosen Entmenschlichung bei den Nazis und später im Kalten Krieg, die Suche um jeden Preis nach neuen Massenvernichtungswaffen bis ins heutige Computerzeitalter mit den totalen Überwachungsmöglichkeiten. Ja, das steckt alles drin in diesem Krimi. Dabei ermittelt die Detektivin gar nicht in einem richtigen Fall, die Gefälligkeit für eine Freundin führt erst einmal ins Drogenmilieu. Doch wer hätte gedacht, dass sie dann ausgerechnet in der Chefetage eines IT-Konzerns und in den Häusern von Nobelpreisträgern recherchieren muss – und unfassbares aufstöbert.

Ich habe erst kürzlich Liza Cody für mich entdeckt, Sara Paretsky konnte ich jetzt bei meiner Urlaubslektüre wiederentdecken (endlich wurde wieder einer ihrer Romane übersetzt!) – zwei Großmeisterinnen des Thriller-Genres. Paretskys toughe Detektivin V.I. Warshawski ist ja schon fast legendär, aber auch im sogenannten reiferen Alter (es ist ihr 16. Fall) noch immer unverwüstlich, mit sicherem Instinkt und Scharfblick, gut vernetzt, mitfühlend – und kompromisslos hart. Eben eine echte Hardboiled Detective.
Der rasante Thriller mit historisch-politischem Hintergrund taucht unsere Zeitgeschichte in ein brutales Licht, ohne aber in dieser Brutalität in Bild und Sprache zu baden.

Ich stehe jetzt gut 20 Seiten vor dem Finale, den großen Showdown habe ich soeben gelesen und atme vor der Auflösung erst einmal durch. Schreibe, um noch ein wenig die Spannung zu halten, das Ende hinauszuzögern. Aber mehr will ich jetzt hier wirklich nicht verraten – und auch nicht länger die Lektüre unterbrechen.
Lesen!

Paretsky, Sara : Kritische Masse / Deutsch von Laudan & Szelinski. – Deutsche Erstausgabe. – Hamburg : Argument Verlag, 2018. – 539 Seiten. – (Ariadne ; 1236)
Originaltitel: Critical mass
Standort und Katalogdaten hier

HilDa

Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.

UnderCover #2

Krimi-Neuerwerbungen im Frühjahr, Teil 2

Ich beginne mal mit einer norwegischen Krimi-Autorin, nicht zuletzt weil Norwegen im Herbst Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird. Karin Fossum ist für versierte Krimi-Leser*innen wahrscheinlich keine Unbekannte; seit den 90er Jahren wurden mehrere Romane ins Deutsche übersetzt (von Gabriele Haefs) und immer wieder neu aufgelegt. So auch diese bereits älteren Titel, die wir aufgrund eines Leserwunsches wieder angeschafft haben.

Drei Romane von Karin Fossum

Evas Auge“ ist im Original 1995 erstmals erschienen, 1998 die deutsche Übersetzung. Eine Frau wird aus Neugier Zeugin eines Mordes und gerät dann immer tiefer in den Mahlstrom des Verbrechens. Der raffinierte psychologische Thriller war der erste Fall mit Kommissar Sejer.

Fremde Blicke“ ist von 1996, deutsch 2000; mit diesem Roman wurde Karin Fossum zur Bestseller-Autorin. Kommissar Konrad Sejer will den Tod der jungen Annie aufklären. Sie war in dem norwegischen Dorf sehr beliebt, doch die Bewohner bleiben schwer durchschaubar und scheinen ein dunkles Geheimnis wahren zu wollen.

Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein“ ist schon der elfte Fall mit Kommissar Sejer. Bei einem tragischen Unfall stirbt ein kleiner Junge, die Eltern sind untröstlich. Doch für Sejer stimmt so einiges an diesem Unglück nicht.
Karin Fossum schreibt mehr als Whodunnit-Krimis, in ihren Romanen zeigt sie die Abgründe der menschlichen Seele.

Die nächsten drei Autoren und ihre Thriller führen uns zu sozialen Brennpunkten, in prekäre Verhältnisse und in ein Umfeld der Chancenlosigkeit, der Vorverurteilung, der Korrumpierbarkeit; eine Welt, in der Opfer und Täter, Sieger und Besiegte sich kaum unterscheiden.

Drei Romane

Drei Thriller aus dem Polar-Verlag: „Nichts ist verloren“ von Cloé Mehdi; „Desert Moon“ von James Anderson; „Bluebird, Bluebird“ von Attica Locke

Die Schriftstellerin Cloé Mehdi gewann mit ihrem Roman „Rien ne se perd“ in Frankreich schon viele Preise; die deutsche Übersetzung „Nichts ist verloren“ ist von Cornelia Wend, im Stuttgarter Polar-Verlag erschienen. Erzählt wird aus der Perspektive des elfjährigen Mattia, der in einem Pariser Banlieue bei einem Vormund aufwächst. Als im Viertel alte Wunden aufbrechen und er begreift, dass das Leben seines Vaters vor 15 Jahren durch den umstrittenen Tod des Jungen Said aus der Bahn geworfen wurde, will Mattia die Wahrheit herausfinden. Eine ausführliche Rezension zu dem Roman im Deutschlandfunk von Kirsten Reimers findet Ihr hier.

„The Never-Open Desert Diner“, deutsch (aus dem Amerikanischen von Harriet Fricke) „Desert Moon„, ist der Debütroman von James Anderson. Ingeborg Sperl schreibt in Der Standard kurz und knapp, der Roman „arbeitet mit genauen, quasi pastellgetönten Stimmungen, die in detaillierten Schockbildern enden. Die Wüste lebt, aber nicht alle überleben.“

Genau wie die beiden vorgenannten Titel stand auch „Bluebird, Bluebird“ von Attica Locke in diesem Jahr auf der Krimibestenliste, im Februar sogar auf Platz 1. Darren Matthews ist eben nicht Anwalt, sondern Texas Ranger geworden, weil er vor allem Hassverbrechen aufklären will; und die zwei Morde in dem kleinen Kaff in Osttexas scheinen ihm rassistisch motiviert zu sein – allerdings sieht nur er das so. Thekla Dannenberg zeigt sich in ihrer Krimikolumne „Mord und Ratschlag“ bei Perlentaucher von der Handlung und dem Thema des Romans mitgerissen und berührt, sprachlich allerdings weniger überzeugt.

Krimi-Taschenbuch

„Versammlung der Toten“ von Tomás Bárbulo

 

Im gleichen Beitrag bespricht sie auch „Versammlung der Toten“ von Tomás Bárbulo, eine schräge Krimikomödie um einige verpeilte Gauner, allesamt Verlierer der Wirtschaftskrise in Spanien, und um einen Juwelenraub in Marokko, der so ganz anders verläuft als abgesprochen.

 

 

„Desperation Road“ von Michael Farris Smith

 

Aber noch mal zurück in die Südstaaten der USA mit Michael Farris Smith und seinem düsteren Roman „Desperation Road„: Zwei Verlorene ohne Chance – der Ex-Häftling Russell Gaines, der gerade nach elf Jahren Haft einen Neuanfang sucht, und die obdachlose Maben, die zusammen mit ihrer Tochter auf der Flucht ist. Iris Tscharf ist in ihrer Rezension für CulturMag ganz begeistert.

 

„Die Plotter“ von Un-Su Kim

 

Brutale Gewalt gepaart mit Humor – und eine Bibliothek als Tarnung für Auftragskiller. Na, wenn das kein passender Abschluss unserer heutigen UnderCover-Liste ist. Der koreanische Schriftsteller Un-Su Kim hat mit seinem ersten Thriller „Die Plotter“ gleich international Furore gemacht. Der Krimi Noir wird hier von Sonja Hartl bei Deutschlandfunk Kultur besprochen.

Viel Freude beim Lesen.

HilDa

 

 

Mittendrin Mittwoch #104

Ich bin keine Detektivin. Bloß weil es einen Mord gab, muss er noch lange nicht aufgeklärt werden. Es ist zwanzig Jahre her! Ich schreib an einer Biografie, nicht an einem scheiß Thriller. (Seite 258)

Aber es ist ein Thriller. Und Liza Cody versteht es, diesem Genre eine ganz eigene Note zu geben.
Ok, diese Metapher konnte ich mir jetzt nicht verkneifen, geht es doch in diesem Buch um eine geniale Musikerin und die (selbst-)zerstörerische Musikszene.

Die kleine, unscheinbare Elly ist ein Phänomen. Nein, sie war es:

(…) Elly Astoria, berühmt für ihren kurzen kometenhaften Aufstieg und noch berühmter für die abartigen Umstände ihres Todes. (Seite 19)

„Ballade einer vergessenen Toten“ von Liza Cody

Damit ist gleich zu Beginn klar, wie kurz und tragisch das Leben der armen kleinen Elly war. Jahrzehnte später entschließt sich die vom Leben enttäuschte Schriftstellerin Amy spontan, eine Biografie über Elly zu schreiben.

Das sieht trotz der Andeutungen vorerst gar nicht nach einem Krimi aus. Die Kapitel des Romans liefern Puzzleteile aus unterschiedlichen Perspektiven zu Ellys Leben und Amys Recherchen: Rückblicke, Interviews, Notizen, Briefe und E-Mails. Mal begleiten wir Amy bei ihrer Suche, lesen ihre Aufzeichnungen und Entwürfe, mal erzählt ein Zeitzeuge, mal ein auktorialer Erzähler. Die Puzzleteile passen nicht so ganz zusammen, denn jeder Beteiligte hat nicht nur seine eigene Sicht und Interessen – eigentlich reden alle mehr über sich selbst.

Und Elly verschwindet wie immer irgendwo im Hintergrund. Ihre Entdecker haben Ellys Talent erkannt und gefördert, aber das leichtgläubige Mädchen ausgenutzt und dann im Stich gelassen; Ellys Songs sind berühmt und haben vielen Künstlern zu Hits verholfen, doch ihre zwielichtigen Berater und Manager haben nur sich selbst die Taschen gefüllt. Die ungebildete Elly war offensichtlich ein leichtes Opfer. Aber wer hat sie so brutal ermordet? Erst jetzt in der zweiten Hälfte des Buches rückt diese Frage in den Vordergrund – ob Amy, die Biografin, das nun will oder nicht.

Einen Roman von Liza Cody wollte ich schon lange lesen, sie wird für ihre Milieuschilderung, ihre Charaktere und Sprache von Krimirezensenten geradezu gefeiert. Darum habe ich in der Buchhandlung nicht gezögert, als ich dieses neue Buch von ihr fand. „Ballade einer vergessenen Toten“ spielt geschickt mit den unterschiedlichen Blickwinkeln auf das kurze, tragische Leben der (fiktiven) Elly Astoria – und gibt so nebenbei einen verstörenden Einblick in das Musikgeschäft. Liza Cody kennt sich übrigens in der Szene bestens aus und lässt auch große (reale) Namen einfließen.

Das ist großartig geschrieben, kommt bisher so gar nicht wie ein klassischer Thriller daher und ist doch ungemein spannend. Darum schreibe ich jetzt auch nicht weiter, ich möchte ja viel lieber weiterlesen.

Cody, Liza : Ballade einer vergessenen Toten / Deutsch von Martin Grundmann. – Hamburg : Argument-Verlag, 2019. – 411 Seiten. – (Ariadne ; 1238)
Originaltitel: Ballad of a dead nobody
ISBN 978-3-86754-238-8

PS: Inzwischen wird der Roman in der Stadtbibliothek eingearbeitet, Katalogdaten findet Ihr hier.

HilDa

Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.

UnderCover #1

Krimi-Neuerwerbungen im Frühjahr

Ihr sucht zwischen den Buchdeckeln ein bisschen Spannung? Oder darf’s auch gerne etwas mehr thrill sein? Dann zeigen wir hier jetzt einige Neuerwerbungen im Krimi-Regal. Nur eine Auswahl, mit der wir auf Titel aufmerksam machen wollen, die nicht auf der Bestsellerliste stehen, und auf Autor*innen, die (noch) eher unbekannt und zu entdecken sind.

Leonardo Padura gehört allerdings nicht zu den unbekannten: Er gilt als einer der meistgelesenen kubanischen Autoren; mit seiner Krimireihe „Das Havanna-Quartett“ wurde er auch hierzulande bekannt; seine Romane standen immer wieder auf der Krimi-Bestenliste und wurden mit Preisen gewürdigt. Die Figur des Polizeileutnant Mario Conde aus dem Havanna-Quartett und der darauf beruhenden Netflix-Serie „Four Seasons in Havanna“ spielt auch in „Die Durchlässigkeit der Zeit“ die Hauptrolle.
Er arbeitet mittlerweile als Detektiv, doch diesmal hilft er einem Freund, um eine wertvolle gestohlene Schwarze Madonna wieder zu beschaffen. Verdächtigt wird ein ehemaliger Freund des Opfers, doch dann gerät Conde an gerissene Kunsthändler – und in die Unterwelt Havannas.

Für ihre ausgefeilten Romane wird Jeong Yu-jeong auch schon mal als „die koreanische Stephen King“ bezeichnet. „Der gute Sohn“ erwacht blutverschmiert und erinnert sich nicht mehr an den letzten Abend. Als er seinen roten Fußabdrücken folgt, findet er seine ermordete Mutter. Alles deutet auf ihn selbst als Täter … – mehr verrate ich besser nicht.

Melissa Scrivner Love hat eine ungewöhnliche „Heldin“ für ihren Thriller im Gang-Milieu: Die titelgebende Lola ist unscheinbar und offenbar nur eine von den vielen chicas in dieser Latino-Macho-Welt. Tatsächlich ist sie die Chefin einer Gang, die sich bewusst unauffällig verhält. Doch plötzlich gerät sie mitten in einen Krieg zwischen etablierten Großdealern, einem mexikanischen Kartell und Drogen-Großlieferanten. Und Lolas Achillesferse ist ihre Familie … .
Bei Anne Goldmann sind es in „Das größere Verbrechen“ drei sehr unterschiedliche Frauen, die alle ihre Geheimnisse haben. Bei der unsicheren Theres bricht durch einen Anruf das wohl geordnete Familienidyll zusammen, Putzhilfe Ana macht für andere den Dreck weg und interessiert sich nicht für die Probleme dieser Mittelständler, die alte Frau Sudic hat in Bosnien furchtbares überlebt. Reale und imaginäre Bedrohungen eskalieren für die drei plötzlich zu einer tödlichen Achterbahnfahrt.

Bleiben wir doch bei weiblichen Krimi-Hauptfiguren. Kerstin Cantz lässt das „Kriminal-Fräulein“ Zeisig in München ermitteln: „Fräulein Zeisig und der frühe Tod„. Im Schwabing der 60er Jahre liefern sich Studenten Straßenkämpfe mit der Polizei, die Stimmung in der Stadt ist aufgeheizt. Die neue Münchner WKP, die Weibliche Kriminalpolizei, wurde vor allem für die Vernehmung von Frauen und Kindern gegründet. Doch dann werden die Talente von Elke Zeisig für eine Mordermittlung gebraucht. Und sie muss auch noch ihren verschwundenen Bruder suchen.
Die Drehbuch- und Romanautorin verknüpft historisches Zeitgeschehen, Lokalkolorit und Krimihandlung.

Weitere Neuerwerbungen demnächst.

HilDa

 

Mittendrin Mittwoch #90

Als Overby gegangen war, wischte sich Georgia Blue seelenruhig mit einer Serviette den Kaffee aus dem Gesicht. Sie zündete sich eine Zigarette an, rauchte ein paar Züge, drückte sie aus und verlangte die Rechnung. Sie zeichnete sie mit nur leicht bebender Hand ab, erhob sich und legte einen gemessenen, würdevollen Abgang hin, der den Japanern beifälliges Murmeln entlockte.
Sie benutzte das Haustelefon in der Lobby, um Artie Wu anzurufen. Als er sich meldete, sagte sie: „Der Saukerl hat mir eine Tasse Kaffee ins Gesicht geschüttet“
„Wunderbar“, sagte Wu.
„Wir hatten ein volles Haus.“
„Großartig.“

(Seite 211)

Dieser leicht eskalierte Streit im Hotel-Restaurant ist Teil einer großen Inszenierung, so viel sei verraten. Die fünf Protagonisten des Romans wollen 5 Millionen Dollar ergaunern, offenbar unsauberes Geld. „Sauber“ ist in diesem Milieu allerdings ohnehin ein dehnbarer Begriff. Aber leichtverdientes Geld wird es nicht, der Coup ist aufwendig und gefährlich, man kann niemandem trauen und eigentlich weiß auch niemand, wer noch alles mitmischt in diesem undurchsichtigen „Spiel“. Die fünf – na sagen wir mal Verbündeten, die sich natürlich auch gegenseitig nicht vertrauen können, haben schon einschlägige Erfahrungen sowohl auf dem diplomatischen Parkett, mit Politik und Geheimdiensten, ebenso mit Kleinkriminellen und dem international organisierten Verbrechen; der eine ist Terrorismusexperte, der andere Hochstapler, sie könnte eine Killerin sein und das Glücksritterpärchen Artie Wu und Quincy Durant ist sowieso mit allen Wassern gewaschen.

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Thomas, Ross : Am Rand der Welt : ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall / aus dem Amerikanischen von Jürgen Behrens, bearbeitet von Gisbert Haefs und Anja Franzen. – Zeitverl. Bucerius, 2012 . – (Die ZEIT – Politthriller)

Klingt ein wenig nach dem Set eines Bond-Films? Nun, die Figuren wären bei James Bond gut als dessen Gegenspieler oder sie gehörten zu den zahllosen originellen Nebendarstellern. Hier sind sie die zwielichtigen „Helden“ – und wahrscheinlich auch keinen Deut besser als ihre Gegner.

Die Handlung spielt überwiegend auf den Philippinen im Jahr 1986; das Marcos-Regime wurde gerade gestürzt, die neue Präsidentin Aquino wird es schwer haben gegen die immer noch vorhandenen alten Seilschaften, gegen die Rebellen, gegen die Interessen des internationalen Kapitals und nicht zuletzt der amerikanischen Politik. Kurz: Die politischen Verhältnisse auf den über 7.000 Inseln des Archipels sind schwierig und es gibt kaum überschaubare Einflüsse von außen – also die ideale Gemengelage für alle möglichen Elemente (Personen und Organisationen), die das Land auf Kosten des Volkes einfach nur aussaugen und sich selbst bereichern wollen.

Ross Thomas (1926-1995) schrieb insgesamt 25 Romane sowie einige Drehbücher für Fernsehserien. Für Am Rand der Welt (Original: Out on the Rim) erhielt er 1990 den Deutschen Krimipreis in der Kategorie International – einer von vielen Preisen für seine Politthriller. Trotzdem ist der Autor im deutschsprachigen Raum eher Geheimtipp geblieben, selbst eine Neuübersetzung seiner Werke hat daran bisher nicht viel ändern können (erschienen im Alexander-Verlag).

Als ich vor einigen Jahren die Reihe „Die ZEIT – Politthriller“ gekauft habe, war sie eigentlich zum Verschenken gedacht, Thriller sind nicht so mein Genre. Doch da gab es ein paar Klassiker, die ich doch erst lesen wollte: Graham Greene, Eric Ambler, John le Carré, … . Und danach wollte ich sie alle (es sind insgesamt 12 Bände)! Mir haben zwei, drei Titel nicht so gefallen, aber alle anderen waren gut bis sensationell, Ross Thomas gehört dazu. Schön ist auch der kurze Anhang zu jedem Band mit Anmerkungen zu Roman und Realität, hier von dem Literaturkritiker und Publizisten Thomas Wörtche; für mich sehr hilfreich, da meine Kenntnisse zur philippinischen Geschichte doch eher oberflächlich sind.

Wir haben den Thriller nicht im Bestand der Stadtbibliothek. Noch nicht.
Wer sich erst einmal mit einem anderen Thriller von Ross Thomas einlesen will, hier die Katalogdaten.
Und wenn Interesse an weiteren Bänden der Politthriller-Reihe der ZEIT besteht, hier der Link zu fast allen Bänden.

HilDa

Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.