Mein Vater und ich haben uns mal wieder ein neues Bilderbuch angeschaut. Ich frage meinen Vater ab und zu, ob wir gemeinsam ein mögliches Vorlesebuch prüfen können. Das hat ja nicht nur etwas mit Lesefertigkeit zu tun, das Buch muss mir auch selbst gefallen, Thema und Stil müssen mir liegen und Spaß machen.
Mein Vater spielt also den Zuhörer, ich die Vorleserin. Danach schauen wir uns gemeinsam die Bilder noch einmal ganz genau an, um kleine Details zu entdecken, auf die man neben dem Vorlesen noch extra eingehen könnte. Und ich mache mir Gedanken, wie man bei einer Vorleseveranstaltung in der Bibliothek mehrere Kinder einbeziehen und für die Geschichte oder das Thema begeistern kann. Meinen Vater frage ich nach seiner Meinung.
Allerdings verliert er manchmal das Interesse, das ist dann natürlich auch okay. Meist freut er sich aber, wenn er mir bei meiner Arbeit helfen kann. Er erkundigt sich, was überhaupt mein Beruf ist und wo ich denn arbeite – jedes Mal und oft wiederholt binnen weniger Minuten. Damit muss man halt rechnen, wenn man mit einem Herrn, der leider an Demenz erkrankt ist, zusammen „arbeitet“. Manchmal erzählt er mir dann, dass er auch irgendwann mal in Bielefeld in einem Haus an einer Kreuzung übernachtet hat. Das ist dann eigentlich das Beste beim Vorlesen: Wenn er selbst erzählt, egal was. Das Buch ist dann eben nicht mehr wichtig.
Jedenfalls habe ich ihm versprochen, dass er für seine Hilfe hier erwähnt wird. Und ich soll Euch alle grüßen.
Diesmal ist das Bilderbuch unserer Wahl „Tonia im Theater“ von Judith Kuckart (Text) und Julia Hoße (Illustration). Theater ist nämlich mein Hobby. Und es war mein Vater, der mich schon als Kind in „unsere“ Theatergruppe mitgenommen hat. Schon früh wollte ich, wenn ich mal groß bin, so wie er auf der Bühne stehen. Nun, der Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ich kenne also die verschiedenen Theaterräume und die unterschiedlichen Tätigkeiten hinter und auf der Bühne recht gut.

Tonia, die Heldin des Bilderbuches, erkundet das Theater, weil sie eine neue Freundin sucht. Von der Theaterkantine bis zum Kostümfundus, durch den Malersaal in die Kostümschneiderei – sie stöbert überall herum und stolpert zuletzt mitten in eine Generalprobe.
Die Autorin Judith Kuckart erzählt mit wenigen Worten, so lässt sie viel Spielraum für die Bilder, in denen noch mehr zu entdecken ist. Die ganzseitigen Illustrationen von Julia Hoße werden mehr und mehr selbst zur Bühne, auf der nicht nur die Geschichte dargestellt und mit kleinen lustigen Details ergänzt wird, sondern da werden Dialoge und zuletzt sogar die Stimme des Märchenerzählers, der auf der großen Theaterbühne spricht, sichtbar. So kann man als Vorleserin das Theaterspiel, in das Tonia hinein gerät, gleich mit inszenieren.
Tonia unterbricht versehentlich die Probe zu einem Kinderstück, weil sie ihre neue Freundin vor den „bösen Räubern“ retten will. Es wird nämlich ein Märchen gespielt, in dem ein armes Waisenmädchen in die Hände von drei wilden Räubern fällt. Natürlich darf sich Tonia auch noch den Rest der Probe ansehen: Das arme Waisenmädchen findet eine neue Familie (ja, ausgerechnet die Räuber, die ja wohl doch nicht so böse sind. Hach ja, Märchen halt). Und die fröhliche kleine Schauspielerin wird Tonias neue Freundin. So ein Ausflug ins Theater lohnt sich wirklich. ☺️
Wer sich noch nicht so gut hinter der Bühne auskennt, erhält Hilfe im ausführlichen Glossar am Ende des Buches, wo einige Theaterbegriffe und die verschiedenen Tätigkeiten kurz und auch für Kinder verständlich erklärt werden: Was macht ein Regisseur; was gibt es in einer Theaterkantine, was bedeutet das Wort „Inszenierung“, …
Ich stelle mir vor, dass ich beim Vorlesen die kleinen Zuhörer und Zuhörerinnen durch Fragen nach eigenen Theatererfahrungen mit einbeziehe. Wer war schon mal im Weihnachtsmärchen? Vielleicht hat ja jemand selbst Theater gespielt, zum Beispiel im Kindergarten (oder bei einer Amateurtheatergruppe wie ich)? Wer durfte schon mal beim Tag der Offenen Tür den Ballettsaal oder die große Bühne im Stadttheater besichtigen? Was ist euer Lieblingskostüm bei Karneval? Habt ihr euch schon mal geschminkt?
Und natürlich könnte ich auch von eigenen Theatererlebnissen erzählen. Ach, da könnte ich viel erzählen …
Aber erst einmal wollte ich mit meinem Vater in Erinnerungen schwelgen. Er hat das Buch aber lieber ganz gründlich ohne mich studiert. Auf meine Frage, ob er sich noch an unsere gemeinsamen Auftritte erinnern könne, hat er nur gelächelt. Ob er noch weiß, dass ich ihm früher beim Textlernen geholfen habe? Jetzt nickt er kurz, ja, das weiß er noch. Ich war noch klein, Grundschulalter, und durfte alle anderen Rollen vorlesen, damit er die Einsätze für seine Auftritte lernen und an der richtigen Stelle seinen Text sagen konnte.
So hat meine Theaterleidenschaft angefangen. Und vielleicht auch meine Freude am Vorlesen.
Auch die Geschichte von Tonia und dem Theater geht bestimmt noch weiter. Wer weiß, vielleicht spielt sie demnächst selbst eine Rolle in einem Kinderstück.
Was würdest du einmal gerne auf einer Theaterbühne spielen?
HilDa
„Tonia im Theater“ gibt es nun auch in der Kinderbibliothek am Neumarkt (Katalogdaten).