Literarische Reisebeschreibungen

„Wenn Jemand eine Reise thut, // So kann er was erzählen“ (Matthias Claudius) – Das wird ja manchmal missverstanden als „… dann muss er viel erzählen!“

Ausschnittfoto: alter Koffer mit Aufklebern (u.a. „Stadtbibliothek“)

Den alten Koffer habe ich mir aus der Kinderbibliothek ausgeliehen

Da habe ich gleich zwei Assoziationen. Einmal eine Kindheitserinnerung: Gleich am ersten Schultag nach den Großen Ferien wussten wir, das Thema „Mein schönstes Ferienerlebnis“ – als Hausaufgabe oder gar als Klassenarbeit – würde uns nicht erspart bleiben. Das konnte uns im Nachhinein schon wieder die Ferien verleiden.
Oder wer kennt nicht den Familienbesuch bei diesem Onkel, der schon den Dia-Projektor aufgebaut hatte und schöne Bilder von der Tour mit dem alten Camping-Bulli durch Skandinavien zeigte? Endlose zweieinhalb Stunden lang!

Heute blüht uns das natürlich immer und überall: beim harmlosen Small Talk werden plötzlich die Fotos gezückt  – die hat man ja jetzt praktischerweise in der Hosentasche, sprich auf dem Smartphone immer dabei:

Dieses eine Bild muss ich Dir zeigen – wo ist es denn – *wischwisch* – hach, wir haben natürlich Hunderte Fotos gemacht, hihi – *wischwisch* – hier, da waren wir auch, Postkartenmotiv, das fotografiert ja jeder – *wischwisch* – und hier, lustig nicht – *wischwisch* – ach diese Sonnenuntergänge, jeden Abend so schön: hier und hier und hier …– *wischwisch* – aber was wollte ich dir noch mal zeigen – *wischwisch*

Ich muss leider sagen, so manche Reiseerzählung, die zwischen zwei Buchdeckeln gedruckt wird, ist nicht besser als das: eine Auswahl mehr oder weniger guter Amateurfotos und ein Text wie aus einem Schulaufsatz. Ich will jetzt nicht behaupten, dass wir bei unserer Auswahl für die Bibliothek niemals Fehlkäufe dieser Art dazwischen hätten. Und natürlich kann auch in einem Selbstverlag mal eine originelle Entdeckung zu finden sein.

aufgeklappter Koffer voller Reisebücher

Der Koffer ist gepackt: eine Auswahl Reiseberichte

Der Markt jedenfalls ist riesig. Wir könnten locker unseren gesamten Medienetat für das Sachgebiet Geografie nur für Reiseberichte und -erzählungen verbraten. Was wir aber nicht machen; unser Schwerpunkt liegt mehr bei den sachbezogenen Reiseführern, weniger bei den persönlichen Erlebnisberichten. Aber eine Auswahl schaffen wir in jedem Jahr an, denn literarische Reisebeschreibungen sind ein beliebtes Genre.

 

Beliebt war das Thema Reisen wohl schon an den Lagerfeuern der Steinzeit: Geschichten über das Gesehene und Erlebte jenseits des Horizonts wurden ausgeschmückt, über mehrere Generationen weitererzählt und schließlich zu Mythen, Legenden, Märchen, zuletzt vielleicht sogar von einem Dichter als Epos niedergeschrieben und verewigt. Das berühmteste Beispiel aus der Antike ist natürlich Homers Odyssee.

Das Motiv der Heldenreise ist ein Grundmuster in fiktionalen Erzählungen oder auch in Hollywoodfilmen: Der ungestüme Held zieht hinaus in die Welt, er muss fliehen oder wird mit einer Aufgabe fortgeschickt; er sieht wundersame Dinge, muss phantastische Abenteuer bestehen, gewinnt ungewöhnliche Freunde, muss sagenhafte Feinde besiegen; er besteht Prüfungen, löst Rätsel und erhält Zauberdinge; doch am Ende kehrt er in seine Heimat zurück – mit der rettenden Erkenntnis oder dem gesuchten Zaubergegenstand, aber vor allem klüger und verantwortungsvoller, ja erwachsener, denn die Heldenreise ist eben auch eine Reise zu sich selbst, eine Entwicklungsgeschichte, eine Initiation.

Ich habe jetzt sehr weit ausgeholt. Aber die Motive sind bis heute die gleichen geblieben, und man findet sie auch in nicht-fiktionalen Texten wie z.B. im Aufbau einiger Reisereportagen.

Als Leser erwarten wir von einer guten Reiseerzählung:

  • Exotik
  • Abenteuer und Anekdoten
  • nicht zuletzt Persönliches über den Erzählenden: wir wollen wissen, was die Reise mit ihm oder mit ihr gemacht hat.

Exotische Orte sind für uns heute nicht mehr unerreichbar, sie sind vom Pauschaltourismus erschlossen und in den Medien erklärt, sei es im Reiseführer, Bildband oder im dokumentarischen Film.
Exotisch kann aber auch die Art des Reisens sein:
Reisebücher aufgereiht auf einen alten Koffer

Das sind nur einige Beispiele.

Abenteuer und Anekdoten kann man durchaus auch im Weserbergland erleben. Es geht da weniger um Ort und Ziel der Reise, sondern um Originalität und vor allem das Wie des Erzählens. Wenn der in die Jahre gekommene Schriftsteller Bill Bryson so umwerfend komisch von seiner Wanderung zusammen mit seinem, nun sagen wir, auch nicht sehr sportlichen Freund erzählt, spielen weniger der Appalachian Trail oder die titelgebenden Bären die Hauptrolle (Picknick mit Bären, übrigens auch hinreißend verfilmt).

Reiseerzählung vor einem alten Koffer

Frühstück mit Kängurus / von Bill Bryson

Bill Bryson könnte, glaube ich, über jeden beliebigen Gegenstand humorvoll, selbstironisch und geistreich berichten.

Ähnlich gelang es Hape Kerkeling, das Pilgern und die historischen Pilgerrouten losgelöst vom religiösen Kontext wieder populär zu machen. Natürlich durch seine Komik, klar: Der berühmte Comedian machte aus dem Thema einen deutschen Mega-Bestseller, gedruckt und verfilmt; und auf dem Jakobsweg stieg in den Jahren nach der Veröffentlichung von „Ich bin dann mal weg“ die Zahl der deutschen Touristen auffällig an (der „Kerkeling-Effekt“). Der Autor gibt allerdings auch viel von sich selber preis, wie er in einer Schaffenskrise aufbricht zu einer ungewöhnlichen Reise und als veränderter Mensch heimkehrt. Und uns alle lässt er daran teilhaben.

Reisebuch vor altem Koffer

„Die Welt im Notizbuch“ von Ryszard Kapuscinski

Bei einer Reisereportage und einem Reisebericht erwarten wir, dass die Autorin / der Autor tatsächliche Begebenheiten schildert und wahre Erlebnisse erzählt. Aber nicht nur Karl May hat seine „Reiseerzählungen“ schlicht erfunden. In Polen wurde Ryszard Kapuściński als Journalist des Jahrhunderts ausgezeichnet; doch wenige Jahre nach seinem Tod wurden Zweifel am Wahrheitsgehalt einiger seiner Reportagen laut. Er habe fabuliert und die Fakten seinem erzählerischen Ziel untergeordnet, schrieb sein Biograf Domosławski. Aber auch wenn man diese Reportagen jetzt etwas zwiespältiger liest, gut geschriebene Literatur ist es allemal.

Ob am Lagerfeuer, in gedruckter Form, verfilmt oder im Blog – so viel hat sich nicht in diesem Genre geändert. Fakt und Fiktion fließen gerne mal durcheinander, sei es um der Dramaturgie des Textes willen oder um an der eigenen Legende zu stricken.

Das setzt mich als Bibliothekarin dann vor das Problem, dass ich nicht immer weiß, wohin ich das Buch stellen soll:

  • Reisebuch vor altem Koffer

    „Post aus Hawaii“ von Mark Twain

    Mark Twains vergnügliche Reiseberichte (z. B. „Post aus Hawaii„) aus dem Ende des 19. Jahrhunderts vielleicht besser nicht zur Geografie, sondern neben seine anderen Erzählungen und Romane? Oder zu seinen autobiografischen Schriften in die Literaturwissenschaft?

  • Hape Kerkelings Buch zu den Schauspieler-Biografien?

Geht es in einem Reisebericht um das Reisen an sich oder steht die Beschreibung einer Region,  der dortigen Sitten und der Bewohner im Vordergrund? Wo findet das Werk am ehesten seine Leser*innen?

Wenn Ihr in der Bibliothek ganz allgemein nach Reiseberichten fragt, findet Ihr diese nicht alle an einer Stelle versammelt. Die literarische Reisebeschreibung ist nun mal kein eindeutiges Genre und passt schlecht in unsere eindimensionale Aufstellungssystematik.

Nur kurz erwähnen möchte ich noch die wissenschaftliche Reisebeschreibung: die Berichte und Tagebücher zu den großen Forschungs- und Entdeckungsreisen der Geschichte. In diesem Jahr ist da besonders Alexander von Humboldt und sein Werk zu nennen.

Wir wollen Land und Leute erleben, wie wir sie selbst wohl nie mit eigenen Augen wahrnehmen und schon gar nicht in Worte fassen könnten. Wir wollen beim Lesen unterhalten werden, vielleicht mitlachen, vielleicht mitleiden – und schön bequem die Füße dabei hochlegen können. Wir wollen mehr über die Persönlichkeit des Autors oder der Autorin erfahren und durch die  Erfahrungen des anderen auch selbst ein wenig klüger und verantwortungsvoller, ja erwachsener werden. Denn Lesen und das Eintauchen in die Gedanken und Erkenntnisse eines anderen kann eben auch eine Reise zu sich selbst sein, eine Entwicklungsgeschichte, eine Heldenreise im Lesesessel.

Einige wenige Beispiele und Empfehlungen habe ich in diesen Text einfließen lassen. Mit den Hashtags #Reisebericht und #LesezeichenDerWoche geben wir einzelne Tipps auf Twitter. Und auch hier im Blog werden wir auf das Thema sicher zurückkommen: Wir haben gerade erst neue Reiseerzählungen bestellt.

Alter Koffer auf einem Rollwagen in einem leeren FlurDer nächste Koffer kann also demnächst gepackt und vorgeführt werden.

 

HilDa

 

(Für das Blog überarbeiteter Vortrag)

Mittendrin Mittwoch #97

Lange Zeit glaubte ich, daß es im Irrenhaus eine Abteilung für gescheiterte Hobby-Handwerker gibt. Heute weiß ich es. Denn ich lebe dort, hihi.

(Ich hab’s euch immer schon gesagt / von Axel Hacke. Seite 27)

Buch auf einer Decke

Ich hab‘s euch immer schon gesagt / von Axel Hacke

Es gibt so Bücher und Geschichten, die kann man so zwischendurch vernaschen, wie ein Konfekt oder (für mich passender) einen Keks; so zum Kaffee vielleicht oder vor dem Einschlafen, wenn man bereits zu müde für den dicken Roman ist. Oder an einem schlechten Tag, wenn man einfach etwas leichtes, anregendes und vor allem lustiges braucht, wenn man heute wenigstens einmal grinsen, ja laut lachen möchte. Axel Hacke schreibt solche Geschichten.

Meine erste Begegnung mit ihm war „Der kleine Erziehungsberater“ – vor vielen Jahren, da kannte ihn noch kaum jemand in meinem Bekanntenkreis; mittlerweile sind deren Kinder aber schon erwachsen. Nun, Axel Hacke schreibt Kolumnen über den Alltagswahnsinn, also den Alltag, der uns in den Wahnsinn treibt. So wie in der Geschichte „Vorhangstangen sind eigentlich doch schön“, die wie oben zitiert beginnt.

Kolumnen und Glossen lese ich einfach gerne. Diese kurzen, überspitzten Texte sind auch eine gute Vorlese-Übung. Es ist nicht leicht, die Ironie und die Pointe richtig herüber zu bringen, da müssen die Betonung, der Rhythmus, die Lesegeschwindigkeit und die Pausen genau gesetzt sein. Und der Vorleser selbst muss ganz ernst bleiben, sonst wirkt es nicht.

Texte von Axel Hacke dürfte ich nie irgendwo vorlesen. Ich habe gerade schon fast wieder meinen Kaffee über den Schreibtisch geprustet.
Ach.
Ich übe einfach noch ein wenig.

HilDa

Hacke, Axel : Ich hab’s euch immer schon gesagt : mein Alltag als Mann. – München : Kunstmann, 1998.

Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.

Nervennahrung für Fortbildungen

Neulich bei einer internen Fortbildung in der Stadtbibliothek am Neumarkt, haben die Teilnehmer kleine leckere Snacks für die Pause mitgebracht. Unter anderem waren auch selbstgemachte Energieriegel dabei. Die Kollegen waren so begeistert, dass wir das Rezept weitergeben wollen.

180 g kernige Haferflocken
30 g gepufftes Quinoa
80 g Kürbiskerne
80 g Sonnenblumenkerne
160 g getrocknete Aprikosen (lt. dem Rezept werden Datteln genommen)
70 g getrocknete Cranberrys
120 g Honig
100 g glattes Mandelmus ohne Zusätze
2 Tl gemahlener Zimt
2 Tl Vanilleextrakt

  1. Den Ofen auf 180 Grad vorheizen. Ein Kuchenblech (20 x 30 cm) mit Backpapier auslegen. Das Backpapier an den langen Seiten 4 cm überstehen lassen. Außerdem ein Backblech mit Backpapier belegen.
  2. Haferflocken, Quinoa, Kürbis- und Sonnenblumenkerne gleichmäßig auf dem Backblech verteilen. Im Ofen 20 Minuten leicht goldbraun rösten. Das Blech aus dem Ofen nehmen und abkühlen lassen.
  3. Die Aprikosen und Cranberrys fein hacken. Die Haferflockenmischung dazu geben und vermengen.
  4. Honig, Mandelmus, Zimt und Vanilleextrakt in einen Topf bei niedriger Temperatur schmelzen und zu einer glatten Masse verrühren. Zur Haferflockenmischung geben und alles gut verrühren.
  5. Die Masse mit einer Gabel gleichmäßig in das vorbereitete Kuchenblech drücken. 1 Stunde im Tiefkühler fest werden lassen.
  6. Den Block an den Papierenden aus der Form heben und mit einem scharfen Messer in Riegel schneiden. In einem luftdicht verschlossenen Behälter bis zum Verzehr im Kühlschrank aufbewahren.

Das Rezept steht in dem Buch Von Einfach zu Brillant Kids von Donna Hay. Dieses Buch kann auch in der Stadtbibliothek ausgeliehen werden. Zu finden ist es unter dem Standort Xeo 29 Hay.

Alpi – ein DVD-Tipp

Es war ein Witz: Mein Bruder nannte seinen Freund halb im Scherz „Alptraum“, der andere antwortete schlagfertig: „Selber Alpi, du bist doch im Alpenverein“, und so nannten sie sich gegenseitig lachend „Alpi“. Als ich das Wort als Filmtitel auf einer DVD sah, musste ich an diese Szene denken und lachen; vielleicht ein alberner Grund, einen Sachfilm auszuleihen. Die Dokumentation zeigt aber tatsächlich beides: Alpen und Alptraum.

DVD-Sachfilm „Alpi“

Alpi [DVD] : eine Dokumentation von Armin Linke

Die Bilder bleiben ganz unkommentiert, überhaupt wird kaum gesprochen. Es beginnt mit einem Team, das Szenen für einen Bollywood-Film vorbereitet: indische Darsteller und Darstellerinnen, die mitten auf einer Dorfstraße ihre Tanzmoves üben und dabei vorbeifahrenden Autos ausweichen müssen. Genauso bizarr geht es weiter: eine Ski-Anlage in einer riesigen Halle in Dubai, in der die Alpenwelt nachgestellt wird einschließlich Sessellift, Seilbahnstation und wahlweise österreichischen, französischen oder Schweizer Wochen … . Labore mit Modellen zur Lawinen- und Klimaforschung, Bergwerke und Steinbrüche, Wellness und Sicherheitskonzepte für die Schönen und Reichen in Davos, riesige Talsperren, eine Kletterhalle, futuristische Touristenzentren mit Durchsagen in Englisch, Japanisch, … .

Die anrührendsten Bilder und Worte kommen von einem alten Bergbauern, der noch lebt und arbeitet wie einst seine Eltern, während alle anderen Familien ringsum fortgezogen sind: „Aber verstehst du nicht, dass das Leben hier, mein Leben alleine, hart ist?“

Bereits die Inhaltsangabe und das Interview mit dem Filmemacher Armin Linke (beides im Klappentext) hatten mich darauf vorbereitet, dass ich hier keine Panoramabilder von gewaltigen Bergmassiven oder Alm-Idyllen sehen würde. Es geht mehr um die Illusionen der Alpenromantik und die Transformationen des Alpenraumes und seiner Kulturen. Ein Film, der keine Antworten bieten will, sondern Denkanstöße.

Der Titel „Alpi“ ist übrigens weder Verniedlichung noch Anspielung, sondern schlicht das italienische Wort für die Alpen.

Unsere Katalogdaten zur DVD hier.

HilDa

Mittendrin Mittwoch #96

Irene blickte aus verweinten Augen auf und sah Ismael fragend an. Der Junge nickte und hob einen Finger, um ihr zu bedeuten, dass sie still sein solle. Das Klopfen wiederholte sich, hart und metallisch hallte es durchs Haus.

Der dunkle Wächter von Carlos Ruiz Zafón

Simone und ihre beiden Kinder, Irene und Dorian, ziehen nach dem Tod des Vaters, der sie mit hohen Schulden zurückgelassen hat, von Paris nach Baie Bleue in der Normandie. Dort hat Simone eine gute Stelle als Hauswirtschafterin bei dem ehemaligen Spielzeugfabrikanten Lazarus Jann auf dessen Anwesen Cravenmoore gefunden. Zu der gut bezahlten Stelle gehört auch das Haus am Kap, in dem sich die Familie schnell einlebt.
Simone gefällt die Arbeit bei Lazarus, Irene freundet sich mit der lebhaften Hannah an, Lazarus einziger anderen Angestellten, und Dorian ist fasziniert von dem Spielzeugmacher und seinen Kreationen.
Doch es wird immer deutlicher, dass über Lazarus Jann und Cravenmoore ein bedrohlicher Schatten schwebt – wortwörtlich.

Das Buch erschafft während des Lesens zunehmend eine schauerliche Atmosphäre und offenbart nach und nach, was es mit dem mysteriösen Schatten auf sich hat. Gleichzeitig entfaltet sich aber auch eine Romanze zwischen Irene und dem etwa gleichaltrigen Ismael, die die Schaurigkeit der Geschichte immer wieder aufbricht.

Ich befinde mich nun schon im letzten Teil des Buches und werde wohl auf den nächsten Seiten herausfinden, was nun hinter dem geheimnisvollen Schatten steckt.

Hier seht ihr, wo ihr das Buch bei uns in den Bibliotheken finden könnt.

lga

Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.

Gesucht: Geschichten zum Vorlesen

Eine Frage, die immer mal wieder an uns gestellt wird: Gesucht werden Geschichten zum Vorlesen. Das klingt einfacher, als es ist.

Bei jeder Beratung wird erwartet, dass ich mal eben ein paar passende Titel aus dem Ärmel schüttele. Dabei hilft es ja niemandem, wenn ich etwas empfehle, weil es mir gefallen hat. Das kann ich hier im Blog so machen, nicht aber bei einer persönlichen Beratung; da wünscht der Leser natürlich eine Empfehlung, die zu ihm passt und die ihm gefallen wird. Also ist erst einmal ein Gespräch nötig: Was hat der Leser bisher denn gelesen, was hat ihm gefallen? Ein bestimmtes Genre, Lieblingsautoren, Sprachniveau? Mancher bevorzugt bestimmte Motive oder schließt lieber einzelne Themen aus. Es soll witzig sein? Nun, über Humor kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein.

Bunter Lesesessel mit Buch

Lesesessel in der Kinderbibliothek

Wenn jemand etwas zum Vorlesen sucht, kommen noch weitere Faktoren dazu: Zu welchem Anlass soll vorgelesen werden, welche Zuhörer werden erwartet, möchte die Vorleserin etwas mit dem Text bewirken? Und dann muss der Text auch sprachlich der Vorleserin liegen und zum Lautlesen geeignet sein. Kompliziert verschachtelte Sätze machen es für Zuhörer schwer, dem Inhalt zu folgen; schlichte Satzstrukturen lassen aber eine Erzählung schnell eintönig erscheinen. Bei wörtlicher Rede mit mehreren Protagonisten ist es beim Zuhören schwer zu erkennen, wer gerade spricht. Eigennamen, Fremdwörter, Zungenbrecher im Text machen es einer Vorleserin auch nicht gerade leicht, eventuell muss erst nach der richtigen Aussprache recherchiert und gründlich geübt werden. Und dann soll die Geschichte auch noch genau die richtige Länge haben.

Letztlich muss jeder Leser selbst herausfinden, welcher Text ihm liegt; das gilt um so mehr für Vorleser und Vorleserinnen, sie können ihn nur dann überzeugend vermitteln, wenn sie sich auch mit ihm inhaltlich und sprachlich identifizieren können. Das ist tatsächlich sehr persönlich, denn mit einem gewählten und öffentlich vorgetragenen Text sagt man auch etwas über sich selbst aus.

In unserem Bestand findet Ihr für jeden Vorlese-Anlass eine passende Auswahl. Ihr solltet Euch aber für die Suche und die Vorbereitung ausreichend Zeit nehmen. Wir helfen gern.

Hier im Blog wollen wir in Zukunft einige Anregungen und Erfahrungen zum Thema Vorlesen weitergeben. Schließlich lesen wir selbst gerne vor und arbeiten mit vielen ehrenamtlichen und professionellen Vorlesern zusammen.

Wenn Ihr Interesse habt, ehrenamtlich als Lesepate oder Lesepatin in der Stadtbibliothek tätig zu werden, findet Ihr hier einige Informationen und die Kontaktdaten.

HilDa

Mittendrin Mittwoch #95

Eines Tages beschlich die hohen Offiziere der ruhmreichen Nation Pandurien ein Verdacht: daß in den Büchern Ansichten stehen könnten, die dem Prestige des Militärs abträglich sind.
(Ein General in der Bibliothek / von Italo Calvino. Seite 74)

Anlass war eine Benutzerfrage: Jemand suchte kurze Erzählungen zum Vorlesen bei einer öffentlichen Kulturveranstaltung, Zuhörer würden also Erwachsene sein; der Vorleser wollte drei oder vier einzelne Erzählungen für insgesamt 20 Minuten vortragen, möglichst alle von einem Autoren oder zu einem gemeinsamen Thema, gerne mit Humor.

Ich habe bisher kein größeres Werk von Italo Calvino gelesen, erinnere mich aber an seine Märchensammlung. In diesem Band mit Erzählungen fand ich vier Geschichten, die ich selbst zum Vorlesen für geeignet hielt und empfahl sie weiter. Übrigens noch mit einem Alternativvorschlag, ein anderes kleines Buch, das ich vielleicht später mal an dieser Stelle vorstellen werde, denn der Nutzer hat das gewählt (hätte ich an seiner Stelle vielleicht auch). Das gibt mir die Gelegenheit, Calvinos Erzählungen weiterzulesen.

Der Sammelband „Prima che tu dica ‚Pronto’“ ist 1993, acht Jahre nach Calvinos Tod, erschienen, die deutsche Übersetzung von Burkhart Kroeber mit dem Titel „Ein General in seiner Bibliothek und andere Erzählungen“ wurde sogar erst 2004 im Hanser-Verlag veröffentlicht. Italo Calvino ist in Italien Schullektüre, er gilt vielen als der bedeutendste italienische Schriftsteller seiner Generation.

Da ich ja Geschichten zum Vorlesen suchte, hatte ich zunächst die kürzeren Erzählungen laut gelesen. Jetzt lese ich auch die anderen, die ich bisher nur überflogen habe. Dabei halte ich mich allerdings nicht unbedingt an die vorgegebene Reihenfolge.

Buch mit Lesezeichen vor einem vollgestopften Bücherregal

Der General in der Bibliothek und andere Erzählungen / von Italo Calvino. Hanser, 2004

Das Zitat oben ist aus der Erzählung, die für die deutsche Übersetzung der Sammlung titelgebend wurde. Eine märchenhaft-groteske Geschichte über die Wirkung von Buchempfehlungen durch einen alten, pfiffigen Bibliothekar auf einen General und seine Soldaten, die eigentlich in der Bibliothek Zensur üben sollen, statt dessen aber durch die Lektüren zum Denken und Diskutieren angeregt werden. Logisch, dass ich diese Erzählung empfehle!

Calvinos Sprache ist wunderbar klar. Seine Geschichten driften gerne ins Phantastische oder man liest sie als pure Ironie; die Aussage ist meist politisch und gesellschaftskritisch – und wirkt nach wie vor aktuell. Oder wieder. Oder immer. Ach.

Egal, ob Ihr die Erzählungen für Euch lesen wollt oder eventuell Vorlesen möchtet: hier unsere Katalogdaten.

HilDa

Elizzy von read books and fall in love hat sich für alle, die teilnehmen mögen, folgende Blogaktion ausgedacht: der „Mittendrin Mittwoch“. Er besteht aus immer neuen Zeilen aus Büchern, in denen wir aktuell wortwörtlich mittendrin stecken.

Gedanken zu „Leise zieht durch mein Gemüt“

Keine Sorge, ich werde hier keine Interpretation zum Gedicht liefern.
Die ersten Noten mit Text zu „Gruß“ (Heine) von Mendelssohn BartholdyIch erinnere mich an meinen Musikunterricht, denn dort habe ich den Text zum ersten Mal kennengelernt: der wunderschöne Frühlingsgruß in der Vertonung von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der Text  in unserem Musikbuch hatte einen Druckfehler, den wir mit Bleistift korrigieren sollten. Manchmal sind es solche Kleinigkeiten, die hängen bleiben (und ich verhaspele mich heute noch oft an eben dieser Stelle). Unser Lehrer begleitete unseren Klassenchor am Klavier; mir gefiel schon allein das Vorspiel.

Als wir das Stück zum ersten Mal eingeübt hatten, stellte unser Musiklehrer eine ungewöhnliche Frage: Ob wir uns vorstellen könnten, dass man dieses Lied nicht hören und nicht singen durfte zur Zeit seiner Kindheit und auch jetzt nicht kennen dürfte, wenn die damaligen Machthaber in Deutschland noch immer das Sagen hätten?

Ein harmloses Lied über Frühling, Blumen, Rosen, eine so bezaubernde Melodie – verboten?

Sowohl der Dichter Heinrich Heine als auch der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy waren Juden, beide galten auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als deutsche Klassiker, weltberühmt. Aber für die Nationalsozialisten durfte es keine jüdischen Künstler geben. Selbst die Werke längst verstorbener Künstler und Künstlerinnen wurden aus den Bibliotheken und Museen entfernt, aus den Konzertsälen verbannt. Sie sollten vergessen werden.

Roman „Pirasol“ von Susan Kreller vor einem alten Katalogkasten

Pirasol / Roman von Susan Kreller. – Berlin-Verlag, 2017

Vor einem Jahr las ich den Roman „Pirasol“ von der Bielefelder Schriftstellerin Susan Kreller. Eine zentrale Szene im Buch erzählt, wie gefährlich schon allein das Rezitieren eines Heine-Gedichtes zur NS-Zeit sein konnte. Leider hatten – nicht nur im Roman – auch Bibliothekarinnen eine unrühmliche Rolle in diesen kulturvergessenen und menschenverachtenden Zeiten übernommen. Über das sehr empfehlenswerte Buch „Pirasol“ schrieb ich bereits an anderer Stelle.

Die Frage meines Musiklehrers und seine Erzählung sind mir tiefer in Erinnerung geblieben als die späteren Geschichtsstunden zum Thema Nationalsozialismus. Vielleicht weil es eine der ersten Konfrontationen mit der Frage war: „Kannst du dir vorstellen, wenn du damals gelebt hättest?“. Vielleicht gerade weil das Thema verknüpft ist mit so einem schönen, leichten, harmlosen Lied.

HilDa