Anna Katharina Hahn: Aus und davon

LITERATURTAGE BIELEFELD 2020
EINE ART VON WAHRHEIT

„Das Kind drückte sich dicht an die Mutter und bat um eine Geschichte“

Der Pfannekuchen klebt an der Küchendecke. Und dann rennt der viel zu dicke Enkelsohn auch noch weg, bleibt unerreichbar, während sich seine ältere pubertierende Schwester mit ihren Verehrern ungefragt in der Küche einnistet. Da ihre Mutter Hals über Kopf in den USA eine dringend benötigte „Auszeit“ nimmt und in der überseeischen Vergangenheit der Familie nach Erinnerungsresten sucht, übernimmt kurzerhand Oma-Eli die Familienregie, nicht ahnend, was sie, die früher problemlos das Reisebüro Geiger gemanagt hat, sich da eingebrockt hat. Da kommt die Frage auf, was stimmt eigentlich nicht mit der jungen Generation, die ständig digital kommuniziert, aber in der sie tragenden Wohlstandsfamilie nichts preisgibt?

Der Familienroman wird bei Anna Katharina Hahn zur Zeitanalyse. Es geht um Feminismus, Pietismus, Körper, Verantwortung, Annäherung und Abstoßung im Beziehungsnetz, um deutsche Auswanderer in den USA, Mobbing auf dem Schulhof und, erzählerisch ein Meisterstück, um eine über hundert Jahre alte Schmusepuppe namens Linsenmaier.

Anna Katharina Hahn, geboren 1970, stellt alle vier Jahre ihre neuen Romane, die stets zentrale „wunde Punkte“ der Gesellschaft thematisieren, bei unseren Literaturtagen Bielefeld vor, beginnend 2012 mit „Am Schwarzen Berg“. 2016 erschien „Das Kleid meiner Mutter“, die berührende Geschichte einer Studentin vor dem Hintergrund der massiven Wirtschaftskrise in Spanien. Mit „Aus und davon“ ist nun eine

„fabelhafte … Familiengeschichte zwischen Pietismus und Abgrund“

entstanden, lobt Hubert Winkels in der Wochenzeitung DIE ZEIT, leichthändig gelinge Anna Katharina Hahn

„die Balance von Tragik und Humor“.

Der Roman steht sowohl auf der SWR-Liste der qualitativ besten Belletristik-Neuerscheinungen, wie auch auf der SPIEGEL-Bestseller-Liste.


Die Katalogdaten zu den Werken von Anna Katharina Hahn im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: AnnaKatharinaHahn

Der Roman wurde oft im Feuilleton besprochen, einige Rezensionen haben wir verlinkt:

        • Stephan Wackwitz von der TAZ entdeckt in dem Roman das kleinbürgerliche „Stuttgart, wie es wirklich ist“: hier.
        • Patrick Bahners von der FAZ ist angetan von den überzeugenden Bildern, die die Autorin in dem Roman einer schwäbisch-pietistischen Familiengeschichte findet: hier.
        • Paul Jandl (NZZ) empfiehlt den Roman sogar den Leser:innen in 100 Jahren noch, wenn die wissen wollen, wie deutsches Familienleben heute ausgesehen hat – ein Generationenroman, tragikomisch und mit großartiger Detailschärfe erzählt: hier.
        • Die begeisterte Buchkritik von Maike Albath kann man auch im Podcast hören beim Deutschlandfunk Kultur: hier.
        • Für das Goethe-Institut besprach Marit Borcherding den Roman hier.

Beim Deutschlandfunk Kultur kann man auch ein Gespräch mit der Autorin über ihren neuen Roman nachhören: mit Joachim Scholl in der Sendung Lesart hier.
Judith Heitkamp hat Anna Katharina Hahn für den Bayerischer Rundfunk befragt: hier.

Freitag, 30. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Klaus-Georg Loest
Musikalische Begleitung: Thomas Schweitzer, Saxophon
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos

LITERATURTAGE BIELEFELD 2020
EINE ART VON WAHRHEIT

„Was treibt sie an?“ – „Es ist der Reiz des Unvorhersehbaren.“

Annette kämpft eigentlich nicht für ein Land, sondern „für Ideen, Gleichheit und Selbstbestimmung“, für Algerien. Das große Ziel ist die Unabhängigkeit des Landes von Frankreich. Sie schließt sich der Nationalen Befreiungsfront FLN an, wird in der Heimat zu zehn Jahren Haft verurteilt, flieht und wird schließlich Mitglied der ersten unabhängigen Regierung unter Ben Bella. Sie will soziale Gerechtigkeit, träumt vom Glück und fragt sich voller Bitterkeit, ob die Elite von Franzosen durch die Elite von Algeriern ersetzt wird. Die Erkenntnis: Auch beim FLN wird gefoltert. Es wird nicht nur um Unabhängigkeit gekämpft, sondern auch um Macht.

„Ja, es gibt sie“

Die Heldin des Epos von Anne Weber lebt im Süden Frankreichs ist Neurophysiologin und 96 Jahre alt. Schon während des Zweiten Weltkriegs war sie Mitglied der kommunistischen Partei und kämpfte in der Résistance im Untergrund gegen die deutschen Besatzer. So auch die fiktive Annette im Epos. Ist sie Heldin oder Terroristin? Oder beides? Als sie flüchtet, muss sie ihre Familie, ihre drei Kinder zurücklassen. Sie kämpft für den Sozialismus, für ein brüderliches Land. Hatte sie das Recht so zu handeln oder war zumindest die Gerechtigkeit auf ihrer Seite?

NDR Kultur bilanziert in der Rezension des Buches von Anne Weber:

„Annette schöpft ihre Kraft aus ihrer Naivität. Sie glaubt daran, dass ein gutes und gerechtes Zusammenleben möglich ist.“

Und wird zum modernen weiblichen Helden eines ungewöhnlichen Epos.

Am 12. Oktober erhielt Anne Weber für ihr Romanepos den Deutschen Buchpreis 2020.


Die Katalogdaten zu den Büchern von Anne Weber im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: AnneWeber

Hier im Blog hat meine Kollegin das Buch schon Anfang September vorgestellt und empfohlen: hier.
Das Epos wurde oft im Feuilleton besprochen, nur einige Rezensionen haben wir verlinkt:

Dorothea Westphal spricht auf dem Blauen Sofa mit der Buchpreisgewinnerin über ihr Buch: in der ZDF-Mediathek (ca. 14 Min.)

Donnerstag, 29. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Solveig Münstermann
Musikalische Begleitung: Anna Suzuki, Gesang und Flügel
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

In Kooperation mit dem Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek Bielefeld, e.V.

Die Lesung ist bereits ausverkauft. Aber …
Jaaaa, es gibt jetzt doch einen Livestream. Wenn Ihr den buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt

LITERATURTAGE BIELEFELD 2020
EINE ART VON WAHRHEIT

Roman "Die Unschärfe der Welt" von Iris WolffIn diesem Roman verbinden sich die Lebenswege von sieben Personen aus vier Generationen, die sich trotz Schicksalsschlägen und räumlichen Distanzen unaufhörlich aufeinander zu bewegen. So entsteht vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks und der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein Roman über Verlust und Neuanfang, Freundschaft und Liebe und das, was wir bereit sind für das Glück eines anderen aufzugeben. Bindeglied ist Samuel, der Ende der 60er Jahre in einem Banater Dorf in Rumänien aufwächst. Am Anfang macht sich seine hochschwangere Mutter mit einem Schlittenwagen auf den Weg ins nächste Krankenhaus. Am Schluss erlebt seine Tochter in Baden-Württemberg ihre ersten Liebeswirren. Dazwischen liegen Flucht, Rückkehr in die Heimat und erneuter Aufbruch. Jede Perspektive bietet einen neuen Blick auf Samuel.

Kunstvoll und höchst präzise lotet Iris Wolff die Möglichkeiten und Grenzen von Sprache und Erinnerung aus und von jenen Bildern, die sich andere von uns machen.

„Selbst 100 Fernsehsendungen über die Geschichte Siebenbürgens und Europas im 20. und 21. Jahrhundert können nicht das leisten, was die interkulturelle Literatur von Iris Wolff, was ihr dichterischer, spielerischer und bezaubernder Umgang mit Sprache, was ihr genauer, vertrauter, liebender Blick, ihr Sprachrhythmus, ihre so poetische wie präzise Sprache vermögen.“

So Laudator Klaus Hübner vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas der Ludwig-Maximilians-Universität München anlässlich der Verleihung des Marieluise-Fleißer-Preises 2019.

Iris Wolff, geboren in Siebenbürgen, lebt in Freiburg im Breisgau. Sie wurde für ihre Romane bereits mehrfach ausgezeichnet und ist Mitglied im internationalen Exil-PEN. „Die Unschärfe der Welt“ steht auf der Longlist der nominierten Titel zum Deutschen Bücherpreis 2020.

(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)


Die Katalogdaten zu den Werken von Iris Wolff im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: IrisWolff

Der Roman wurde oft im Feuilleton besprochen, einige Rezensionen haben wir verlinkt:

        • Carsten Hueck im Deutschlandfunk Kultur lobt das Buch als einen intimen, tiefernsten und enorm sinnlichen Roman: hier der ganze Beitrag auch zum Hören.
        • Im WDR 2 gibt Denis Scheck den Buchtipp: „ein schmales Buch, aber doch eines mit Kraft“, kann man hier hören.
        • In der Frankfurter Rundschau rezensiert Cornelia Geißler: „anrührend und aufwühlend“, der ganze Text hier.
        • In der FAZ lobt Andreas Platthaus Autorin und Roman: hier.
        • Und in der Süddeutschen Zeitung nennt Meike Feßmann den Roman ein „Zauberkunststück der Imagination“: hier.

Ein Radio-Interview mit der Autorin findet Ihr z. B. bei SWR 2 (ca. 7 Min.)
Die website von Iris Wolff findet Ihr hier.

Dienstag, 27. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Angelika Teller
Musikalische Begleitung: Nils Rabente, Flügel, Elmar Lappe, Schlagzeug, und Kevin Hemkemeier, Bass
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Heinrich Steinfest: Der Chauffeur

LITERATURTAGE BIELEFELD 2020
EINE ART VON WAHRHEIT

Roman "Der Chauffeur" von Heinrich SteinfestIn der Welt des Chauffeurs Paul Klee herrschen Übersicht und Präzision. Aber das Leben hält keine Garantie für unendliche Ordnung bereit. Nach einem Autounfall und einer schweren Fehlentscheidung beschließt er, ein Hotel ganz nach seinen Vorstellungen zu führen. Und das Glück will es, dass er sich in die Maklerin Inoue verliebt. Also planen sie das Haus gemeinsam, von den Zimmern bis zum Frühstück. Aber Klees ideale Welt zerbricht ein zweites Mal.

„Der Chauffeur“ ist Heinrich Steinfests intensivster Roman und die Geschichte eines Mannes, den die Liebe und der Tod einmal zu oft behelligen.

Denis Scheck sagt über ihn:

„Heinrich Steinfest unterhält nicht nur, er öffnet einem buchstäblich die Augen für – ein großes Wort – die Vielfalt der Schöpfung.“

Der Österreicher wurde in Australien geboren, wuchs in Wien auf und lebt heute als freischaffender Künstler in Stuttgart. Das sind die geographischen Lebensstationen des erklärten Nesthockers Heinrich Steinfest. Er ist der Schöpfer des einarmigen Detektivs Cheng und wurde dafür mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet. Zudem war er zweimal für den Deutschen Buchpreis nominiert: 2006 mit „Ein dickes Fell“; 2014 mit „Der Allesforscher“. Über seinen letzten Roman „Die Büglerin“ geriet das Feuilleton ins Schwärmen.

„Ich meine, das Leben ist unglaublich zerbrechlich und das macht mich auch ein bisschen wütend auf das Leben.“ (Heinrich Steinfest)

(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)


Die Katalogdaten zu den Werken von Heinrich Steinfest im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: HeinrichSteinfest

In der 3Sat-Buchzeit wurde der Roman in einem kurzen Film (ca. 3 Min.) vorgestellt.
Christine Westermann schwärmt geradezu in ihrer Kurzrezension bei WDR 5.
Peter Pisa verrät in seiner Rezension im Österreichischen Kurier „nur so am Rande“ fast schon zu viel, darum ein Spoileralarm hierfür.

Mittwoch, 21. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Angelika Teller
Musikalische Begleitung: Henning Rice, Flügel, und Ismail Özgentürk, Saxophon
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Jackie Thomae: Brüder

LITERATURTAGE BIELEFELD 2020
EINE ART VON WAHRHEIT

„Er war allein auf der Welt, aber nicht entwurzelt. Ein nicht unerheblicher Teil seiner Energie floss in die Überzeugung, sein Leben wäre perfekt.“

Jackie Thomaes Roman „Brüder“ handelt von zwei gleichaltrigen Männern, Mick und Gabriel, die denselben Vater haben, aber lange nichts voneinander wissen. Ihre Geschichten, die zwischen 1985 und 2005 spielen, werden in zwei Teilen getrennt erzählt.

Der Vater, aus dem Senegal stammend, hat 1970 in der DDR Medizin studiert und in Berlin und Leipzig jeweils eine Frau mit einem kleinen Jungen hinterlassen. Beide Jungen wachsen in der DDR auf, ihren Vater kennen sie nur von Fotos, beide haben zwar beinahe die gleichen Voraussetzungen – allein erziehende Mutter, dunkle Hautfarbe – und schlagen doch völlig unterschiedliche Lebenswege ein, die sie bis nach London, Paris und Südamerika führen. Beide müssen sich eine gewisse Lässigkeit mit ihrer Herkunft und nicht-weißen Identität erst erarbeiten und sind gezwungen, sich im Laufe der Jahre als Persönlichkeiten zu erfinden.

In ihrem Roman fragt die 1972 in Halle an der Saale geborene Autorin danach, wie wir zu den Menschen werden, die wir sind, und macht auf kluge Weise deutlich, wie schwierig es sein kann, Fremdzuschreibungen zu überwinden und zum Herren über die eigene Biografie zu werden. Mit ihrem Roman „Brüder“ stand Jackie Thomae auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019. Für seine „mit Leichtigkeit“ aufgegriffenen Fragen erhält sie 2020 den Düsseldorfer Literaturpreis.

(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)


Die Katalogdaten zu den Werken von Jackie Thomae im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: JackieThomae

Der Roman wurde oft im Feuilleton besprochen, einige Rezensionen haben wir verlinkt:

René Aguigah interviewte die Autorin auf dem Blauen Sofa der Frankfurter Buchmesse 2019 für den Deutschlandfunk Kultur: Interview (ca. 30 Min.)

Donnerstag, 15. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Dr. Maria Kublitz-Kramer
Musikalische Begleitung: Henning Rice, Flügel und Valentin Katter, Trompete und Gesang
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

In Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft OWL.

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Über Paul Celan, 100. Geburtstag

Literaturtage Bielefeld 2020
Eine Art von Wahrheit

Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unseren Staub.
Niemand.

Paul Celan: Niemandsrose (1. Strophe)

Prof. Dr. Kai Kauffmann (Universität Bielefeld) lädt Prof. Dr. Dieter Burdorf (Universität Leipzig) zum Gespräch.

Drei Bücher über Paul CelanPaul Celan würde am 23. November 100 Jahre alt und vor 50 Jahre wurde seine Leiche in der Seine gefunden.
Zeit zum Erinnern an diesen großen Dichter. Als einziger Sohn deutschsprachiger, jüdischer Eltern im damals rumänischen Czernowitz geboren, die in den 40er Jahren durch das nationalsozialistische Regime ermordet wurden. Er hieß ursprünglich Paul Antschel, später rumänisiert Ancel, woraus das Anagramm Celan entstand, wie Wikipedia weiß. Ab 1948 lebte er in Paris.

Die „Todesfuge“ ist sein bekanntestes Gedicht, entstanden 1944/45, später auf Deutsch in seiner Gedichtsammlung „Der Sand aus den Urnen“ in Wien veröffentlicht und 1952 in Niendorf an der Ostsee der Gruppe 47 vorgetragen, wo der Text laut Heinrich Böll „auf die peinlichste Weise missverstanden“ wurde. Heute wird es in zahlreichen Anthologien und Schulbüchern abgedruckt, auf Gedenkfeiern zitiert und vielfach adaptiert. Hier gilt, wie für weite Bereiche seines Werkes, dass die Publikations- und die Rezeptionsgeschichte komplex ist und die Dechiffrierung keinesfalls auf der Hand liegt.

Genug Anlass für ein öffentliches Gespräch.
Kai Kauffmann, Professor für „Germanistische Literaturwissenschaft“ an der Universität Bielefeld, hat den ausgewiesenen Kenner Prof. Dr. Dieter Burdorf, Universität Leipzig, dazu eingeladen. Burdorf ist Herausgeber des Bandes „Im Geheimnis der Begegnung: Ingeborg Bachmann und Paul Celan“ und Verfasser einer „Einführung in die Gedichtanalyse“, die bereits in der dritten Auflage vorliegt.

Mit Rezitationen von kurzen Auszügen aus Celans Werk.


Eine Literaturliste mit zumeist neuen Büchern über Paul Celan und sein Werk gibt es als PDF: PaulCelan

Donnerstag, 8. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Musikalische Begleitung: Djamilija Keberlinskaja-Wehmeyer (Hochschule für Musik, Detmold) am Flügel mit Textrezitationen
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

In Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft OWL.

Lutz Seiler: Stern 111

Literaturtage Bielefeld 2020
Eine Art von Wahrheit

„Ich bin achtundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen.“ (Rainer Maria Rilke)

Lutz Seiler wurde zunächst als Lyriker bekannt. Seine literarischen Anfänge fallen in die Zeit kurz nach dem Mauerfall. Jene Zeit, in der sein zweiter Roman „Stern 111“ spielt. Dafür erhielt er den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse. Sein Vorgängerroman „Kruso“ aus dem Jahr 2014 wurde mit dem Deutschen Buchpreis prämiert, auf Theaterbühnen gespielt und verfilmt. Die beiden Geschichten weisen Ähnlichkeiten auf und sind eng miteinander verbunden.

Roman "Stern 111" mit Programmheft Literaturtage 2020Stern 111 ist der Name eines im VEB Stern-Radio-Berlin gebauten Kofferradios. Und dieses Medium war für viele Jugendliche ein Tor zur Welt. Man empfing, je nach Wohnort in der DDR, denn nicht überall gab es „Westempfang“, Radio Luxemburg, AFN, Rias.

Carl Bischoff heißt der junge Mann, der am 10. November 1989 ein Telegramm seiner Eltern erhält, er möge dringend nach Hause, nach Thüringen kommen. Sie überraschen ihn mit der Mitteilung, dass sie in den Westen gehen wollen, bevor sich die Grenzen vielleicht wieder schließen. Das Mantra der Eltern: „Ab Gießen getrennt!“ Carl sollte in der elterlichen Wohnung die Stellung halten. Aber nach beklemmenden Wochen dort, flieht er. Er fährt mit dem Shiguli seines Vaters, einem sowjetischen Fiat-Nachbau, nach Berlin, dem Epizentrum der Veränderungen. Dieses Auto entwickelt sich zu einer wichtigen Nebenfigur des Romans.

Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg, Kollwitz-Platz, 1989 –  das sind die Koordinaten. Carl, der jetzt Shigulimann genannt wird, gerät in die Ostberliner Hausbesetzer-Szene und ist Teil der Untergrund-Kneipe „Assel“, fühlt sich als Dichter und trifft seine Jugendliebe Effi wieder. Lutz Seiler entwirft ein schillerndes Panorama dieser ersten anarchischen Zeit nach dem Mauerfall.

Und en passant wird uns die Geschichte seiner Eltern erzählt. Über Notaufnahmelager und Durchgangswohnheime folgen sie einem lang gehegten Traum, von dem auch Carl nichts weiß.

„Der Roman fällt heraus aus allem, was bisher zu lesen war, weil Lutz Seiler nostalgiefrei etwas erzählt, was so bislang weder als Literatur noch als offizielle Geschichtsschreibung, sondern nur als mündliche Erinnerung existiert hat.“ (Christoph Schröder vom Deutschlandradio Kultur über Seilers Roman)

(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)


Die Katalogdaten zu den Werken von Lutz Seiler im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: LutzSeiler

Der Roman wurde oft im Feuilleton besprochen, einige Rezensionen haben wir verlinkt:

Jana Hensel führte für die Reihe „Suhrkamp DISKURS“ ein Gespräch mit Lutz Seiler über seinen Roman: Interview (ca. 25 Min.)

Auf der Internetseite von Lutz Seiler findet Ihr weitere Informationen über Leben und Werk, aktuelle Termine, Texte aus der Werkstatt u.v.m.

Mittwoch, 7. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Angelika Teller
Musikalische Begleitung: Valentin Katter, Gesang und Trompete; Leon Brames, Schlagzeug; Milan Böse, Bass
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,– €

In Kooperation mit dem Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek Bielefeld, e.V.

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Aris Fioretos: Nelly B.s Herz

Literaturtage Bielefeld 2020
Eine Art von Wahrheit

„Bleib auf der Erde, Nelly. Sonst fällst du früher oder später vom Himmel.“

Der Roman "Nelly B.s Herz" mit dem Programmheft der Literaturtage 2020Und das bezieht sich nicht auf die Flugkünste der Protagonistin, sondern auf ihr schwaches Herz. Ihr „graues“ Herz, das nicht mehr genügend Sauerstoff aufnimmt. Eine Katastrophe, denn Nelly (Cornelia) B. –  ist die erste deutsche Frau, die eine Fluglizenz erhalten hat. Nein, dies ist kein technischer Roman und erst recht ist es keine Biographie über Melli Beese, die tatsächlich gelebt hat und Deutschlands erste Pilotin war. Es ist eine literarische Fantasie, die nur sehr lose auf die Realität zurückgreift. Das ist Artis Fioretos wichtig. Die „taz“ nennt den schwedischen Schriftsteller einen klugen, eleganten Romancier (hier), ARD-Literaturexperte Dennis Scheck spricht von Weltliteratur (in der SWR-Literatursendung „lesenswert“: die ganze Sendung vom 13.02.2020, ab 14. Minute mit Aris Fioretos).

„Als ich das erste Mal allein flog, war das Gefühl von Befreiung so stark, dass ich brüllte.“

Der Autor mit griechisch-österreichischen Wurzeln könnte auch Psychologe sein. Sein zentrales Thema ist der Rausch oder wie er es nennt: Sich selbst verlassen zu können, aus sich selber heraus zu fliegen. Es geht um Hingabe und Ekstase in Nellys lesbischer Liebe zu Irma, der jungen Modedesignerin – ihren Ehemann Paul hat sie zuvor verlassen. Sie ist zum ersten Mal in ihrem Leben nahezu verzweifelt verliebt, elektrisiert. Nelly rutscht langsam in eine „hungrige Zärtlichkeit“, dann in Abhängigkeit, fast schon Hörigkeit und endet im Drogenrausch, verlassen von der Geliebten. Nelly schreibt ihrem Exmann, dem sie sich tief in der Seele immer noch verbunden fühlt:

„Deine Cornelia hat kein Kerosin mehr in den Adern. Glaube es oder nicht, ich halte die Form“.

Allerdings nicht mehr lange.

(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)


Die Katalogdaten zu den Werken von Aris Fioretos im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: ArisFioretos

Hier noch Links zu weiteren Besprechungen des Romans oder Gesprächen mit dem Autoren:

Und hier noch der Link zur Internetseite von Aris Fioretos.

Wikipedia bietet einen recht ausführlichen Eintrag über die Flugpionierin Melli Beese.

Montag, 5. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Moderation: Solveig Münstermann, WDR-Journalistin
Musikalische Begleitung: Matthias Klause-Gauster, Flügel
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Livestream 2,- €

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

Denis Scheck: Schecks Kanon

Literaturtage Bielefeld 2020
Eine Art von Wahrheit

„Nur lesend verstehen wir die Welt – und fühlen uns gelegentlich sogar von der Welt verstanden.“

Was sollten wir lesen in unserer begrenzten Lebenszeit?

Sachbuch "Schecks Kanon" mit dem Programmheft der Literaturtage 2020Denis Scheck ist unser Held, der sich traut, dreitausendfünfhundert Jahre Weltliteraturgeschichte auf den Kern von einhundert empfehlenswerten Büchern zusammen zu zurren.

Der prominenteste Literaturkritiker hierzulande präsentiert seine originelle, alle Genre überspringende Auswahl. Und wir können ihn nun fragen, warum der Name Gustav Gans aber nicht Günther Grass bei den „wichtigsten Werken“ auftaucht. Unstrittig hingegen erscheint die Aufnahme von Ovid bis W. G. Sebald, von Gustave Flaubert und Virginia Woolf, an die wir uns gern mit einem genießerischen Lächeln erinnern lassen. Erwarten Sie einen höchst unterhaltsamen Abend mit einem wunderbaren Entertainer der Literatur: Denis Scheck. Danach wissen wir definitiv, was wir an Leseerlebnissen alles versäumt haben.

Feiern wir 25 Jahre Literaturtage Bielefeld, dieses Mal bewusst nicht mit einer einzigen prominenten Autorenpersönlichkeit, sondern mit einem weiten Blick, so Denis Scheck in die  “unermesslich weiten Gefilde der Literatur“.

Denis Scheck las bereits als Schüler im Schwabenland in der großen Pause gern das „Börsenblatt des deutschen Buchhandels“, was seine Klassenkameraden auf die irrige Idee brachte, er hätte irgendwas mit Aktien am Hut. Heute lebt der charmante und humorvolle Moderator von „Druckfrisch“ in Köln. Bereits an der Universität Bern führte er ein Seminar über die Geschichte des literarischen Kanons durch. Seine Auswahl beruht auch auf einer Kolumne in der „Welt“ und Radiosendungen im SWR und WDR.
Er engagiert sich temperamentvoll für die Belange der Literaturübersetzer.

(Text aus dem Programmheft zur Veranstaltungsreihe)


Die Katalogdaten zu Sachbüchern von Denis Scheck im Bestand der Stadtbibliothek findet Ihr hier.
Das Literaturverzeichnis zur Lesung gibt es hier als PDF: DenisScheck

Hier die Links zu den Literatursendungen von und mit Denis Scheck:

Donnerstag, 1. Oktober, 20 Uhr
Stadtbibliothek, Neumarkt 1
Einlass: 19.30 Uhr, Beginn: 20.00 Uhr
Eröffnung mit Dr. Katja Bartlakowski, Direktorin der Stadtbibliothek Bielefeld
und einem Grußwort durch den Förderverein
Moderation: Klaus-Georg Loest
Musikalische Begleitung: Henning Rice, Flügel und Ismail Özgentürk, Saxophon
Eintrittspreis: 10,– €, ermäßigt 6,– €, Streaming 2,– €

In Kooperation mit dem Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek Bielefeld, e.V.

Die Lesung ist bereits ausverkauft.
Wenn Ihr den Livestream buchen wollt: Hier entlang, bitte – LIVESTREAM

 

 

Buchtipp: Stern 111

Nur wenige Tage nach dem Fall der Mauer erhält Carl eine Nachricht seiner Eltern, in der sie um seine Hilfe bitten. Als er bei ihnen in Gera eintrifft eröffnen sie ihm, dass sie in den Westen wollen, Carl hingegen soll die Stellung in der elterlichen Wohnung halten. Während seine Eltern in Notaufnahmelagern und Durchgangswohnheimen landen, dabei aber scheinbar immer einem ganz speziellen Ziel folgen, nimmt Carl bald Reißaus nach Berlin. Dort wohnt er erst auf der Straße und landet danach beim Rudel – einer Gruppe von Frauen und Männern in der Hausbesetzerszene. Ihnen schließt er sich an, arbeitet in der Assel, einem Kellerlokal in einem der besetzen (oder wie es im Buch so schön heißt bewohnten) Häuser, dass er zusammen mit dem Rudel aufbaut. Gleichzeitig will er aber eigentlich Gedichte schreiben und veröffentlichen.

Ich finde Bücher oder auch Dokumentationen über die DDR und den Mauerfall immer ziemlich spannend, da sie von Geschichte handeln, die ich selbst nicht miterlebt habe, die aber dennoch noch so nah ist. Ich wundere mich tatsächlich immer wieder darüber, dass Deutschland noch bis ein paar Jahre vor meiner Geburt getrennt war. Für mich unvorstellbar.

In diesem Roman geht es nun um zwei verschiedene Geschichten, die sich so oder so ähnlich zugetragen haben könnten. Da hätten wir zum einen Carl, der den gesamten Roman eher ziellos durch Berlin irrt. Vom Rudel wird er zwar von der Straße aufgelesen und aufgenommen, eine richtige Zugehörigkeit zu Ihnen entsteht aber nicht. Immer spricht Carl vom Rudel, als wäre es eine Gruppe, zu der er selbst nicht dazu gehört. Carls Umhertreiben spiegelt sich sogar in seiner Wohnung wieder, vor dem Ofen liegt sein Matratzen-Floß, drei aneinander gebundene Matratzen, auf dem er in den Schlaf treibt, wie ansonsten durch sein Leben.

Carl tritt auf als Handwerker, der vom Rudel, wegen seiner Fähigkeiten, hoch geschätzt wird. Viel lieber würde Carl sich aber als Dichter sehen, doch so sehr er es versucht, über 20 gute Gedichte kommt er nicht hinaus. Hier hat er zwar das Ziel vor Augen irgendwann einmal seine Gedichte zu veröffentlichen, doch lässt er viele Gelegenheiten ungenutzt.

Immer wieder erhält Carl Briefe von seiner Mutter, die nicht gerade dazu beitragen, seine Verwirrtheit zu vertreiben. Es fühlt sich für ihn falsch an, diese Rollenverteilung zwischen ihm und seinen Eltern. Es sollten doch die Kinder sein, die von Zuhause fort gehen und nicht die Eltern, die in ein Abenteuer ziehen. Dazu kommt, dass Carls Eltern scheinbar etwas vor ihm verbergen. Ihr Weg durch den Westen führt sie zu verschiedenen Stationen. Erschreckend waren für mich vor allem die Vorurteile, mit denen sie konfrontiert wurden oder wie sie aufgrund dessen, dass sie aus der DDR kommen ausgenutzt wurden.

Bei historischen Geschichten finde ich es immer spannend, wenn man zum Schluss herausfindet, welche Aspekte der Geschichte tatsächlich passiert sind und welche nicht. Seilers Danksagung ließ darauf schließen, dass er Teile seiner eigenen Lebensgeschichte hat einfließen lassen. Daraufhin habe ich zum Beispiel dieses Interview im Tagesspiegel mit Seiler gelesen und war fasziniert, welche Orte es tatsächlich gegeben hat und welche Begebenheiten an die Wahrheit angelehnt sind.

Bei uns findet ihr Seilers Roman, als Buch oder Hörbuch vor Ort sowie als eBook in der Onleihe.

Lutz Seiler ist zudem am 7. Oktober im Rahmen der Literaturtage bei uns zu Gast. Wegen Corona sind alle neun Lesungen der Literaturtage seit einigen Tagen ausgebucht, da wir weit weniger Plätze als üblich zur Verfügung stellen können. Trotzdem kann ich an dieser Stelle für die Lesung mit Lutz Seiler werben. Denn von den Veranstaltungen wird es einen Livestream geben! Wer einen Zugang zum Livestream erwerben möchte, kann dies über unseren Veranstaltungskalender erledigen.

lga