Sachbuch-Tipp: Einspruch!

Nach den Büchern von Pia Lamberty und Katharina Nocun habe ich nun endlich auch Ingrid Brodnigs „Einspruch!“ gelesen. Es gibt mittlerweile eine ergänzte Neuauflage, ich hatte aber noch ein Exemplar der Bestseller-Ausgabe von 2021.

Ingrid Brodnig ist eine österreichische Autorin, die bereits mehrere Bücher und Aufsätze zu den Themen Hass und Hetze im Internet geschrieben hat, sie gibt Workshops und Tipps zum Umgang mit Fake News und Verschwörungsmythen. Ihr Buch „Einspruch!“ überschneidet sich an vielen Punkten mit den beiden Büchern von Lamberty/Nocun und ergänzt sie (oder umgekehrt 🤓).

Das Buch "Einspruch" Verschwörungsmythen und Fake News kontern - in der Familie, im Freundeskreis und online. Strategien und Tipps, damit Fakten wirken" von Ingrid Brodnig, es liegt auf Zeitungsschnippseln

Die Beispiele und Tipps sind sehr anschaulich und nachvollziehbar. Ingrid Brodnig bezieht sich auf wissenschaftliche Studien, zum Teil auch auf persönliche Gespräche mit Kommunikationswissenschaftlern und Soziologen – und nicht zuletzt mit Betroffenen: mit Menschen, die selbst gefangen waren in einem Konstrukt von Verschwörungsmythen, und mit deren Angehörigen. Ausgehend von diesen konkreten Beispielen erklärt die Autorin die Wirkungsweise von Falschmeldungen (egal ob bewusst als Lüge in die Welt gesetzt oder ob weitergegeben, weil sie geglaubt werden) und sie führt mögliche Strategien dagegen auf. Sie sagt in der Einleitung:

Ich gehe auf den kommenden Seiten vor allem einer Frage nach: Was können Sie als Einzelne oder Einzelner tun, wenn Sie sachlich diskutieren möchten – wenn Sie zur Aufklärung bei einzelnen Themen beitragen oder auch Menschen erreichen wollen, die Ihnen wichtig sind?

Es geht ihr in dem Buch um konkrete Empfehlungen und Tipps, die uns helfen, ausufernde Diskussionen wieder auf die sachliche Ebene zu bringen, Mechanismen der Irreführung zu durchschauen und angemessen zu kontern. Oder wie der Klappentext die Ziele kurz zusammenfasst:

„Warnsignale erkennen – Grenzen ziehen – geschickter argumentieren – Fallstricke durchschauen – Denkmuster aufbrechen – effizienter diskutieren“.

Ich finde das Buch klar verständlich und hilfreich. Die Beispiele, die Ingrid Brodnig erzählt, drehen sich um aktuelle Diskussionsthemen, die leicht auch im persönlichen Umfeld eskalieren können: Corona, Rassismus, Chemtrails, Impfung, Antisemitismus, etc. – leider scheinen die Themen austauschbar, aber die Mechanismen ähneln und wiederholen sich. Internet und Social Media dienen als Beschleuniger im Verbreiten von Gerüchten, Falschmeldungen und Verschwörungsmythen. Menschen verfangen sich im Lügengestrüpp und einige verfallen ihm sogar wie in einer Sekte. Und das ist keine Frage des Alters oder der Bildung. Es kann jeden treffen und uns am Arbeitsplatz, beim Einkauf, in der WhatsApp-Gruppe oder bei der Familienfeier mit der plötzlichen Frage konfrontieren: Wie reagiere ich am besten, ohne mich selbst zu verbiegen. Oder ist vielleicht Schweigen besser in der jeweiligen Situation?

Hilfreich ist auch, dass Ingrid Brodnig beide Gruppen zu Wort kommen lässt: ehemalige Verschwörungsgläubige, die erzählen, wie sie auf Diskussionen und Widerlegungen einst reagiert haben, und Menschen, die Falschmeldungen widersprechen möchten, aber nicht recht wissen, wie.

Ich erinnere mich selbst auch an Situationen, die mich schier sprachlos gemacht haben. Manchmal fehlte mir auch einfach die Kraft, mich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Und manchmal war ich den rhetorischen Kniffen und Gedankensprüngen meines Gegenübers einfach nicht gewachsen. Die Fragen, hätte ich es besser machen können, hätte ich den mir lieben Menschen anders erreichen können, habe ich zu früh aufgegeben – diese Fragen quälten mich schon oft. Wer kennt es nicht, dass man in einer unangenehmen Situation widersprechen möchte, doch es fehlen die rechten Worte; aber kaum ist man aus der Situation heraus, weiß man genau, was man hätte sagen können, hat gar eine geistreiche oder originelle Replik parat – nur eben zu spät. Die Geschichte meines Lebens, nun ja.

Auch Ingrid Brodnig macht mich jetzt nicht mal eben auf ca. 150 Seiten zum überzeugenden, schlagfertigen Diskutanten. Das verspricht sie in ihrem Buch auch gar nicht. Aber sie ermutigt zum Nicht-Aufgeben und zum beharrlichen Kontakthalten auch über Differenzen hinweg, um Menschen, die irgendwie abgedriftet sind, wenigstens eine Tür offen zu halten. Sie verhehlt aber auch das mögliche Scheitern nicht, vor allem, wenn persönliche Gefühle und Verletzungen einfließen.

Auch wenn „Einspruch!“ im Vergleich zu meinen vorherigen Lektüren nichts grundsätzlich Neues brachte, hat es mich doch anders angesprochen und zum Nachdenken gebracht.

HilDa

Sachbuch-Tipp: Amerikas Gotteskrieger

Auf dieses Sachbuch war ich sehr gespannt. Ich dachte, mehr über den christlichen Fundamentalismus in den USA zu erfahren, denn ich hatte schon mehrfach gehört, dass Anhänger der evangelikalen Kirchen Einfluss auf den Schulunterricht nehmen wollen, aber auch auf Bibliotheksbestände (siehe zum Beispiel: „Zensur in den USA: Diese Literatur ist unerwünscht“ / von Rieke Havertz bei zeitonline) und nicht zuletzt auf die Politik, vor allem in der Republikanischen Partei. Aber insgesamt, so dachte ich, ist das ja eher eine Randgruppe; in einem so fortschrittlichen, demokratischen Land glauben doch nur einige wenige Menschen, dass die Bibel wörtlich zu nehmen ist und alle politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen danach ausgerichtet werden müssen. Ja, dachte ich. Naiv wie ich bin.

Taschenbuch "Amerikas Gotteskrieger: Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet" von Annika Brockschmidt, Rowohlt-Verlag.
Das Buch wird von einer Hand in die Kamera gehalten. Im Hintergrund sieht man eine weiße Zimmerwand u.a. mit einem Heiligenbild links (die Heilige Familie mit Maria, dem Jesuskind und Joseph) und ein Holzkreuz rechts

Annika Brockschmidt fasst in ihrem Buch „Amerikas Gotteskrieger“ viele Forschungsergebnisse und Untersuchungen zusammen, ihr Quellenverzeichnis ist beeindruckend. Sie führt auch viele direkte Zitate an: von christlich-rechten Politikern, erzkonservativen Geistlichen, libertären Wirtschaftsmagnaten, von propagandistischen Medienvertretern und rechtsradikalen, rassistischen Organisationen – und es ist erschreckend. Nein, es sind eben nicht nur die paar Evangelikale, die die Bibel wörtlich nehmen und entsprechend leben wollen. Die Netzwerke der Religiösen Rechten sind viel komplexer und einflussreicher, als ich je befürchtet hatte.

Ziel ist die Auflösung der verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Kirche, ein Kulturkampf gegen die säkulare Moderne – das Untergraben der demokratischen Grundordnung inklusive. Und die Religiöse Rechte ist längst im Zentrum der Macht angekommen.

Wie konnte ein Mann wie Trump zum Präsidenten gewählt werden? Wie konnte die krude Behauptung von der „gestohlenen Wahl“ ein Land wie die USA spalten? Wie konnte es zur gewalttätigen Stürmung des Capitols am 6.1.2021 kommen? Und welchen unsäglichen Einfluss haben da so Verschwörungsmythen wie die der obskuren QAnon-Bewegung?

Zu Verschwörungsmythen hatte ich in letzter Zeit schon einiges gelesen und auch hier im Blog Empfehlungen gegeben. Annika Brockschmidts Buch passt in diesen Themenkomplex, sie schreibt aber nicht über den Einfluss von manipulativen Falschmeldungen und Verschwörungsmythen auf uns im privaten Umfeld, sondern über die ganz großen gesellschaftlichen Umbrüche. Es geht um den Griff zur Macht – und zwar um jeden Preis. Weil sich da einige christliche Nationalisten für „Berufene“ halten und sich einen göttlichen Auftrag zuschreiben. Sie sehen Amerika als „gods own country“ und sich selbst als „Gotteskrieger“. Sie wollen eine neue Zeit erstehen lassen, in der (wieder) White Supremacy gilt, also Rassismus mit weißer Vorherrschaft. Sie wollen zurück zu einer alten Geschlechterordnung, sie kämpfen gegen Abtreibung, LGPTQ*-Rechte und – gerade wieder ganz aktuell – sie hetzen gegen trans Menschen. Aber auch Themen wie Wissenschaftsfeindlichkeit (z. B. die Leugnung der Klimakrise oder auch die Leugnung der Evolution) werden für Propaganda und zur Rekrutierung von Anhängern genutzt. Sie kämpfen mit der Bibel in der einen und der Waffe in der anderen Hand – so ihr eigenes Selbstbild. Ihre Einflussnahme geht durch alle Schichten und Parteien. Aber unüberhörbar sind sie in der Republikanischen Partei – nicht nur bei den Trump-Anhängern. Wohin die zunehmende Radikalisierung der Anhängerschaft führen kann, bewies der  sogenannte Sturm auf das Capitol.

Das Erschreckende ist nicht, dass da eine im Grunde eher kleine, radikal-gläubige Gruppe in einem demokratischen Land überproportional großen Einfluss gewinnen kann. Es sind Netzwerke entstanden, die weit über diesen Kreis hinausgehen. Dazu kommt eine parallele Infrastruktur: eigene Schulen und Hochschulen, eigene Fernsehsender, politisch einflussreiche Think Tanks und vieles mehr. Noch beängstigender finde ich die Bereitschaft, auch unheilige Allianzen einzugehen ganz nach dem Motto: „Der Zweck heiligt alle Mittel“. Die Verbindungen reichen weit ins Rechtsradikale Milieu (um nur zwei auch hierzulande bekannte Stichwort zu nennen: „KuKluxKlan“, „Proud Boys“), als sogenannte „Wolfskönige“ werden auch Männer akzeptiert, die nun wirklich nicht nach christlichen Werten leben, Hauptsache sie sind wirkmächtig (siehe Trump).
Übrigens beschränken sich diese Netzwerke nicht nur auf die USA. Ach.

Klingt das nicht selbst schon wieder nach einer großen Verschwörungstheorie?
Ich habe ein wenig recherchiert und nach Kritiken an Annika Brockschmidts Buch gesucht. Sie selbst wird, vor allem in den Sozialen Medien, sehr persönlich und scheinbar auch heftig aus der rechten Ecke angegangen. Ich suchte aber inhaltliche Kritik und Widerlegungen mit Fakten und Quellen und habe da kaum etwas gefunden. In der Rezension von Benjamin Dahlke in der FAZ („Einblick in eine fremde Welt“ ) wurde der Stil des Buches kritisiert: so viele Namen und Organisationen, man verliere schnell den Überblick. Das ging mir tatsächlich auch so. Vielleicht hätten ergänzende Grafiken oder tabellarische Darstellungen mehr Übersicht gebracht. Der Rezensent vermisste auch, dass „zwar viel dargestellt, aber nur wenig tiefenscharf analysiert wird“.

Ich habe das Buch mehrfach ruhen lassen müssen, denn gerade als Abendlektüre taugte es für mich nicht: Es löste zu viel Grübelei aus, die mich um den Schlaf brachte. Aber Annika Brockschmidt gibt Antworten auf die obigen Fragen. Und mehr. Das Buch hilft, das Amerika nach dem 2. Weltkrieg besser zu verstehen, vor allem natürlich die letzten 2 Jahrzehnte.

Ein beunruhigendes Buch. Ein wichtiges Sachbuch. Leider.
Ich empfehle es mit Nachdruck.

HilDa

Sachbilderbuch „Ich und die Welt“

Ich mag es, wenn Dinge mit aussagekräftigen und schönen Grafiken erklärt werden. Aber ein ganzes Sachbilderbuch für Kinder, in dem Wissen über die Welt allein mit Grafiken vermittelt wird – kann das gut gehen? Ja, das geht sogar überraschend gut.

Bilderbuch "Ich und die Welt" von Mireia Trius und Joana Casals.

In „Ich und die Welt“ erzählt Mia in kurzen Textbeiträgen von ihrem Leben in Berlin, immer passend zum Thema der jeweiligen Doppelseite, wo dann in bunten Grafiken aufgezeigt wird, wie Familien in anderen Ländern durchschnittlich zusammengesetzt sind, welche Vornamen die beliebtesten sind, wo welche Schuluniformen getragen werden, was in den verschiedenen Kulturen gerne auf den Frühstückstisch kommt, was „Frohe Weihnachten“ in den häufigsten Sprachen heißt und vieles vieles mehr. Erst dachte ich, so eine bildliche Aufzählung von Allgemeinwissen, Zahlen und Statistiken ist langweilig. Aber das Buch lädt zum Stöbern ein und dann kann man viel entdecken und so einige Überraschungen erleben, auch als Erwachsener: 23 Arten „Hallo“ und „Danke“ zu sagen, die Bedeutung einzelner Gesten in den verschiedenen Kulturen, in welchem Land müssen die Schüler die meisten Hausaufgaben machen (Spoiler: Deutschland ist es nicht), in welchem die wenigsten (auch nicht Deutschland 😐) …

Die Grafiken sind anschaulich und erklären ohne viele Worte und Anmerkungen; oft sind Menschen, Tiere und Gesichter eingebaut, die den Betrachter direkt anblicken, das wirkt freundlich und macht neugierig.

Ein ungewöhnliches Sachbuch für Kinder, wunderbar zum Stöbern und zum Nebenbei-Lernen von allerlei Dingen aus aller Welt, nach denen man gar nicht gefragt hätte. 🤓

HilDa

Buchtipp: Alte Frauen in schlechten Filmen

Bei einem Buch mit so einem Titel erwartet man Sarkasmus und Respektlosigkeiten. Aber der Autor Christoph Dompke geht zumindest mit den in Würde gealterten Diven meist respektvoll um. Sie hatten ja oft gar keine Wahl und mussten fragwürdige Filmangebote annehmen: B-Filme, obskure Horrorstreifen, undankbare Nebenrollen.

Tablet mit dem Titelblatt des eBooks "Alte Frauen in schlechten Filmen: vom Ende großer Filmkarrieren" von Christoph Dompke. Daneben steht eine staubige Oscar-Figur

Schonungslos ist die Kritik an den Regisseuren und Produzenten dieser schlechten Filme sowie an der Filmindustrie insgesamt, die für die ehemaligen weiblichen Stars meist schon in den mittleren Jahren keine angemessenen Rollen mehr bieten will. Bei allem Respekt verschweigt Christoph Dompke aber auch nicht, wenn die alten Schauspielerinnen schlicht eine Fehlbesetzung waren oder eine einfach schlechte/völlig übertriebene/unironisch selbstverliebte Performance abgeliefert haben. Dompke formuliert scharf, sarkastisch und witzig.

Einige der angesprochenen Filme kenne ich sogar und werde sie jetzt mit anderen Augen sehen. 🙃 Aber ich habe nicht das Bedürfnis, einen der Trash-Filme zu sehen und meine Zeit zu verschwenden. Die Inhaltsangaben und Szenenbeschreibungen reichen, die sind so süffisant und bissig, die Filme selbst könnten mich da ja wohl nur enttäuschen. Das Buch hat mich jedenfalls bestens amüsiert – vielleicht sogar mehr, als so böse Kommentare das sollten, hehe. 🤔

Aber das Buch zeigt auch, dass selbst im größten Trash manchmal noch einzelne Perlen zu finden sind. Der Autor spricht von Camp oder campen Momenten. Den Begriff kannte ich bisher nicht und offen gesagt ist mir die Grenze zwischen Trash und Camp noch immer nicht ganz klar. Und schon führt mich ein Werk, dass sich filmischer Geschmacklosigkeiten widmet, zu einem Essay der großen Intellektuellen Susan Sontag (Notes on „Camp“). 🤓☺️

Und zu dem Film „Sunset Boulevard“ mit Gloria Swanson: Denn das ist ein guter Film mit einem damals (1950) bereits vergessenen Stummfilmstar in der Hauptrolle und „nicht wenige Zitate daraus sind in den Camp-Kanon eingegangen“ – sagt der Christoph Dompke. Ich will es ihm gerne glauben, denn ich bin ein Fan des Regisseurs Billy Wilder. Und jetzt auch von der alten Schauspielerin Gloria Swanson, die für ihre Darbietung einer alten Schauspielerin den Oscar verdient hätte.

HilDa

Buchtipp: Die Amazonen

Seit der Schulzeit interessiere ich mich für Mythologie; meine Geschichtslehrerin in der 5. und 6. Klasse konnte wunderbar die antiken Sagen nacherzählen – der spannendste Geschichtsunterricht ever. Daher dachte ich bisher, ich würde die meisten Geschichten aus der griechischen Sagenwelt zumindest grob kennen. Aber über die Amazonen wusste ich bisher erstaunlich wenig. Ein Volk von Kriegerinnen in einer Männerwelt. Den Namen der Königin Penthesilea hatte ich schon mal gehört: Sie war im Trojanischen Krieg gefallen, und dann gibt es da noch ein gleichnamiges Drama von Heinrich von Kleist.

Aber was ist der Ursprung dieses Kriegerinnenvolks? Gab es für die alten Griechen ein reales Vorbild für den Mythos, vielleicht ein Reitervolk aus den asiatischen Steppen, in dem tatsächlich Kriegerinnen zu Pferde kämpften? Und warum wurde ausgerechnet der südamerikanische Strom Amazonas nach den kriegerischen Frauen benannt?

Tablet mit dem Titelbild des Sachbuchs "Die Amazonen: Töchter von Liebe und Krieg" von Hedwig Appelt, Theiss-Verlag

Hedwig Appelt gelingt mit ihrem Buch „Die Amazonen“ etwas für mich ganz Unerwartetes: ein ausgesprochen unterhaltsames Sachbuch. Sie erzählt – eben so wie meine alte Geschichtslehrerin, die mich einst für die Sagenwelt begeisterte. Sie erzählt die alten Sagen lebendig und spannend mit ihren Worten nach. Dabei verwirrt sie uns nicht mit den verschiedenen Variationen und Auslegungen, die die Sagenstoffe im Laufe der Jahrhunderte durch die mündliche Überlieferung und durch Dichter wie Homer, Hesiod und all die anderen erhalten haben. Die Autorin erzählt von den Königinnen Hippolyte, Penthesilea und Thalestris, aber auch von ihren männlichen Gegnern Herakles, Theseus, Achill und Alexander dem Großen, von den olympischen Göttern, ihren Machtkämpfen und Intrigen, von den Liebesgeschichten, den Kriegen und Schlachten. Hedwig Appelt spannt den Bogen von der Sagen- und Mythenwelt zu den historischen Quellen und zur Archäologie bis hin zur Popkultur heute, wo die Amazonen vor allem in Fantasy, Science Fiction und Comic lebendiger sind denn je. Und ausgerechnet im Namen eines Internet-Konzerns nun die Welt erobern.

Das Buch vertraut ganz auf das Erzählen, auf die Geschichten, auf das Wort. Es kommt erstaunlicherweise ohne Illustrationen aus, obwohl das Amazonen-Motiv doch über all die Jahrtausende beliebt in der Kunst war und ist: auf griechischen Keramiken, in den Gemälden berühmter Künstler, bei modernen Comiczeichnern oder im Film und Fernsehen. Die Kulturgeschichte der Amazonen in der Bildenden Kunst ist jedoch nicht Thema dieses Buches. Ich habe auch keine Bilder oder Fotos vermisst. Eigentlich ist mir das erst aufgefallen, als ich in unserer Bibliothek noch ein anderes Buch über die Amazonen gesehen habe. Ich denke, auf das Thema komme ich noch mal zurück.🤔

Aber erst einmal zu diesem Sachbuch, das so gut geschrieben ist, dass ich es tatsächlich nicht wieder weglegen konnte (so hatte es der Klappentext auch versprochen, aber wer glaubt schon Werbesprüchen). Ich empfehle es gerne weiter.

Das Buch ist bereits im Jahr 2009 erschienen. Wir haben es als eBook in der OnleiheOWL.

HilDa

Buchtipp: Sheroes von Jagoda Marinić

Jagoda Marinić ist mir vor allem als Kolumnistin bekannt, sie führt einen erfolgreichen Podcast-Kanal (FREIHEIT DELUXE bei hr2-kultur) mit immer wieder interessanten Gästen und Gesprächen, sie ist Schriftstellerin und Kulturmanagerin in Heidelberg. Ich schätze ihre Äußerungen und Kommentare auf Twitter, wo sie sich sachkundig und pointiert mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt.
Eines ihrer Themen ist die Gleichberechtigung der Geschlechter. Und mit „Sheroes: neue Held*innen braucht das Land“ hat sie in einem ausführlichen Essay ihre Gedanken formuliert zum Feminismus, zur #MeToo-Bewegung und zu den Anforderungen an die neuen „Heroes/Sheroes“, die unsere Vorbilder sein könnten, um unsere Gesellschaft zu einem besseren Miteinander zu führen.

Tablet, auf dessen Bildschirm die Daten zum Buch "Sheroes" von Jagoda Marinic stehen: "MeToo war ein öffentliches Gesprächsangebot - nehmen wir es wahr! Jetzt haben wir endlich die Chance ...
Im Bestand seit: 30.03.2020
Verfügbar", sowie ein Download-Button "Jetzt ausleihbar"

Die bisher üblichen Klischees von Männlichkeit und Frausein verändern sich und damit auch die Machtstrukturen. Aber sind diese Veränderungen nur marginal, betreffen sie – vor allem weltweit betrachtet – vorwiegend eine kleine, im Vergleich zur Mehrheit ohnehin privilegierte Gesellschaftsschicht? Ist der Fortschritt insgesamt schlicht zu langsam? Gibt es selbst in den Industrieländern gerade einen Backlash, d. h. Rückschritte in veraltete Geschlechterzuteilungen? Oder könnte ein neuer, globaler Feminismus getragen von Frauen und Männern der Weg zu einem besseren und gerechteren Zusammenleben aller sein?

Das kurze Buch hat mir viele Denkanstöße gegeben.

Die Katalogdaten zu allen Büchern von Jagoda Marinić in der Stadtbibliothek hier.

HilDa

Das Weltall, unendliche Weiten – und ein Lesetipp

Als Jugendliche wollte ich Astronomin werden – zumindest war das einer meiner vielen Berufswünsche. Ich wollte Kometen entdecken, Schwarze Löcher erforschen, astronomische Phänomene erklären. Doch dann habe ich die Relativitätstheorie nur so halb verstanden. Oder eigentlich gar nicht. 🙄 Und die Quantenphysik … , also nun ja, das ist doch wie mit Schrödingers Katze: Mal habe ich verstanden, dass sie da und gleichzeitig nicht da ist, und mal verstehe ich es eben nicht. 😬

Bleibe ich halt lieber Laie und reise nur ab und zu mit Star Trek und Co. durchs All. Und mit Carl Sagan, Harald Lesch, Neil deGrasse Tyson und all den anderen Astrophysiker*innen, die in Fernsehdokumentationen das Unerklärliche erklären können.

Als Lektüre empfehle ich nach wie vor „Die Milchstraße“, ein Heft aus der Reihe Geo Kompakt mit vielen, gut erklärenden Aufsätzen; es gibt auch eine schöne DVD „Rätsel der Galaxis“ dazu. (Hatte ich schon mal im Blogbeitrag „Imaginäre Linien“ erwähnt, hier, Empfehlung gilt immer noch.)
Und die kleine, aber feine Einführung von Neil deGrasse Tyson „Das Universum für Eilige“.

Und dann ist da jetzt diese Neuerscheinung: „Das Weltall oder Das Geheimnis, wie aus nichts etwas wurde“ von Ian Paul Schutten, illustriert von Floor Rieder, übersetzt aus dem Niederländischen von Verena Kiefer.

Sachbuch "Das Weltall oder Das Geheimnis, wie aus nichts etwas wurde" von Ian Pauk Schutten und Floor Rieder, Gerstenberg-Verlag.
Das Cover zeigt eine Grafik mit einem wilden Durcheinander von astronomischen Instrumenten, Flugobjekten und Himmelskörpern, ausschließlich in den 3 Farben Blau (Hintergrund und Konturen), Weiß und Bronze

Ich gebe zu, ich hatte etwas anderes erwartet, als ich das Buch aufgrund einer sehr guten Rezension für mich gekauft hatte. Für ein Jugendsachbuch hat es ungewöhnlich viel Text und keine Fotos; als Illustrationen sind da viele witzige Cartoons, die weniger erklären, sondern das wissenschaftliche Thema des Buches satirisch auflockern. Der Ton des Textes passt dazu: flapsig, augenzwinkernd, die jugendlichen Leser*innen direkt ansprechend. Aber dieser Ton ändert nichts daran, dass da hochkomplexe Wissenschaft vermittelt wird: anschaulich, verständlich und spannend.

„Aber keine Angst – dein Kopf wird von all dem neuen Wissen nicht explodieren. Wir haben es im Vorhinein getestet und bislang ist noch kein Gehirn geplatzt!“

(aus dem Vorwort, Seite 14)

Wenn man sich für Sternkunde und Astrophysik interessiert, aber wie ich wenig Ahnung von so etwas wie Relativitätstheorie und Quantenphysik hat, findet Ihr hier eine gut erklärende Einführung: das Weltall, das Nichts und der ganze Rest. 😊

Für Kinder ab 13 Jahre empfohlen, aber auch für Erwachsene gleichermaßen informativ und unterhaltsam zu lesen. Ich habe es wirklich mit Gewinn studiert und – ganz wie im Vorwort insbesondere den Erwachsenen empfohlen – einige Passagen eben zweimal gelesen. 😉

„Manche dieser Informationen haben es ganz schön in sich. (…) Dir wird es nicht schwerfallen, das ist mir schon klar! Aber viele Kinder lesen solche Bücher gemeinsam mit ihren Eltern. Die verstehen solche Sachen vielleicht weniger fix als du.“

(aus dem Vorwort S. 15)

Sogar meinem alten Vater habe ich einige Seiten vorgelesen, er hat sich früher ja ein wenig für Sternkunde interessiert. Auch wenn er jetzt nicht mehr viel versteht, hat er doch gerne zugehört; und er hat mit mir über die witzigen Beispiele und Gedankenexperimente sowie den kalauernden Text gelacht. Er blätterte auch alleine noch eine ganze Weile aufmerksam in dem Band, und wie ich erst später festgestellt habe, hat er seinen Namen in das eingedruckte „Dieses Buch gehört …“ geschrieben. Tja, jetzt kann ich das nun offiziell in den Familienbesitz inventarisierte Buch leider nicht mehr wie geplant der Kinderbibliothek schenken. 🤭 Aber die haben es mittlerweile sowieso schon.

Das schön gemachte Buch ist in der Kategorie Sachbuch nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis.

In ähnlicher Machart gibt es noch weitere Sachbücher: „Evolution oder Das Rätsel von allem, was lebt“ und „Der Mensch oder Das Wunder unseres Körpers und seiner Billionen Bewohner“.

HilDa

Titanic

110 Jahre ist das jetzt her, wir kennen alle die Geschichte.

Jungfernfahrt. Technisch vollkommen und unsinkbar.
Dekadente Champagnerseeligkeit in der Luxusklasse.
Und dann mit Volldampf gegen den Eisberg.

Die Schiffskatastrophe der Titanic am 14. April 1912 steht auch als Sinnbild für den Untergang der alten Klassengesellschaft und ist ein Menetekel für die folgenden menschgemachten globalen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Aber gelernt haben wir daraus ja wohl nix.

3 Kindersachbücher: "Die Geschichte der Titanic", Illustrationen von Steve Noon; "Titanic: Die berühmteste Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt", Gerstenberg-Verlag; "Titanic: Entdeckung auf dem Meeresgrund", Maja Nielsen erzählt.

Na ja, auch bei der x-ten Wiederholung weinen wir noch um das unglückliche, aber fiktive Film-Liebespaar (Titanic, 1997, Regie James Cameron; Katalogdaten zu DVD, Blu-ray und Sachbuch über den Film hier). Wir erschauern ganz wohlig, wenn wir die Bilder vom rostenden Wrack in der Tiefsee sehen oder aufwändig geborgene Gegenstände in Ausstellungen und bei Versteigerungen gezeigt und gehandelt werden. Aber die wahren Opfer sind nur eine Zahl. Die wenigen Namen, die genannt werden, sind die der Multimillionäre, Prominenten oder Offiziere an Bord. Über den Prunk und Luxus der 1. Klasse sowie die Kunst- und Wertgegenstände, die unrettbar versunken sind, werden die namenlosen Opfer aus der 3. Klasse vergessen. Bis auf Leonardo DiCaprio natürlich.😉
Ach.

Filmbuch zu "Titanic" von James Cameron
Filmbuch zu „Titanic“ von James Cameron

Kein anderes Schiffsunglück ist so bekannt, wie dieses; auch nach einem Jahrhundert gehört es zum kollektiven Gedächtnis der Welt. Allein das Wort Titanic reicht aus. Und wenn jemand von „Unsinkbarkeit“ spricht, versteht jeder die sarkastische Anspielung.

Roman "Choral am Ende der Reise" von Erik Fosnes Hansen und Sachbuch "Titanic: das Schiff, der Untergang, die Legenden" von Linda Maria Koldau

Auch das 21. Jahrhundert ist reich an durch Menschen verursachte Katastrophen – und mindestens ebenso reich an arroganter Hybris und borniertem Narzissmus; die Technikgläubigkeit ist sogar noch größer als vor 100 Jahren; auch Klassenunterschiede sind nach wie vor bestimmend für Lebensläufe; und noch immer wird menschenverachtend auf „die Anderen“ herabgeblickt, wie auch immer man das Andere definiert. Klassismus, Ableismus, Rassismus, Chauvinismus, … – es gibt einfach zu viele dieser toxischen -ismen.😑

Und da ist auch dieses trügerische Gefühl der Unsinkbarkeit. Alles soll im Prinzip so bleiben, wie es ist, nur vorwärts soll es gehen – als gäbe es nur diese eine Richtung. Als wäre uns das Erreichte sicher und jetzt kann es nur noch besser werden. Gerne besser für alle, mehr für alle, wenn’s denn reicht, aber Hauptsache besser und mehr für mich, denn ich bin ja für mich der Maßstab aller Dinge. Wer vermag schon über seinen Tellerrand hinaus zu blicken. Oder will es wirklich. Narzissmus, Neoliberalismus, Fanatismus – okay, ich hör ja schon auf.

Doch dann kommt da so ein blöder Eisberg daher und verändert einfach alles. „Plötzlich“ gibt es eben doch noch eine ganz andere Richtung, nämlich das kalte Wasser, die Tiefe, der Untergang.

Hybris.
Doch wir haben eben nicht alles unter Kontrolle.

Das Meer und die Tiefe waren natürlich schon immer da, vor Eisbergen wurde gewarnt, Unsinkbarkeit gibt es nicht, Rettungsboote bieten nicht genug Platz für alle und selbst die Überlebenden verlieren und können kaum das Trauma bewältigen.

Trotzdem vergessen wir schnell. Kassandrarufe sind halt lästig. Ach, es wird schon alles gut gehen, wir wollen uns die Stimmung nicht verderben lassen. Freiheit, Eigenverantwortung – wir wollen Polonaise, Schampus!
Volldampf voraus!
Und hey, so viel frisches Eis für unseren Drink, haha!

HilDa

Buch "Mythos Titanic" und 3 DVDs gleichen Titels
Bildband "Die Geburt einer Legende: Entstehung und Bau der Titanic" von Michael McCaughan und Buch "Das Titanic-Bordbuch: eine Handreichung für Passagiere"

Hier noch ein paar Literaturtipps:

  • Ein sehr schön und anschaulich illustriertes Sachbilderbuch ist „Die Geschichte der Titanic“ . Die detailreichen Panoramazeichnungen von Steve Noon und der Text von Eric Kentley zeigen und erklären alle Decks und ihre Besonderheiten, die Technik an Bord, den Ablauf der Schiffskatastrophe und seine Auswirkungen – für Kinder gedacht, aber da können auch Erwachsene noch interessantes entdecken.
  • Auch die Kindersachbücher der bewährten Reihe „Sehen Staunen Wissen“ aus dem Gerstenberg-Verlag legen viel Wert auf detailreiche Illustrationen, und auch die Texte und Beschreibungen von Simon Adams zu „Titanic : die berühmteste Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt“ bieten viele interessante Details zur Ausstattung des Luxusliners und zum folgenreichen Unglück.
  • Maja Nielsen erzählt in „Titanic : Entdeckung auf dem Meeresgrund“ sehr anschaulich über die Jungfernfahrt, den Untergang und ebenso ausführlich über die abenteuerliche Suche nach dem Wrack.
  • Im Roman des Norwegers Erik Fosnes Hansen „Der Choral am Ende der Reise“ geht es um sieben Musiker an Bord der Titanic, ein internationaler Bestseller in den frühen 1990ern, also noch vor dem Film von James Cameron.
  • Linda Maria Koldau rekonstruiert in ihrem Sachbuch „Titanic : das Schiff, der Untergang, die Legenden“ nicht nur die Schiffskatastrophe und den Forschungsstand zu den Ursachen, sondern auch die kulturgeschichtliche Bedeutung und die ganze Mythenbildung.
  • Die National-Geographic-Dokumentation von 2012 in 3 DVDs zeichnet das Unglück nach und sucht nicht zuletzt anhand der Bilder vom Wrack in der Tiefsee nach der Ursache dieser Katastrophe. Dazu passt der kleine Bildband: „Mythos Titanic“ .
  • Der Bildband „Die Geburt einer Legende : Entstehung und Bau der Titanic“ von Michael McCaughan ist schon etwas älter. Hier geht es weniger um das katastrophale Ende des Luxusschiffes, sondern seinen Bau, seine Technik und seine Ausstattung; mit vielen schwarz-weiß Fotos und Zeichnungen.
  • Das Titanic-Bordbuch: eine Handreichung für Passagiere“ ist hübsch gemacht, eine ausführliche Anleitung, als wenn wir uns als Passagiere auf die Jungfernfahrt vorbereiten wollten, ebenfalls mit vielen Fotos und Grafiken. Logischerweise spielt hierin der Untergang gar keine Rolle.
  • Und dann ist da noch das Filmbuch zu James Camerons Blockbuster-Film „Titanic“ mit vielen Fotos von den Dreharbeiten, mit Interviews und einem Überblick zu den Kostümen, Nachbauten und Kulissen, zu den Special Effects und den Anstrengungen für alle Beteiligten: „James Camerons Titanic“ .
  • Wer aber mehr über die echten Passagiere und vor allem vom Schicksal der überlebenden Frauen und Kinder an Bord wissen möchte, der kann viele einzelne Schicksale in „Titanic: Frauen und Kinder zuerst“ von Judith B. Geller nachlesen.

(Auswahl: HilDa)

Sachbuch "Titanic: Frauen und Kinder zuerst" von Judith B. Geller

Buchtipp: „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“

Chimamanda Ngozi Adichie ist eine der bekanntesten Autorinnen der zeitgeschichtlichen Weltliteratur, vor allem durch ihren internationalen Bestsellerroman „Americanah“ von 2013 (deutsch 2014). Sie gilt als eine der wichtigsten afrikanischen Stimmen.
Dieser kleine autobiographische Band (Originaltitel „Notes on grief“, übersetzt von Anette Grube) ist sicher ihr persönlichstes Buch. Es handelt von Trauer, speziell ihren eigenen Gefühlen nach dem Tod ihres geliebten Vaters, ein sehr emotionaler Essay über unbändigen Schmerz, liebende Erinnerung und Familienanekdoten. Viele Facetten der Trauer.

Buch "Trauer ist das Glück geliebt zu haben" von Chimamanda Ngozi Adichie. S.Fischer-Verlag

Adichie beschreibt ihre Gefühle und ihre Überlegungen dazu sehr offen, drastisch und schonungslos gegen sich selbst. Ich finde es bemerkenswert und war beim Lesen sogar erleichtert, wie da jemand auch über die Wut in der Trauer schreibt und seinen Schmerz buchstäblich herausschreit – und damit ein kleines Tabu bricht. Es ist die Wut über den unerbittlichen Tod, über verpasste Momente und das, was nun unausgesprochen und unbeantwortet bleiben muss.

Große Trauer ist etwas, was uns meist verstummen lässt, teils weil uns die Worte fehlen, teils weil wir verdrängen wollen. Trauer in unserer Kultur ist eher still, einsam und sie soll nach einer gewissen Zeit wieder überwunden sein, damit man weiter im Alltag funktioniert. In anderen Kulturen geht man durchaus anders mit Trauer um, zum Beispiel auch in der Igbo-Kultur.

Chimamanda Ngozi Adichie ist wortgewaltig, sie lässt nicht nur ihren Gefühlen freien Lauf; sie analysiert sich dabei gleichzeitig selbst. Sie schreibt in ihrem Aufsatz auch über ihre Familie und den unterschiedlichen Umgang mit der Trauer, über kulturelle Bedeutungen, über die Bürokratie rund um den Tod insbesondere in Zeiten einer Pandemie. Und über die gutgemeinten Ratschläge und Floskeln der Freunde, die nicht immer hilfreich sind, aber vielleicht erst später nachwirken.

Das ist sicher kein Buch, das ich einem trauernden Menschen unmittelbar empfehlen würde. Aber mit gewissem zeitlichen Abstand fand ich es befreiend, dass hier auch über die krassen Gefühle geschrieben wird. Ein wuchtiges kleines Buch.

Die Katalogdaten hier.
In der Psychologie-Untergruppe Mcl 33 findet Ihr noch mehr Medien zum Thema Trauer/Trauerbewältigung.

HilDa

Buchtipp: „Tagebuch eines Buchhändlers“ von Shaun Bythell

Kuriose Mitarbeiter, unverschämte Kunden, Wasserrohrbrüche, verschwundene Kater, Buchfestivals – Shaun Bythell hat so einiges aus seiner Buchhandlung zu berichten. Die trägt den zwar nicht kreativsten aber bestimmt treffendsten Namen: The Bookshop. Also Die Buchhandlung.

Seine Buchhandlung für gebrauchte Bücher befindet sich in der schottischen Stadt Wigtwon, auch bekannt als „Scotlands National Book Town“. Neben Shauns Buchhandlung gibt es dort noch viele weitere und ein jährliches Buchfestival. The Bookshop ist die größte Secondhand Buchhandlung in Schottland.

In seinem Tagebuch berichtet er für ein Jahr aus seinem Arbeitsalltag. Er erzählt von den Menschen, die ihm Bücher verkaufen wollen und aus welchen Beweggründen sie das tun. Wir lernen seine etwas kuriose Mitarbeiterin Nicci kennen, die gerne mal Shauns Ordnung der Bücher durcheinander bringt. Immer wieder gibt es auch neue und ehemalige Mitarbeiterinnen oder Praktikanten, die durch Shauns Buchhandlung streifen. Und natürlich die Kunden. Arbeit mit Menschen ist etwas echt tolles, zumindest mache ich das bei uns in der Bibliothek sehr gerne. Aber: es gibt halt auch diese Leute, die es einfach drauf haben, einem den Tag zu vermiesen. Man sollte das gar nicht so an sich ran lassen. Den ganzen Tag hatte man nur Kontakt zu netten Menschen und dann kommt ein Miesepeter, und das ist der einzige, an den man sich erinnert. Shaun beschreibt diese Leute mit sehr trockenem Humor (der sich eh durch das ganze Buch zieht) und man kann sich nur mit ihm über Kunden amüsieren, die um jeden Euro feilschen, Bücher aus Regalen ziehen, um scheinbar größtmögliches Chaos zu hinterlassen oder ihn nach Büchern fragen, die sie dann offensichtlich im Anschluss lieber bei Amazon bestellen. In diesen Beschreibungen blitzt wohl eine etwas misanthropische Haltung durch. 🙂

Bibliothekare sind leider auch nicht seine Lieblingsmenschen – die stempeln Bücher, kleben Signaturen und Barcodes auf ansonsten schöne Einbände oder bekleben sie gleich ganz mit schmutzabweisenden Folien. Für eine Secondhand-Buchhandlung nicht der idealste Buchzustand, da muss ich ihm Recht geben. 😉

Amazon ist auch so ein Lieblingsthema von Shaun. Irgendwie ist er darauf angewiesen, aber sein Verhältnis zum großen A zeigt sich ganz gut durch eine Trophäe, die er in der Buchhandlung aufgehängt hat: ein wortwörtlich erschossener Kindle.

Ganz nebenbei berichtet Shaun uns von seiner jeweils aktuellen Lektüre. Da verbirgt sich noch der ein oder andere Literaturtipp, den man gerne mitnimmt.

Shaun durch das Jahr in seiner Buchhandlung zu begleiten, war ein sehr unterhaltsames Unterfangen. Mittlerweile hat er sogar noch weitere Bücher geschrieben. Bisher ist jedoch nur das hier vorgestellte ins Deutsche übersetzt, da muss ich mir die anderen vielleicht mal im Original besorgen.

Das Buch könnt ihr bei uns in der Onleihe oder vor Ort ausleihen.

lga